Odysseus

Der Maler Friedrich Preller der Ältere wurde heute vor zweihundertzwanzig Jahren geboren, er war kein besonders guter Maler. Aber einige seiner Bilder sind von klein auf in meinem Kopf. Weil seine nackten Frauen so kugelig gedrechselte Brüste haben. Das hatte ich mit sechzehn in einem Bildband meines Opas entdeckt. Außer am Nacktbadestrand von Sylt gab es in den fünfziger Jahren ja wenige nackte Frauen zu sehen. Auf diesem Bild sind es die Sirenen, die Odysseus zu betören versuchen. Das Bild besitzt die Kunsthalle Kiel, aber sie hat es nicht ausgestellt, ebensowenig wie das Bild von Francesca da Rimini und Paolo Malatesta, das sich im Post Nackt findet. Entweder haben sie etwas gegen Aktmalerei oder etwas gegen zweitklassige Kunst. Wahrscheinlich ist es das Letztere. Ich habe das Bild von Odysseus und den Sirenen schon in dem Post Chanson abgebildet. 

Das Bild gehört zu einem ganzen Zyklus von Odysseusbildern, die Preller gemalt hat. Wobei der Höhepunkt der kitschigen Aktmalerei wohl das Bild ist, wo Leukotheadem Odysseus im Sturm erscheint. Das Bild gehört auch der Kieler Kunsthalle, ist aber auch nicht ausgestellt. Ist aber sowieso egal, die Kunsthalle ist für fünf Jahre geschlossen. Die machen plötzlich überall zu. Das Focke Museum in Bremen ist erst in zwei Jahren wieder offen, und wann der Neubau vom Stadtmuseum in Oldenburg fertig ist, weiß niemand so recht. Und die Berliner Museen haben ihre Öffnungszeiten verkürzt. Wenn Sie alles über den Odysseus Zyklus von Friedrich Preller wissen wollen, dann klicken Sie diese schöne Seite vom Goethezeitportal an.

Ein Gedicht über Odysseus habe ich natürlich, es ist das vielleicht berühmteste Gedicht von Lord Tennyson. Den mag ich zwar nicht besonders, ich habe in dem Post bêtes noires gesagt: Tennyson hat furchtbar lange und furchtbar langweilige Gedichte geschrieben, die von den langweiligen Viktorianern für große Lyrik genommen wurden. Aber Tennysons Ulysses, das T. S. Elio a perfect poemgenannt hat, ist schon etwas Besonderes. Es ist auch etwas sehr Persönliches, Tennyson hat geschrieben: There is more about myself in ‚Ulysses,‘ which was written under the sense of loss and that all had gone by, but that still life must be fought out to the end. It was more written with the feeling of his loss upon me than many poems. Das Gedicht ist in Blankversen geschrieben, dem seit Shakespeare bevorzugten Metrum der englischen Lyrik:

It little profits that an idle king,
By this still hearth, among these barren crags,
Match’d with an aged wife, I mete and dole
Unequal laws unto a savage race,
That hoard, and sleep, and feed, and know not me. 

I cannot rest from travel: I will drink
Life to the lees: all times I have enjoyed
Greatly, have suffered greatly, both with those
That loved me, and alone; on shore, and when
Through scudding drifts the rainy Hyades
Vexed the dim sea: I am become a name;
For always roaming with a hungry heart
Much have I seen and known; cities of men
And manners, climates, councils, governments,
Myself not least, but honoured of them all;
And drunk delight of battle with my peers;
Far on the ringing plains of windy Troy. 

I am a part of all that I have met;
Yet all experience is an arch wherethrough
Gleams that untravelled world, whose margin fades
For ever and for ever when I move.
How dull it is to pause, to make an end,
To rust unburnished, not to shine in use!
As though to breathe were life. Life piled on life
Were all too little, and of one to me
Little remains: but every hour is saved
From that eternal silence, something more,
A bringer of new things; and vile it were
For some three suns to store and hoard myself,
And this grey spirit yearning in desire
To follow knowledge like a sinking star,
Beyond the utmost bound of human thought. 

This is my son, mine own Telemachus,
To whom I leave the sceptre and the isle –
Well-loved of me, discerning to fulfil
This labour, by slow prudence to make mild
A rugged people, and through soft degrees
Subdue them to the useful and the good.
Most blameless is he, centred in the sphere
Of common duties, decent not to fail
In offices of tenderness, and pay
Meet adoration to my household gods,
When I am gone. He works his work, I mine. 

There lies the port; the vessel puffs her sail:
There gloom the dark broad seas. My mariners,
Souls that have toil’d, and wrought, and thought with me –
That ever with a frolic welcome took
The thunder and the sunshine, and opposed
Free hearts, free foreheads – you and I are old;
Old age hath yet his honour and his toil;
Death closes all: but something ere the end,
Some work of noble note, may yet be done,
Not unbecoming men that strove with Gods. 

The lights begin to twinkle from the rocks:
The long day wanes: the slow moon climbs: the deep
Moans round with many voices. Come, my friends,
‚Tis not too late to seek a newer world.
Push off, and sitting well in order smite
The sounding furrows; for my purpose holds
To sail beyond the sunset, and the baths
Of all the western stars, until I die.
It may be that the gulfs will wash us down:
It may be we shall touch the Happy Isles,
And see the great Achilles, whom we knew. 

Tho‘ much is taken, much abides; and though
We are not now that strength which in old days
Moved earth and heaven; that which we are, we are;
One equal temper of heroic hearts,
Made weak by time and fate, but strong in will
To strive, to seek, to find, and not to yield. 

Die letzte Strophe ist immer wieder zitiert worden. Sie ist auch in die Populäre Kultur gewandert. Der Chief Inspector Morse zitiert sie in der Folge Death is now my neighbour. Und James Bond Freunde wissen, dass Judi Dench als Geheimdienstchef M die Strophe in ✺Skyfall rezitiert.

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Caspar David Friedrich (5)

Braucht man einen Caspar David Friedrich Roman, um den Künstler zu verstehen? In dem Post Skying habe ich in Lea Singers Roman Anatomie der Wolken erwähnt. Einen charmanten kleinen Roman, der 2015 erschien. Lea Singer ist ein Pseudonym für Eva Gesine Baur, die nicht nur Kunsthistorikerin ist, sondern auch gut schreiben kann. Sogar sehr gut. Judith von Sternburg sagte in der Frankfurter Rundschau über den Roman: Es ist aber auch für Goethe-Leser ein großes Vergnügen, wie fidel und prägnant Lea Singer ihn (den Wolkigen) zu fassen bekommt. Viele Autoren, die punktgenau einen Caspar David Friedrich Roman im Jahre 2024 herausbringen, können allerdings nicht besonders gut schreiben.

Die Frau am Fenster: Ein Leben an der Seite von Caspar David Friedrich ist, so schreibt der Verlag: ein Roman über die wenig bekannte Frau, die großen Einfluss auf sein Leben und seine Kunst hatte. Zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich. Geschrieben von einer Frau namens Birgit Poppe, die auch Kunstgeschichte studiert hat. Man kann Teile des Roman hier lesen. Wenn man das gelesen hat, dann weiß man, dass man diesen sorgfältig recherchierten Herz-Schmerz-Roman nicht unbedingt zu kaufen braucht. Die Ehefrau des Malers ist auch in dem Roman Caspar David Friedrich mit Caroline in Greifswald präsent, von dem der Sandstein Verlag hier eine Leseprobe anbietet. Sie werden sofort sehen, dass es sich nicht um einen richtigen Roman, sondern um eine graphic novel handelt. Sechsunddreißig Seiten, durchgehend illustriert von Maiken Albert.

Dazu schreibt das Pommersche Landesmuseum Greifswald, welches das Büchlein herausgegeben hat: Nach der Hochzeit im Januar 1818 griff er zur Feder und berichtete seinen Brüdern in Greifswald von den neuen Lebensumständen. An dieser Stelle setzt die Graphic Novel mit ihren zahlreichen Illustrationen ein, welche den Leser an der Reise in den Norden mit seinen wildromantischen Landschaften, die den Künstler so geprägt haben, teilhaben lassen. Basierend auf dem herzlichen Briefwechsel zwischen den Greifswalder und Dresdner Friedrichs wird diese Pommern-Reise im Sommer 1818 mit all ihren Zwischenstationen rekonstruiert. Das Buch öffnet ein Fenster in die Vergangenheit und ermöglicht es, zwischen verwinkelten Werkstätten, kuriosen Zeitungsmeldungen sowie windigen Inselausflügen Interessantes über Caspar David Friedrich und seine Familie zu erfahren. Muss man dafür zwanzig Euro ausgeben?

Es hat schon vor dem Jahr 2024 Caspar David Friedrich Romane gegeben. Christoph Werner hatte in seinem Roman Um ewig einst zu leben (2006) die Idee, die Maler Caspar David Friedrich und William Turner in einem Roman zu vereinen. Der Roman spielt in London und Dresden zwischen 1815 und 1835. Das letzte Jahr ist wichtig, denn da ist Turner in Dresden gewesen. Aber wir wissen, dass er Caspar David Friedrich nicht getroffen hat, das wäre nun zu schön gewesen. Wahrscheinlich hat Turner den Maler Friedrich gar nicht gekannt. Der Roman ist 2019 in einer englischen Übersetzung in einem Self-Publishing Verlag erschienen, aber ich habe keine Rezensionen dieser Ausgabe gefunden. Es scheint aber schon verramscht zu werden. Man kann im Internet zwei Leseproben (hier und hier) der deutschen Ausgabe lesen. Und feststellen, dass Christoph Werner kein besonders großartiger Erzähler ist.

Aber Eberhard Rathgeb, der kann schreiben. Und er kann Bilder sehr gut beschreiben. Und er hat etwas zu sagen. Was er sagt, kommt manchmal überraschend und zwingt uns zum Nachdenken: Ohne den Protestantismus, der die geistigen und kulturellen Umbrüche um 1800 prägte, wäre er ein anderer geworden. Er war in diesem Sinne ein Kind seiner Zeit, nicht anders als Kant, Fichte, Hegel und Schleiermacher. Die protestantische Selbstprüfung und die pietistische Erziehung ordneten ihm den Innenraum, in dem seine inneren Bilder hingen, die Originale, die er auf die Leinwand übertrug. Die Landschaftsbilder, die er malte, sind ein Spiegel der modernen Einsamkeit. Er schaute auf seinen vielen Wanderungen in die Natur mit großer Wachheit und Aufmerksamkeit, aber auch mit dem Staunen der Verlorenheit, ganz so, als stände die Zeit still. Auf seinen besten Bildern ist die Welt in ein absurdes Licht getaucht. In ihr scheint der Mensch nicht mehr vorgesehen zu sein. Die Natur hat ihn von sich abgestoßen, sie hat sich von ihm gelöst. Es gibt keinen Weg zurück. Was bleibt, ist zu warten, darauf, was noch passieren könnte. Es liegt nicht in der Hand des Menschen. Die Natur wird das letzte Wort haben. Wenn Sie noch etwas mehr aus Rathgebs Maler Friedrichlesen wollen, dann klicken Sie hier.

Der Caspar David Friedrich Roman der Stunde ist natürlich Zauber der Stille: Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeitenvon Florian Illies. Seit Oktober 2023 auf dem Markt und auf Platz eins der SpiegelBestsellerliste. Da wird er wahrscheinlich bis zum Geburtstag des Malers im September bleiben. Illies hat mit einem großen Zettelkasten hunderte von kleinen Geschichten und Anekdoten gesammelt, Wichtiges und Unwichtiges. Und das präsentiert er uns in einem stilistischen Feuerwerk. Ferdinand von Schirach hat über das Buch gesagt: So elegant und mühelos erzählt. Dieses neue Buch von Florian Illies zu lesen, ist wie einen Billy-Wilder-Film zu schauen – einfach großartig. Teile des Buches sind bei GoogleBooks lesbar. Sie können sich einen Eindruck von dem Werk verschaffen, bevor Sie es kaufen.

Der erste Caspar David Friedrich Roman stammt von dem heute vergessenen Schriftsteller Fritz Meichner (1895-1969), der auch mit Wir Drei einen Roman über Philipp Otto Runge geschrieben hat. Meichner war nach dem Abitur 1914 Soldat geworden und geriet 1916 in russische Gefangenschaft. Darüber hat er ein Buch geschrieben, hat aber auch Bücher über Charles Dickens (Genius des Herzens) und Hans Christian Andersen geschrieben. Sein Roman Caspar David Friedrich: Roman seines Lebens ist unter verschiedenen Titeln erschienen. So zuerst 1937 unter dem Titel Landschaft Gottes: Ein Roman um Caspar David Friedrich. Der Berliner Union Verlag, der den Roman vor fünfzig Jahren (passend zur Hamburger Friedrich Ausstellung) wieder herausbrachte, wusste dazu zu sagen: Die Handlung des Romans ist klar aufgebaut, findet Höhepunkte in farbig geschilderten Szenen, die Charaktere werden sauber und treffend gezeichnet. Der Gestaltenkreis um Friedrich wird dem Leser anschaulich und sachlich getreu vor Augen gestellt, darunter so hervorragende Persönlichkeiten wie Heinrich Kleist und Carl Gustav Carus. Vor allem tritt die alles durchwirkende innige Natur- und Menschenliebe Friedrich überzeugend hervor. So führt der Roman den Leser auch zu einem tieferen Verständnis der Werke Friedrichs, zeigt sein Ringen um eine neue Form des malerischen Ausdrucks, seine tiefe Verwurzelung in der Heimat und seinen glühenden Patriotismus. Ich habe mir bei booklooker ein Exemplar für drei Euro bestellt. Wenn das Buch gut ist, hören Sie hier demnächst mehr.

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Impressionisten

Heute vor einhundertfünfzig Jahren stellten in Paris dreißig Maler ihre Bilder aus. Nicht im Salon, sondern im Atelier des Photographen Nadar. Den hatten sie überreden können, weil er dringend Geld brauchte. Eins der Bilder ist Claude MonetsImpression, soleil levant. Ein Journalist nimmt sich das Wort impression für die Schlagzeile L’exposition des Impressionnistes. Seitdem heißen die Maler Impressionisten. Wenn wir das Wort heute verwenden, hat es nicht mehr die pejorative Bedeutung, die es 1874 hatte. Diese Bedeutung nimmt Bruce Berger in seinem Gedicht Impressionists auf, wo es heißt: These paintings Paris laughed down A hundred years ago Have finally attained their salon…

Den Impressionismus finden wir auch in der Literatur, Charles Baudelaire, der auch wunderbar über Malerei schreibt (lesen Sie doch einmal den Post Eugène Boudin) zählt man dazu. Und natürlich Arthur Rimbaud (hier auf dem Bild der zweite von links). Rimbaud hat der Romanist Hugo Friedrich 1956 in seinem Buch Die Struktur der modernen Lyrik (das als eine epochale Studie gilt) groß herausgestellt. Ich habe mit Hugo Friedrich so meine Schwierigkeiten, ich werde zwei Dinge nicht los. Das eine ist natürlich seine Mitgliedschaft in der NSDAP. Und das andere ist eine Geschichte, die mir ein Kollege erzählte, der mal bei Friedrich wissenschaftliche Hilfskraft (Universitätsjargon: Hiwi) war. Der musste für seinen Professor immer Brötchen und Kaffee in einem bestimmten Supermarkt kaufen, weil es da Rabattmarken gab. Denn Professor Hugo Friedrich sammelte Rabattmarken. Rimbaud und Rabattmarken, wie geht das zusammen? 

Aber das lassen wir jetzt mal weg. Ich habe ein Gedicht von Rimbaud, das Marine heißt. Und ich habe hier eine Seite mit einer englischen Übersetzung, auf der man das Gedicht in englischer und französischer Sprache vorgelesen bekommt. Aber ich habe noch viel mehr, ich habe drei deutsche Übersetzungen von Rimbauds Gedicht. Die habe ich von dem Blog Lyrikzeitung & Poetry News, und für diesen Blog des Greifswalder Literaturwissenschaftlers Dr Michael Gratz muss ich mal ein bisschen Werbung machen, es ist wirklich ein ganz erstaunlicher Blog. Neben der Seite von planet lyrik ist das eine der besten Seiten zur modernen Lyrik im Netz. Und die Seite hat eben auch Rimbauds Gedicht Marine mit den Übersetzungen:Les chars d´argent et du cuivre –
Les proues d´acier et d´argent –
Battent l´écume, –
Soulèvent les souches des ronces.
Les courants de la lande,
Et les ornières immenses du reflux,
Filent circulairement vers l´est,
Vers le piliers de la forêt,
Vers le fûts de la jetée,
Dont l´angle est heurté par des tourbillons de lumière.

Hafen

Die silbernen, kupfernen Wagen,
Schiffsschnäbel aus Silber und Stahl
Peitschen den Schaum,
Pflügen der Brombeere Ranken.

Die Ströme der Steppe,
Die unendlichen Spuren der Flut
Kreisen nach Osten hin ab,
Zu den Säulen des Walds
Zu den Bohlen der Dämme,
Im Winkel getroffen vom Wirbeln des Lichts.

Diese Übersetzung ist von Gerhard Haug, einem Übersetzer, der seit den 1920er Jahren Verlaine und Rimbaud übersetzt hat, 

Seestück

Wagen aus Silber und Kupfer –
Aus Stahl und Silber der Bug –
Durchpflügen den Schaum, –
Entwurzeln die Brombeerstrünke.


Die Ströme der Heide
Und die unendlichen Spuren der Ebbe,
Ziehen in Wirbeln gen Osten,
Zu den Pfeilern des Waldes –
Zum Holzwerk der Mole,
Gegen deren Balken andrängen Strudel von Licht.

Diese Übersetzung aus dem Jahre 1989 ist von dem Schriftsteller Uwe Grüning.

Seestück

Die Wagen von Silber und von Kupfer –
Die Buge von Stahl und von Silber –
Schlagen den Schaum, –
Heben hoch die Strünke der Dornen.
Die Ströme der Heide
Und die Spuren, unermeßlichen, der Ebbe,
Ziehen kreisend gen Osten,
Zu den Pfeilern des Walds,
Zu den Stämmen des Damms,
Dessen Kante gepeitscht wird von Wirbeln von Licht.

Und diese Übersetzung aus dem Jahr 2000 hat Michael Gratz selbst beigesteuert. Es gibt auf seiner Seite eine hervorragende Suchfunktion, mit der man unglaublich viel über Arthur Rimbaud finden kann. 

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Caspar David Friedrich (4)

Kunstfreunde und Kunsthistoriker sind immer glücklich, wenn es für einen Maler ein vollständiges Werkverzeichnis gibt. Das kann dauern, bis es erscheint, und häufig ist es bei dem Erscheinen schon veraltet und nicht mehr relevant. Immer wieder werden neue Werke des Malers entdeckt, andere aus dem Verzeichnis gestrichen. Rembrandt ist ein berühmtes Beispiel. Vor hundert Jahren gab es noch mehr als siebenhundert Gemälde, die von Rembrandt stammen sollten. Heute ist von den siebenhundert Bildern (die sie hier anklicken können) nur noch die Hälfte wirklich echt. Und die Bremer Rembrandts sind auch nicht von Rembrandt.

Zweihundert Jahre nach Caspar David Friedrichs Geburt erschien das erste große Werkverzeichnis, und das hat seine Geschichte. Der Kunsthistoriker, der es erstellt hat, ist heute auch beinahe vergessen, er hat keinen Wikipedia Artikel, und auch das Dictionary of Art Historians kennt ihn nicht. Das habe ich schon in dem Post vergessen gesagt. Er wurde als Kustos der Dresdner Galerie 1937 entlassen, weil er mit einer jüdischen Ärztin verheiratet war. Das Ehepaar emigrierte in die Schweiz. Jähnig wurde 1944 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, er verlor sein Vermögen und das Haus in Dresden. Aber in Dresden hat man den Dr Karl Wilhelm Jähnig nicht ganz vergessen. Gerd Spitzer, Oberkonservator an der Dresdner Galerie Neue Meister im Albertinum, gab seinem Buch Caspar David Friedrich in der Dresdener Galerieden Untertitel Karl Wilhelm Jähnig zum Gedächtnis. Man kann das schöne kleine Buch aus dem Sandstiein Verlag antiquarisch immer noch finden.

Karl Wilhelm Jähnig hatte 1915 als Freiwilliger Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Gemäldegalerie Dresden angefangen, das ist eine aus dem 19. Jahrhundert stammende Berufsbezeichnung, die uns heute seltsam vorkommt. Er stieg vom Freiwilligen Wissenschaftlichen Hilfsarbeiter zum bezahlten Wissenschaftlichen Hilfsarbeiter und zum Kustos auf. Der Direktor der Galerie war Hans Posse (hier auf einem Gemälde von Georg Oehme), der hier schon in dem Post über Christian Friedrich Gille erwähnt wurde. Er war eine tragische Figur, ein Mann der Moderne, der mit den Nazis eigentlich nichts am Hut hatte und dann als Hitlers Sonderbeauftragter für den Sonderauftrag Linz endet. Jähnig erarbeitet in den zwanziger Jahren zusammen mit Klara Steinweg den ersten Katalog der Dresdner modernen Galerie, der 1930 veröffentlicht wird. Und er erwirbt sich durch Vorträge und Publikationen einen Ruf als Spezialist für die Dresdner Romantik. Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft sieht in ihm den richtigen Mann, der ein Werkverzeichnis von Caspar David Friedrich erstellen kann.

Er wird die Publikation seines Lebenswerkes nicht mehr erleben, und es steht auch noch ein ganz anderer Autor auf dem Katalog. Der heißt Helmut Börsch-Supan, er war ein junger Kunsthistoriker, der mit einer schmalen Arbeit über Caspar David Friedrich (→Die Bildgestaltung bei Caspar David Friedrich) promoviert worden war. Der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft beauftragt ihn, aus dem Archiv von Jähnig ein Werkverzeichnis zu erstellen. Das wird er tun, aber er tut zu Jähnigs Forschungen etwas hinzu, was Jähnig sicherlich kaum gutgeheißen hätte: alles in Friedrichs Werk wird von ihm symbolisch und christlich erklärt. Ein Name fehlt auf dem Buch, und das ist der Name von Jähnigs Ehefrau Dr Britta Jähnig, die alle Notizen und Notizzettel ihres Mannes in ein lesbares Manuskript verwandelt hatte, mit dem Börsch-Supan arbeiten konnte.

In dem Post Johan Christian Clausen Dahl habe ich dazu geschrieben: Helmut Börsch-Supan hat bei der Überarbeitung des Caspar David Friedrich Kataloges 1973 – den Karl Wilhelm Jähnig erstellt hatte – das Katalogwerk mit einem bizarren Symbolgeflecht überzogen: wir können fortan sicher sein, dass bei Caspar David Friedrich kein Piepmatz durchs Bild fliegt, der nicht eine symbolische Bedeutung hat. Aber manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre, wie schon Freud wusste, und es ist mir ein wenig zuwider, jedes Schiff und jeden Anker im Hafen als ein christliches Symbol zu sehen. Eine ähnliche Interpretationssucht hatte auch schon einmal die amerikanische Literaturkritik befallen, die damals alles, was länger als breit war, als Penissymbol interpretierte. Dieses sicherlich symbolische Bild von Friedrich hat übrigens Johan Christian Clausen Dahl einmal besessen, für eine würdigere Bestimmung für die Kgl. Gemälde-Gallerie hat er es der Dresdner Gemäldegalerie geschenkt.

Man kann das mit der übertriebenen Symbolik, dem bizarren Symbolgeflecht, die Börsch-Supan beherrscht, anders formulieren als ich. So zum Beispiel der Greifswalder Professor Reinhard Zimmermann: In diesen Zusammenhang gehört auch die sofort mit Erscheinen des Buches 1973 aufgebrochene Kontroverse um die Deutung der Kunst Friedrichs, die bis heute die Forschung belastet. Börsch-Supan hatte durch eine konsequente ikonographische Analyse der Bilder deren eindeutige Lesbarkeit behauptet, wobei er eine fast durchweg christliche, um das Thema von Tod und Auferstehung kreisende Gedankenwelt herausarbeitete. Dieser Auffassung, die der gängigen Romantik- und Friedrichvorstellung widersprach, wurde die These von der Bedeutungsoffenheit der Kunst Friedrichs, die keine eindeutigen Interpretationen zulasse, entgegengestellt; die christliche Ausdeutung wurde von einer anderen Forschungsrichtung der 1970er Jahre mit einer politischen beantwortet. 

Das Bild hier zeigt die zweibändige Ausgabe der Zeichnungen von Christna Grummt, die 2011 erschienen ist. Grummt konnte sich auf Vorarbeiten stützen. Da gab es die Greifswalder Dissertation Caspar David Friedrich als Zeichner von 1966 von Sigrid Hinz (allerdings nur in maschinenschriftlicher Form), die als Anhang ein Verzeichnus der Zeichnungen hatte. 1974 erschien als eine Art Begleitbuch zu Jähnigs und Börsch-Supans Werk Marianne Bernhards Caspar David Friedrich. Das gesamte graphische Werk mit einem Nachwort von Hans H. Hofstätter. Kann man antiquarisch noch finden, kostet nicht die Welt.

Das Werkverzeichnis Caspar David Friedrich: Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen brauchte ich mir 1973 nicht zu kaufen, ich erhielt es als Jahregabe des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, dessen Mitglied ich damals war. Es ist, trotz der symbolischen Sperenzchen von Börsch-Supan ein Standardwerk geblieben, das man heute antiquarisch ab hundert Euro noch finden kann. Reinhard Zimmermann hat auf dieser Seite eine Überarbeitung und Korrektur gefordert, aber aus dem dort avisierten Projekt scheint nichts geworden zu sein.

Johan Christian Clausen Dahl war Norweger, er war mit Friedrich befreundet, entfernte sich in seinem Werk aber immer mehr von dem Dresdner Maler, den man nach seinem Tod schnell vergaß. Und es sind nicht wir Deutschen, die Friedrich aus der Vergessenheit geholt haben. Das muss ich zum Schluss noch sagen. Nein, es ist ein Norweger namens Fredrik Ludvig Andreas Vibe Aubert, ein Maler und Kunstwissenschaftler, der Friedrich aus der Vergessenheit zurückholt. Er entdeckt ihn um 1900 und beginnt über ihn zu schreiben. Zuletzt Caspar David Friedrich, „Gott, Freiheit, Vaterland“ (Berlin: Cassirer, 1915). Hätte er länger gelebt, hätte er vielleicht das erste Caspar David Friedrich Verzeichnis gemacht.

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Caspar David Friedrich (3)

Hier in Kopenhagen hat Caspar David Friedrich drei Jahre studiert. Das Bild von Knud Baade zeigt uns die Kopenhagener Akademie. Hier studieren die angehenden Maler gerade antike Plastiken, um zu lernen, wie man Menschen malt. Es werden auch Kurse mit einem lebenden Modell angeboten; da ist Nicolai Abildgaard (der auch der Lehrer von Philipp Otto Runge war) einer von Friedrichs Lehrern gewesen. Irgendwie muss Friedrich diesen Teil des Studiums geschwänzt haben, er kann keine Menschen malen, so wie das Knud Baade hier kann. Nicht wirklich.

Wir haben eine Zeichnung, die uns den Norweger Baade (der Schüler von Christian Clausen Dahl war) an der Staffelei zeigt. Die Bleistiftzeichnung ist von Caspar David Friedrich, sie zeigt all seine Schwächen auf, die er als Zeichner hat, wenn es um Menschen geht. Was ist das bloß für ein Rücken? Und mit dem rechten Arm stimmt auch irgendetwas nicht. Baade steht steif wie ein Denkmal da, es ist keine Bewegung in der Figur. Was der norwegische Maler auf die Leinwand bringt, das hängt heute in der Kieler Kunsthalle (wegen Umbau für fünf Jahre geschlossen). Es war ein Geschenk des Kunstvereins an die verdiente Kuratorin Lilli Martius. Mir gehört eine kleine Wolke rechts oben auf dem Bild Einfahrt ins Naerøtal, da ich damals auch einiges gespendet habe.

Noch einmal eine Rückenansicht eines Künstlers. In der Art und Weise, wie hier Tischbein unseren Goethe in Rom gezeichnet hat, hätte Caspar David Friedrich einen Menschen nicht zeichnen können. Tischbeins Goethe lebt, Friedrichs Baade nicht. Und auch Friedrichs Frau am Fenster ist nicht so lebendig wie Tischbeins Goethe. Ich zitiere dazu einmal Kristina Reymann-Schneider aus ihrem Beitrag in Deutschlandfunk KulturCaspar David Friedrich hat sich mit seiner Landschaftsmalerei einen Platz in der Kunstgeschichte erobert. Einige seiner Bilder kennen selbst Menschen, die sich sonst eher wenig für Kunst interessieren. Doch der große deutsche Romantiker hatte eine Schwäche: Figuren. Während er detailliert Steine oder Felsformationen und Bäume bis in die kleinsten Verästelungen zeichnen konnte, tat er sich mit der Abbildung von Menschen schwer. Die Proportionen stimmen nicht, der Kopf ist zu klein, die Gliedmaße sind zu lang. So ist es kein Zufall, dass die Figuren bei ihm oft in der Rückenansicht zu sehen sind, nur ganz klein dargestellt oder am Rande platziert werden. Die Natur spielt unzweifelhaft die Hauptrolle in Caspar David Friedrichs Bildern. Kunsthistoriker würden das etwas anders sagen, aber wir lassen das mal so stehen.

Gut, das hat es immer gegeben, dass Maler irgendetwas nicht wirklich konnten. Was Rubens nicht kann, malt ihm sein Freund Brueghel. Lucas van Uden malt für viele berühmte Kollegen den Landschaftshintergrund. Pferde zu malen, war nicht die Stärke von Joshua Reynolds, da half ihm George Stubbs manchmal aus. Liebermann konnte keine Kühe malen, das machte sein Freund Thomas Herbst für ihn, der wahrscheinlich der beste Kuhmaler des Impressionismus war. Wir sehen ihn hier beim Studium von Kühen. Mit Frack und Zylinder.

Ich habe in dem Post Caspar David Friedrich 2010 geschrieben, dass ich das Bild vom Wanderer über dem Nebelmeer, als ich es zum ersten Mal sah, für eine Fälschung hielt. Es war frisch restauriert, überrestauriert, der Lack glänzte wie frischgemalt. Man war stolz, dass man nach langen Verhandlungen (und der Zahlung von 600.000 Mark) das Bild endlich besaß. Jetzt präsentierte man es. Nicht in der Sammlung, es war im Treppenhaus aufgestellt. Man musste an dem Wanderer vorbei, wenn man in die Galerie wollte. Das Bild hat eine einfache, überschaubare Konstruktion. Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund. Und doch hat das Ganze etwas Rätselhaftes, das sich nicht lösen lässt. Ein scheinbar unüberwindbares Hindernis, das unverhältnismäßig große Ausmaße annehmen kann, sagt László F. Földényi. Ich weiß nicht, ob Ihnen dieser Name etwas sagt.

László F. Földényi, der vielleicht wichtigste europäisches Essayist, war schon zweimal in diesem Blog. Zuerst 2011 in dem Post Melancholie, ein Gebiet in dem ich mich dank einer manisch-depressiven Erkrankung auskenne. Das zweite Mal beherrschte den László F. Földényi mit seinem Buch Heinrich von Kleist: Im Netz der Wörter den Kleist Post. Was ist das für ein Buch! Die ganze Welt von Heinrich von Kleist in knapp hundert Lexikonartikeln, die alle kleine in sich geschlossene Essays sind. Ausgehend von Wörtern in Kleists Werk, alphabetisch geordnet von Ach bis Zufall, mit Querverweisen auf andere Essays. So, dass man in diesem Buch zick und zack, hin und her liest. Und das soll auch so sein, sagt der Autor in seinem Vorwort: Ein schonendes Buch. Es verschont den Leser, erspart ihm die Mühe des Auslesens. Es befreit ihn von der Last, so zu tun als ob… Mein drittes Buch von Földényi war Caspar David Friedrich: Die Nachtseite der Malerei, ich habe das Buch schon in dem Post Nebelmeer erwähnt. Das Buch ist zur Zeit vergriffen, soll aber im Mai als Paperback für 12 Euro wieder auf dem Markt sein.

Földényi hat 2021 noch ein zweites Buch über Friedrich geschrieben, das Der Maler und der Wanderer heißt. Und den etwas irritierenden Untertitel Caspar David Friedrichs Urkinohat. Caspar David Friedrich und Kino? Wir wissen, dass Walt Disney in den dreißiger Jahren in Deutschland alle Bücher über Friedrich aufkaufte. Und sie seinen Zeichnern vorlegte. Und deshalb läuft Bambi zu Beginn des Films durch die Fichtenwälder des Elbsandsteingebirges, das Caspar David Friedrich auf Gemälden wie ‚Felsenschlucht‘ oder ‚Morgennebel im Gebirge‘ verewigt hat. Aber Földényi ist nicht auf Bambi aus, er will mit seinem Buch zeigen, dass Der Wanderer über dem Nebelmeer das Kino avant la lettre ist. Urkino. Ich fasse die Unzahl seiner geistvollen Gedanken jetzt nicht in Kürze zusammen, Sie sollten das Buch schon lesen. Mehr ist über das Bild Wanderer über dem Nebelmeer wohl nicht geschrieben worden.

Caspar David Friedrich hat die Rückenfigur nicht erfunden. Sie war als Staffage oder Repoussoir im Vordergrund schon immer in der Malerei. Auch in Vermeers Bild Die Malkunst sehen wir den Maler nur in der Rückansicht. Eigentlich sind die Rückenfiguren in der Malerei Nebenfiguren. Bei Friedrich wird der Herr, der sich aus einer vornehmen Abendgesellschaft ins Elbsandsteingebirge verirrt hat, zur Hauptsache des Bildes. Das wird in Variationen von Malern immer wieder gemacht. Wie 1890 bei Fritz von Uhde oder 1925 bei Salvator Dali. Am besten gefällt mir zum Thema Frau am Fenster dieses Bild

Der neue Hamburger Katalog Caspar David Friedrich – Kunst für eine neue Zeit enthält ein Kapitel Zu Friedrichs Rückenfiguren von Markus Bertsch, der auch einer der Kuratoren der Hamburger Ausstellung ist. Man kann (Google Books sei Dank) große Teile des Katalogs hier lesen. Friedrich nimmt die ein wenig aus der Mode gekommene Rückenfigur wieder auf, sie wird bei ihm zu einer Art Markenzeichen. Und bei den Wanderern, die den Mond betrachten, bei Mann und Frau bei der Betrachtung des Mondes fällt es uns kaum auf, dass er eigentlich keine Menschen malen kann.

In Johann Christian ReinhartsBild des Tibers (1808) haben wir auch eine Rückenfigur, aber sie beherrscht das Bild nicht, wie Friedrichs Wanderer in seinem elegant geschneiderten Bratenrock das Bild beherrscht. Mit dem auf Felsen stehenden Wanderer, der vielleicht ein Portrait von Goethe ist, kommen wir als Betrachter in das Bild hinein. Sagt uns die Rezeptionsästhetik. Dazu sollten Sie jetzt einmal den Artikel Rezeptionsästhetik – Der Betrachter ist im Bild lesen, dann sind sie im Bild.

Földényi schreibt ein ganzes Buch über den Wanderer, über Perspektiven, über Figuren im Bild. Über das Sehen im Nebel. Und am Ende resümiert er über den Wanderer: Man kann viel über ihn sagen, kann über das, was er sieht und wie er sieht, sogar ein Buch mit dem Titel ‚Der Maler und der Wanderer‘ schreiben. Seinem Ich nahezukommen, vermag man dennoch nicht. 

Földényi erwähnt in seinem Buch den ehemaligen Kieler Kunsthallendirektor Jens Christian Jensen nicht, der 1974 in seinem Buch beim DuMont Verlag über den Wanderer über dem Nebelmeer sagte, das Bild muss als künstlerisch misslungen angesehen werden. Er ist nicht der Einzige, der das Bild als nicht so großartig empfindet. Jensens Buch Caspar David Friedrich – Leben und Werk kann man antiquarisch noch sehr, sehr preisgünstig erwerben. Es ist nach einem halben Jahrhundert immer noch eine sehr gute Einführung.

Wie sieht ein Wanderer aus? So wie dieser Herr hier würden wir sagen. Auf keinen Fall wie der unbekannte Mann auf Caspar David Friedrichs Bild. Dieses Bild eines Wanderers ist ein halbes Jahrhundert nach Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer entstanden. Hier hat Iwan Nikolajewitsch Kramskoi seinen Malerkollegen Iwan Schischkin als Wanderer gemalt. Und das ist Schischkin im doppelten Sinn, denn beide Maler gehören zu einer Künstlerbewegung, die Peredwischniki heißt. Was auf Deutsch Wanderer bedeutet. Wir sollten uns nicht zu sehr an dem Wanderer des Bildtitels von Friedrich festbeißen, den Titel hat das Bild erst um 1950 bekommen, vorher war es ein namenloses Bild.

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Caspar David Friedrich (2)

Das hier sieht aus wie ein Bild von Caspar David Friedrich, aber es ist nicht von ihm. Es ist von dem Dresdner Maler Ernst Ferdinand Oehme, der ein Schüler von Christian Clausen Dahl war. Dahl hatte Oehme seinem Freund Caspar David Friedrich vorgestellt; und Oehme hatte sich mit Friedrichs Schüler Johann August Heinrich angefreundet und mit dem zusammen in der Natur gemalt. Wir finden den wenig bekannten Oehme erstaunlicherweise in einem Ausstellungskatalog zu Caspar David Friedrich, der 1972 in London erschienen ist. Zwei Jahre, bevor die großen Caspar David Friedrich Ausstellungen in Hamburg und Dresden stattfinden, gibt es die deutsche Romantik in London. Wir müssen es ganz klar sagen: die Engländer haben bei der Wiederentdeckung von Caspar David Friedrich die Nase vorn.

Und das verdanken sie diesem Mann hier, dem Professor William Vaughan. Über den das Birkbeck College sagt: Professor William Vaughan is one of the most respected historians and critics of Romantic art in the world. He was almost single-handedly responsible for the introduction of German Romantic art to a British public, doing more to foster this area of study than any other writer. This undertaking began with the exhibition of the work of Caspar David Friedrich that he curated at the Tate Gallery in 1972, an exhibition that began a sea-change in opinion with regard to this artist, rescuing him from the discrediting opinion of Kenneth Clark, who dismissed him as a painter who was trying to do with a brush what could much better be done with a pen. 

Professor William Vaughan ist in diesem Blog kein Unbekannter, in dem Post Gainsborough heißt es über ihn: Ich habe noch einige Lesetips zum Schluss (mehrere Leser haben mir geschrieben, dass sie die ganz nützlich fänden). Wenn es nur ein Buch sein soll, dann sollte es Gainsboroughvon William Vaughan aus der Reihe World of Art von Thames & Hudson sein. Es gibt kein Buch, das auf 224 Seiten so umfassend und lesbar in Leben und Werk Gainsboroughs einführt. Reich illustriert mit 172 Abbildungen (davon 68 in Farbe) gibt dieses Buch dem Leser einen schnellen Zugang zum Werk. Das aber nicht auf Kosten einer seriösen Wissenschaftlichkeit, Vaughan ist auf dem neuesten Stand der Forschung. Dies zeigt die Einarbeitung von Forschungsergebnissen, die Ellis Waterhouse bei seinem Katalog von 1958 noch nicht kennen konnte. Und auch die kurze Bibliographie ist ein Meisterstück der Selbstbeschränkung, aber alles Wesentliche steht drin. Professor Vaughan beherrscht nicht nur sein Fach und seinen Gegenstand, er kann auch gut schreiben. Das ist etwas, was Engländer ja häufig ihren deutschen Kollegen voraus haben.

Die Ausstellung, die William Vaughan in der Tate Gallery kuratierte (von der wir hier zwei Photos der modernistischen Präsentation sehen können), hatte er sich in Deutschland zusammengeliehen. Nicht in Hamburg oder Berlin, nein im Osten Deutschlands. 1971 hatte er Hans Joachim Neidhardt in Dresden besucht und mit ihm über den Austausch von Bildern verhandelt. Die DDR Führung hatte nichts gegen den Engländer, man war glücklich, einmal auf internationaler Ebene vertreten zu sein. Vaughan (den Neidhardt als gutmütigen, rotbärtigen Hünen beschrieb) hatte auch ein Angebot dabei, dem Neidhardt nicht widerstehen konnte: eine William Turner Ausstellung der Tate Gallery. 

Die Turner Ausstellung kam dann im Juli 1972 ins Albertinum nach Dresden. Neidhardt reiste nach London und hielt auf dem Romantik Symposium einen Vortrag, den ihm ein Freund ins Englische übersetzt hatte. Mit dem Englischen hatten sie es in der DDR ja nicht so. Dass der Landschaftsmaler Ernst Ferdinand Oehme mit seinen Bildern (hier ist noch eins von ihm) in London dabei war, hatte Neidhardt durchgesetzt. Der Dresdner Maler lag ihm am Herzen. 1997 organisierte er zum zweihundertsten Geburtstag Oehmes eine Ausstellung des Landschaftsmalers.

Der gerade im Alter von neunundneunzig Jahren verstorbene Hans Joachim Neidhardt hatte 2020 eine Autobiographie mit dem Titel Über dem Nebelmeer: Lebenserinnerungen vorgelegt. Der Sandstein Verlag stellt hier eine Leseprobe zur Verfügung, in der wir lesen können, wie sich Neidhardt damals bei seinem London Besuch fühlte. Eine Neuauflage des vergriffenen Buches ist für den März 2024 vorgesehen. Neidhardts Buch Die Malerei der Romantik in Dresden, das inzwischen zu einem Klassiker geworden ist, kann man antiquarisch noch ganz preiswert finden. Den Londoner Katalog der Tate Gallery, an dem er mitwirkte, übrigens auch. 

Bei der Vorstellung des Buches Über dem Nebelmeer: Lebenserinnerungen schrieb die Freie Presse, dass Neidhardt Caspar David Friedrich und die Romantiker in der DDR aus der Schmuddelecke geholt habe. Das ist sicherlich richtig, denn in die Schmuddelecke war Caspar David Friedrich deshalb geraten, weil ihn die Nazis vereinnahmt hatten. Weil ein Dr Kurt Karl Eberlein schrieb: der langvergessene Meister ist neuerwacht und lebt mit seiner unvergänglichen Kunst wieder unter uns. Aber ehrt und liebt ihn auch sein Volk schon genug? Lebt er auch in unserer Jugend wirklich fort? Kennt man ihn und sein Werk wirklich so, wie es jeder große Meister verdient? Man sah in Friedrich plötzlich eine nordisch-männlichen Romantik. Dazu kann man mehr lesen in Nina Hinrichs‘ Buch Caspar David Friedrich – ein deutscher Künstler des Nordens. Analyse der Friedrich-Rezeption im 19. Jahrhundert und im Nationalsozialismus

Den Dr Eberlein hatte ich schon 2010 in dem Post Caspar David Friedrich zitiert. Und die beiden älteren Damen mit Dutt und silbernen germanischen Spangen auf der Lodenjacke, die einen Katalog mit Adler und Hakenkreuz vorne drauf in der Hand hielten, die habe ich mir nicht ausgedacht. Die waren 1974 wirklich in der Hamburger Kunsthalle. Man sollte meinen, dass die Vereinnahmung Friedrichs durch die Nazis jetzt endlich vergessen sei, aber sie taucht doch immer wieder auf. In einer Besprechung der Londoner Ausstellung The romantic spirit in German art: 1790-1990 vertrat Andrew Graham-Dixon im Independent 1994 unter der Überschrift As if Hitler never existedeine etwas seltsame Meinung: This particular strain of Romanticism would mutate into one of the most virulent strains of Nazism – its evangelical, apocalyptic desire to ‚purify‘ the world of unclean elements, to make it as actually ‚clean‘ and ‚German‘ a place as the mythical landscape into which Caspar David Friedrich’s Wanderer gazes. So kommen wir von Caspar David Friedrichs Bildern zu Hitlers Reinigung der Welt. Und zu Sätzen wie: Of course, as the organisers may care to argue in their defence, German Romanticism produced many, many things that were not Nazism – but Nazism was the biggest and most dreadful thing that it did produce. Any history which pretends otherwise is a lie. Der Kurator der Ausstellung Christoph Vitali bezeichnete das Ganze in einem Interviw mit dem Spiegel als Dünnschiß.

Mit dem konfusen Gesamtkomzept der Ausstellung, die den romantic spirit als Kuddelmuddelbegriff für zweihundert Jahre deutscher Kunst gebrauchte, hatte William Vaughan nichts zu tun. Ich glaube auch nicht, dass er behaupten würde, dass die deutsche Romantk die Nzis hervorgebracht hat. Er hat an der Ausstellung mitgewirkt, aber nur für die Zeit Caspar David Friedrichs steht er im Katalog. Der Satz one of the most respected historians and critics of Romantic art in the world, mit dem das Birkbeck College Professor William Vaughan beschrieb, ist nicht übertrieben. Wenn man sich seine Publikationsliste anschaut, dann ist man beeindruckt. Zu dem Thema Romantik war er trotz vieler anderer Publikationen immer wieder zurückgekehrt. So 1980 mit dem Buch German Romantic Painting (von dem man hier viel lesen kann) und 2004 dem Buch Friedrich bei der Phaidon Press in der Reihe Art & Ideas. Zweihundert Abbildungen auf 352 Seiten, es gibt in englischer Sprache für den normalen Leser nichts Besseres. Warum wird das Buch nicht ins Deutsche übersetzt? Trauen wir den Engländern nicht zu, dass sie Caspar David Friedrich verstehen können?

Dies ist das einzige Bild von Friedrich, das die National Gallery besitzt, man hat es 1987 gekauft (der Louvre besaß schon zehn Jahre früher ein Bild von Friedrich). Damals war es das erste Friedrich Gemälde in einer öffentlichen Sammlung in England. Kenneth Clark hätte in den fünfzehn Jahren, als er Direktor der National Gallery war, Bilder von Friedrich kaufen können. Aber er hat es nicht getan. Als er 1948 an der National Gallery aufhörte, schrieb er das Buch Landscape into Art, wo er Friedrich einige Sätze im Zusammenhang mit dem Maler Samuel Palmer gönnt:If in some of his drawings Palmer’s use of decorative symbols reminds us of a Verdure tapestry, in others the freedom of his means anticipate van Gogh. In this he surpassed that other romantic landscape painter whose brooding on nature is in many respects similar to his, Caspar David Friedrich. For Friedrich, for all the intensity of his imagination, worked in the frigid technique of his times, which could hardly inspire a school of modern painting. In seiner weltberühmten Serie Civilisation erwähnt er Friedrich einmal, in seinem Buch The Romantic Rebellion: Romantic Versus Classic Art auch einmal. Das isses. Aber wir können William Vaughan dafür dankbar sein, dass er da weitermachte, wo Lord Clark gar nicht erst angefangen hat. Und weil er a sea-change in opinion with regard to this artist bewirkt, einen tiefgehenden Meinungsumschwung.

Lesen Sie auch: Caspar David Friedrich (1)

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Caspar David Friedrich (1)

Ich war erst wenige Monate im Internet, als ich den Post Caspar David Friedrich schrieb. Viele Leser, die den Post zufällig entdeckten, mochten ihn nicht; es war ihnen zu frech, was da stand. Kratzte ein wenig an der deutschen Innerlichkeit. Jetzt haben wir ein Caspar David Friedrich Jubiläumsjahr, da sollte ich vielleicht noch etwas schreiben. Weil dieser Blog ja immer ein Kunst-Blog war. Der Maler aus Greifswald (das damals noch schwedisch war) wurde am 5. September 1774 geboren, aber die Feiern zu seinem zweihundertfünfzigsten Geburtstag haben längst angefangen. In der Kunsthalle Hamburg läuft schon seit dem 15. Dezember 2023 eine große Ausstellung. Die Eröffnung der Ausstellung, bei der auch der Bundespräsident sprach, habe ich hier in einem ✺Livestream. Das Buch zur Ausstellung Caspar David Friedrich: Kunst für eine neue Zeit, herausgegeben von Markus Bertsch und Johannes Grave, ist zum Teil bei Google Books zu lesen. In Hamburg ist vielleicht die größte, aber nicht die einzige Ausstellung im Jubiläumsjahr; auch in Dresden, Leipzig und Weimar, die Hauptwerke von Friedrich besitzen, gibt es Ausstellungen.

An die große Caspar David Friedrich Ausstellung der Kunsthalle Hamburg fünfzig Jahre zuvor, für die der Hamburger Direktor Werner Hofmann nur kümmerliche 100.000 Mark vom Staat bekam, kann ich mich noch gut erinnern. Ich habe sie viermal besucht, eigentlich nicht wegen Friedrich, sondern wegen des schönen Gefühls, dass mein grüner Mitgliedsausweis der Freunde der Kunsthalle mir freien Eintritt bescherte und mich elegant an den immer länger werdenden Schlangen vorbeigehen ließ. 220.000 Besucher haben die Ausstellung damals in drei Monaten gesehen, 45.000 Kataloge wurden verkauft. Zu sehen waren damals 95 Gemälde und 137 grafische Blätter. Als Leihgaben kamen 83 Gemälde nach Hamburg, davon – und das war eine kleine Sensation – 22 Bilder aus der DDR. Es kamen auch zehn Bilder aus Russland, dem Land, das dank Wassili Andrejewitsch Schukowski neben Deutschland die größte Zahl von Caspar David Friedrich Gemälden besitzt.

Im Vorfeld der Ausstellung hatte sich Hofmann an die DDR gewandt und darum gebeten, die Friedrichs aus Dresden ausleihen zu dürfen. Das Ministerium für Kultur der DDR wusste nicht so recht, was es tun sollte, der Maler passte kaum ins politische Konzept. Der Kustos der Dresdner Gemäldegalerie Neue Meister Hans Joachim Neidhardt (der hier schon in den Posts Wanderer im Sturm und Christian Friedrich Gille erwähnt wird) handelte der DDR Führung einen genialen Kompromiss ab. Hamburg würde die Bilder bekommen, wenn er anschliessend in Dresden eine Caspar David Friedrich Ausstellung machen dürfe. Mit Hamburger Exponaten. Und so gab es vom 24.11.1974 bis 16.2.1975 im Albertinum die Ausstellung Caspar David Friedrich und sein Kreis, sie lockte 260.000 Menschen an. Den Mönch am Meer und die Abtei im Eichwald bekam Neidhardt nicht, die gehörten zum Bestand der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und auf den meldete die DDR damals juristische Ansprüche an. 

Die Hamburger Ausstellung war Teil eines über Jahre gehenden Projekts, das Kunst um 1800 hieß. Es umfasste die Ausstellungen: Ossian und die Kunst um 1800 (09. Mai 1974 – 23. Juni 1974), Caspar David Friedrich (14. Sept 1974 – 03. Nov 1974), Johann Heinrich Füssli (04. Dez 1974 – 19. Jan 1975), William Blake. Kunst um 1800 (06. März 1975 – 27. April 1975), Johan Tobias Sergel (22. Mai 1975 – 21. Nov 1975), William Turner und die Landschaft seiner Zeit (19. Mai 1976 – 18. Juli 1976), Runge in seiner Zeit (21. Okt 1977 – 08. Jan 1978), John Flaxmann. Mythologie und Industrie (20. April 1979 – 03. Juni 1979) und Goya. Das Zeitalter der Revolutionen (17. Okt 1980 – 04. Jan 1981). Ich habe alle Ausstellung gesehen, viele (zum Beispiel Nicolai Abildgaard und Apotheose) sind in meinen Blog gewandert.

Ein derartiges Ausstellungskonzept hat es, glaube ich, nie wieder gegeben. Die Ausstellungen wurden begleitet von hervorragenden Katalogen des Prestel Verlags. Am Ende der Ausstellungsreihe gab es noch eine Festschrift für Werner Hofmann, die Kunst um 1800 und die Folgen hieß. Und Hofmann hat über Friedrich auch noch das Buch Caspar David Friedrich: Naturwirklichkeit und Kunstwahrheit geschrieben. Über die Friedrich Ausstellung 1974 hatte Hofmann gesagt: Man kann ohne Übertreibung und Selbstlob sagen, dass unser Überblick das Maximum des Erreichbaren umfasst. Eine gewichtigere Ausstellung wäre weder heute noch zu einem späteren Zeitpunkt realisierbar. Der Begriff Blockbuster Ausstellung war noch nicht geläufig, aber das war es gewesen, so viele Besucher hatte die Hamburger Kunsthalle noch nie gesehen. 

Wir betrachten Friedrich immer als Einzelerscheinung, als Ausnahmeerscheinung. Selten wird er in den Zusammenhang mit Zeitgenossen gesetzt, die malerisch ganz andere Dinge machen. Dies hier ist kein Bild von Caspar David Friedrich, es ist ein Bild eines Malers, der im selben Jahr wie Friedrich stirbt: Carl Blechen. Und wir sollten immer bedenken, dass John Constable ein Zeitgenosse ist. Als Friedrich seine Kreidefelsen malt, malt Constable Weymouth Bay

Die Hamburger Ausstellungsreihe Kunst um 1800 sah Friedrich im europäischen Zusammenhang, das war selten. Das erste Mal, dass ich las, dass ein Kunsthistoriker Caspar David Friedrich im Zusammenhang mit John Constable betrachtete, war bei dem englischen Kunsthistoriker Matthew Craske. Sein Buch Art in Europe 1700-1830, das in der Oxford History of Art erschien, habe ich schon in dem Post 18th century erwähnt. Und dort auch den berühmten Roy Porter zitiert, der über das Buch sagte: This survey comes as a breath of fresh air … here is art history at long last properly embebedded in its wider historical context. 

Wir haben ungefähre Vorstellungen von der zahlenmässigen Größe von Friedrichs Werk, der ausgezeichnete Wikipedia Artikel gibt sie uns. Es ist ein Werk, das immer Verluste hinehmen musste. Zum einen durch fehlerhafte Zuschreibungen. Dieses Bild galt über hundert Jahre als Friedrich, ist aber von Carl Julius von Leypold. Das hat Werner Sumowski, international renommierter Rembrandt Experte, herausgefunden. Caspar David Friedrich lag dem Rembrandtforscher ein wenig am Herzen, da er sich über diesen Maler habilitiert hatte. Mit seinem Aufsatz im Pantheon (1971) wurden über Nacht drei Bilder von C.D. Friedrich zu Bildern von Carl Julius von Leypold. Den Museen, die diese Bilder besaßen, hat das sehr wehgetan. 

Es gibt andere Verluste. Dieses in Frankfurt gestohlene Bild, das der Hamburger Kunsthalle gehörte, ist wieder aufgetaucht. Es gibt größere Verluste, die drei Friedrichs, die der Kunstsammler Johann Friedrich Lahmann seiner Heimatstadt Bremen vermachte, gibt es nicht mehr, sie sind 1936 in München verbrannt. Ich habe hier eine Liste der Verluste. Und dann kommen noch die Verluste während der Kriegs- und Nachkriegszeit. Helmut Börsch-Supan und Karl Wilhelm Jähnig haben in ihrem Katalog: Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen, der 1973 im Prestel Verlag erschien, natürlich eine Liste der Fehlbestände. Aber das maßstabsetzende Verzeichnis Verschollene und nicht identifizierbare Gemälde, Sepien, Aquarelle, Radierungen findet sich 1970 in dem Buch Caspar David Friedrich Studien von Werner Sumowski. Die Liste umfasst 488 Nummern.

Als die Stiftung Pommern noch im Rantzaubau des Kieler Schlosses war, konnte ich mir jede Woche Caspar David Friedrich Bilder anschauen. Zum Beispiel das große Bild Neubrandenburg im Morgennebel. Ich war beinahe immer allein in den Räumen, offenbar kannte niemand dieses Kleinod einer Kollektion, in der es auch einen van Gogh gab. Man nahm mir keinen Eintritt mehr ab, man wusste, dass ich die Sammlung schon ganzseitig in der Universitätszeitung semester gewürdigt hatte. Von Zeit zu Zeit gab es oben im Vortragssaal, wo das Klavier stand, noch kleine Sonderausstellungen von Zeichnungen und Aquarellen. Die Sammlung ist nicht mehr in Kiel, sie ist da, wo sie hingehörte. Irgendwie ist das schade. Meine Museumsbesuche sind in die Posts Albert WeisgerberFerdinand von Rayskivon Kügelgen und Gotthart Kuehl gewandert.

Caspar David Friedrich tauchte hier zuletzt in dem Post Skying auf, weil ich in da Lea Singers netten Roman Anatomie der Wolkenerwähnte, der von einem Zusammentreffen von Goethe und Friedrich handelt. Mein erster Post aus dem Jahre 2010 blieb nicht das Einzige von Friedrich in diesem Blog. Drei Jahre später schrieb ich Kreidefelsen, das war ein sehr substantieller Post, den kein Leser mehr kritisierte. Hinter dem Titel des heutigen Posts steht die Zahl Eins, ich habe vor, bis zum 5. September des Jahres noch einige andere Posts zu schreiben.

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Stanley Olson

Das lange vergriffene Buch, das ich suchte, hieß Pencil Me In. Es gab bei ebay ein Exemplar, das dank der total bescheuerten Computerübersetzung den Titel Bleistift mir ein hatte. Ich habe in dem Post Pfanni denglish schon einiges über die furchtbaren Computerübersetzungen gesagt, die sich nicht nur bei ebay finden. Sie sind jetzt überall. Das Buch von Phyliss Hatfield hat den Untertitel AMemoir of Stanley Olson; und genau das ist es, eine persönliche Erinnerung an einen Freund. Stanley Olson hat keinen Wikipedia Artikel, aber einen Nachruf in der New York Times, als er 1989 im Alter von zweiundvierzig Jahren starb. Phyliss Hatfield hat ihn gekannt, sie hatte bei seiner Bar Mitzwa mit ihm getanzt. Ihre Familien standen sich so nahe, dass sie ihn ihren Cousin nennt.

Stanley Olsons Großvater Frank Olshanitsky war aus dem zaristischen Russland nach Amerika emigriert, seine Söhne Sidney and Philip Olson schufen sich ein kleines Elektronikimperium, über das man hier bei ✺YouTube einen kleinen Film sehen kannt. Ihr Bruder Irving Olson zog sich irgendwann aus dem Geschäft zurück und wurde ein bekannter Photograph. Die Universität Akron (Ohio), die er kurz besucht hatte, verlieh ihm zum hundertesten Geburtstag einen Ehrendoktor. An der väterlichen Firma hat Stanley Olson kein Interesse, er will studieren. Nicht in Akron, sondern in Boston. Die Professorin Millicent Bell wird ihn fördern und ihren graduate student einem Londoner Kollegen empfehlen. Olson bekommt einen Platz am Royal Holloway College. Man weist ihm einen Tutor zu, er braucht keine Kurse zu besuchen. Er ist einer der ersten Studenten an diesem College, das bisher Frauen vorbehalten war.

Der Sohn einer jüdischen Familie aus Ohio verwandelt sich jetzt in kürzester Zeit in einen englischen exzentrischen Gentleman. Also schneller, als anglophile Hamburger das können, die sich bei Ladage & Oelke englisch einkleiden. Howard Malchow hat in Special Relations: The Americanization of Britain? geschrieben: Stanley Olson, a Jewish American from Akron, Ohio, who arrived age twentytwo in 1969 with the intention of becoming ‚Stanley Olson, Esq.,‘ an English gentleman. Financed by his American family made wealthy through their electronics business, he led a largely solitary and fastidious ’stylish, literary life,‘ and published a biography of another expatriate, the painter John Singer Sargent

Die Professorin Millicent Bell wird in den achtziger Jahren schreiben: My former student and friend had astonishingly transformed himself into an accomplished professional writer and, even more amazingly, an Anglicized gentleman-aesthete who was a favorite of the London intelligentsia. Ihr Student, der bei seiner Verwandlung zuerst den amerikanischen Akzent ablegte und ein Englisch sprach, das Professor Higgins gefallen hätte, ist berühmt geworden. Und das verdankte er seinem Buch über den Maler John Singer Sargent, das das dritte Buch war, das er in London schrieb. Da war der Exzentriker und Dandy, der mit einem Lastenfahrrad seinen Hund Wuzzo durch Marylebone radelte, schon der Liebling der Londoner Gesellschaft geworden.

Es war nicht das erste Buch über Sargent. Kurz bevor Olson sein Buch, für das er ein Gugggenheim Stipendium erhalten hatte, vollendet hatte, war Carter Ratcliffs Buch  John Singer Sargent bei dem gerade gegründeten Verlag Abbeville Press erschienen. Das ist ein plüschiger Bildband, der einen schönen Eindruck von Sargents Werk vermittelt, aber es ist keine wirklich ernstzunehmende Biographie. Auf die Abbeville Press mit ihren großen bunten Büchern wäre der Ästhet Olson niemals gekommen, sein Buch erscheint bei der St. Martin’s Press, hinter der der Macmillan Verlag steht. Ratcliffs Buch ist aber wegen seines Bilderreichtums (und dafür war Abbeville ja berühmt) unbedingt zu empfehlen. Dies ist das typische coffee table book. In den USA ist es preisgünstig, hierzulande leider nicht. Ich habe Ratcliffs Buch damals bei seinem Erscheinen beim Strand Book Store in New York gekauft, war ein Sonderangebot. Gab’s nie wieder. Es wird nicht verwundern, dass Ratcliffs Name in Olsons Buch nur in der Bibliographie auftaucht. 

Die Rezensionen von Olsons Buch sind durchweg lobend: This exemplary biography is manifestly fascinating. (Baltimore Sun), [Olson has produced] an absorbing, detailed, comprehensive biography of this intriguing enigma of a man. (Library Journal), Olson`s prose is a rich, almost Jamesian affair, ferociously literate, archly elliptical. (The New York Times), Stanley Olson has written a superb account. (San Francisco Chronicle), John Singer Sargent is one heck of a good book. Read it. (The Washington Times Magazine), This biography conveys vividly and with considerable charm and wit a sense of the social world of the distinguished American portrait painter. (The Virginia Quarterly Review), This biography rescues Sargent…. from the shadows of his famous subjects. (United Press International). James Fenton schrieb in der Times, das Buch sei so gut, dass es einen Preis verdient hätte.

Wenn Sie den Post blaue Vasen gelesen haben, dann wissen Sie, dass ich John Singer Sargent mag. Sargent war sechsundzwanzig, als er die Töchter von Edward Boit malte. Dies soll sein bestes Bild werden, ein Vorzeigestück, über das man spricht. Er braucht als junger Maler die Kundschaft der Reichen des Gilded Age: In the years to come he worked his way through the pages of ‚Who’s Who,‘ then ‚Debrett‘ and ‚Burke’s Peerage, sagt Stanley Olson in seiner Sargent Biographie, die manchmal wundervoll gehässig sein kann. James McNeill Whistler hat Sargents malerisches Werk a sepulchre of dullness and proprietygenannt, er war immer bösartig und witzig. 

Die Frage bei diesen Malern der Reichen und Schönen des Gilded Age wie Sargent und seinem Konkurrenten Anders Zorn ist: was bleibt künstlerisch von ihren Portraits übrig? Zorn, hier eine Studie einer jungen Frau im Bus, ist dem Impressionismus näher als Sargent, dem man in seinen Gemälden immer wieder eine spektakuläre Malkunst der Oberflächlichkeit vorgeworfen hat. Wenn man Sargents Bild von Isabella Gardner mit Zorns Bild von Gardner vergleicht, dann muss man sagen, dass in Zorns Bild mehr Leben ist.

Aber Sargent kann auch ganz anders malen, wie wir auf diesem Bild von Monet am Waldrand sehen, das so gar nicht zu seinen swagger portraits passt. Stanley Olson war kein Kunsthistoriker, er will mit John Singer Sargent: His Portrait keinen Bildband vorlegen, der uns die beinahe siebenhundert Bilder und zweieinhalbtusend Aquarelle des Malers zeigt. Er weiß, dass andere, wie zum Beispiel Richard Ormond dabei sind, kritische Kataloge des Gesamtwerks zu erstelllen. Was das Bildmaterial betrifft, ist Olsons Buch dürftig: Too few illustrations of Sargent’s paintings support the narrative, and even they are very poor monochromes. What was most important to the artist is of marginal concern to his biographer. 

Ich hatte mir Olsons Buch gekauft, als es erschien. Weil ich im Observer, den ich damals noch abonniert hatte, eine sehr schöne Rezension gelesen hatte. Nachdem ich das Buch gelesen hatte, las ich es ein zweites Mal. Weil es so aufregend, ja beinahe fetzig war. Weil es stilistisch so wunderbar war. Weil hier jemand war, der etwas über den rätselhaften Menschen John Singer Sargent zu sagen hatte. Er war dem Sargent, über den er zehn Jahre lang schrieb, immer näher gekommen. So wie Tolstoi seiner Anna Karenina, die er anfangs nicht mochte, mit der Zeit näherkommt. 

Ein Ausschnitt von diesem Bild, dem berühmten Dr Samuel Jean Pozzi war schon in dem Post Eine Liebe von Swann zu sehen, weil ich auf das Buch The Man in the Red Coat von Julian Barnes hingewiesen habe. Solche Bilder, solche swagger portraits, will Sargent irgendwann nicht mehr malen. 1907 schreibt er an seinen Freund Ralph Curtis: No more paughtraits, I abhor and abjure them and hope never to do another especially of the Upper Classes. Das klingt jetzt ein wenig wie Thomas Gainsboroughs Satz: I’m sick of portraits, and wish very much to take my viol-da-gam and walk off to some sweet village, where I can paint landskips (sic) and enjoy the fag end of life in quietness and ease.

Aber Sargent meint es ernst, einen Freund wie den Maler Ambroglio Raffaele, den malt er noch. Die Pozzis der Welt interessieren ihn nicht mehr. Was für Gainsborough seine Viola da Gamba ist, ist für Sargent sein Bechstein Klavier, das in seinem Studio neben der Staffelei steht. Das ist ein Thema, das Olson, Amateurpianist und Wagnerianer (der nach Bayreuth mit acht gestärkten Frackhemden fährt), nicht auslässt. Sargents Verhältnis zur Musik hat die Forschung neuerdings immer wieder beschäftigt. Es ist viel Musikalität in Sargents Bildern, nicht nur in dem berühmten Bild der Flamenco Tänzerin

Bevor Stanley Olson sein Buch über Sargent geschrieben hatte, war er nicht untätig gewesen. Er hatte die Diaries & Letters 1930-1964 von Sir Harold Nicolson herausgegeben und eine Biographie von Elinor Wylie geschrieben. Elinor Wylie: A Life Apart war die erste Biographie über die dichtende amerikanische femme fatale. Sie schien einmal der literarische Stern Amerikas zu sein, sie ist heute beinahe vergessen. Die beste Beschreibung ihres Schaffens im Internet findet sich auf dieser Seite.

Wir wüssten wenig über Stanley Olson, wenn Phyliss Hatfield nicht Pencil Me In: A Memoir of Stanly Olson geschrieben hätte. Sie kam wie Olson aus Akron, hat in New York studiert, hat geheiratet und ist nach Seattle gezogen. Sie war freiberufliche Lektorin für mehrere Verlage. In einem dutzend Bücher danken ihr Autoren dafür, dass sie aus einem mangelhaften Manuskript ein gutes Buch gemacht hat. In der Geschichte der Literatur des 20. Jahrhunderts sind Lektoren manchmal genauso wichtig wie die Autoren. Was wäre aus Thomas Wolfe geworden, wenn er nicht Maxwell Perkins gehabt hätte? Look Homeward, Angel wäre nie erschienen. Faulkner hat Albert R. Erskine (der auch noch Cormac McCarthy betreute) gebraucht. Und so weiter. Und wenn Alfred Andersch nicht gewesen wäre, wäre Arno Schmidts Seelandschaft mit Pocahontas nicht gedruckt worden. Als ich mich in Hamburg an der Uni immatrikulierte, musste man ein Berufsziel angeben. Ich sagte: Lektor. Die Sekretärin fragte: Was ist das? Ich sagte: Hat was mit Büchern zu tun. Sie war’s zufrieden. Das Wort Lektor steht immer noch in meinem Studienbuch, ich bin aber doch etwas anderes geworden. Aber ich habe den größten Respekt vor Lektoren. Ich bin Phyliss Hatfield dankbar, dass sie dieses Buch geschrieben hat. Sie ist jetzt achtzig, es scheint ihr gutzugehen. Sie ist Mitglied im Klub der Patriotic Millionaires.

Stanley Olson hatte mit neununddreißig Jahren einen Schlaganfall, der ihn lähmte. Er hatte Schwierigkeiten, seine Sprache wiederzufinden. Sein Buch über Rebecca West wird liegenbleiben. Rebecca West hatte schriftlich verfügt, dass nur Olson ihre Biographie schreiben dürfe. Drei Jahre nach seinem Schlaganfall starb er. Kurz vor seinem Tod waren Freunde vorbeigekommen und hatten ihn gefragt, ob sie ihn auf ihren Weihnachtskarten erwähnen sollten. Er sagte: Pencil me in. Schreiben konnte er nicht mehr. Von dem Satz Pencil me in hat Phyliss Hatfield den Titel ihres Buches genommen. Auf Stanley Olsons Urne im Golders Green Columbarium steht Stanley Olson 1947- 1989 author.scholar.loved brother and son. Nach dem Gottedienst lief Wagners ✺Isoldes Liebestod auf einem Tonbandgerät. Es lief noch, als alle Trauernden die Kapelle verlassen hatten, man hatte vergessen, es abzustellen. Das hätte ihm gefallen. Den Liebestod kann man immer hören.

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sexy X-mas

So etwas gibt es heute nicht mehr. Weihnachten mit sexy Frauen in Magazinen. Also nicht in diesen Magazinen, an die Sie jetzt vielleicht denken. Dies Bild ist aus der Saturday Evening Post aus dem Jahre 1950. Es hat den Titel Clever Women are Dangerous Too. Die Geschichte zu diesem Bild können Sie hier lesen.. Das Bild ist von Joe de Mers, einem der Meister dieser Art von Illustration. You can put De Mers high on my list of under-appreciated illustrators who are long overdue for a renaissance, heißt es auf einer Seite im Internet. Bevor er für die Magazine arbeitet und die Enkelinnen des Gibson Girl aufs Papier bringt, hatte er in Hollywood als storyboard Zeichner gearbeitet. 

Sie werden sich jetzt fragen, wie ich auf Joe de Mers komme, aber das hat einen einfachen Grund. Ich habe im letzten Jahr zu Weihnachten einen Stapel dieser schönen amerikanischen Magazine aus den vierziger und fünfziger Jahren geschenkt bekommen. Und dabei bin ich natürlich auf Joe de Mers gestoßen. Die Geschichte zu diesem Bild können Sie sich selbst ausdenken. Ich war von dieser Welt der Illustrationen so begeistert, dass ich sogleich einen Post über Joe de Mers zu schreiben begann. Aus irgendeinem Grund ist der  Post bis heute liegengeblieben.

Und weil Weihnachten vor der Tür steht, gibt es heute noch ein drittes Bild von Joe de Mers mit einem Tannenbaum. Er ist nicht der einzige in dieser Zeit, der uns junge elegante Frauen auf der Suche nach einem Mann unter dem Mistelzweig und neben einem Weihnachtsbaum, zeigt. Ich habe hier eine ganze Seite, die Art Gallery: Holdiday Glamour heißt. Die reicht von den zwanziger bis in die fünfziger Jahre und sagt uns viel über den amerikanischen Geschmack.

Es gibt viel freie Flächen in seinen Bildern, die Köpfe der Frauen stehen im Mittelpunkt. Man hat das auch die big head school of illustration genannt. Joe de Mers Ehefrau Janice war seine wichtigste Beraterin. Die Kleider, die er seinen Schönheiten auf den Leib zauberte, sollten auch in der nächsten und der übernächsten Saison noch zeitlos sein. Vieles davon sieht auch heute nach siebzig Jahren noch gut aus, weil Joe de Mers das ist, was die Amerikaner einen style setter nennen.

Häufig begleiten die Illustrationen eine kleine Geschichte, oder sie sind Teil einer Kurzgeschichte. Manchmal brauchen sie keine Geschichte. Wie zum Beispiel auf diesem Bild. Joe de Mers ist, wenn wir so wollen, ein Kollege von Norman Rockwell, einem Zeichner, den ganz Amerika kennt. Aber ein Bild wie das der kleinen Ruby Bridges, das kann nur Norman Rockwell malen. Joe de Mers bleibt in der Welt des Glamour.

Dies Bild hier gehört zu einer Kurzgeschichte, der Untertitel des Bildes (einem Satz aus der Geschichte) heißt My eyes are too big, and my mouth too small, and my nose just a nose. Wir wissen, dass das nicht wahr ist. Wenn man so aussieht, dann ist man eines Tages Audrey Hepburn. Oder ein Audrey Hepburn Double.

Vieles von Joe de Mers begegnet uns noch heute. Die junge Dame aus dem ersten Absatz kann man in beliebiger Vergrößerung kaufen und sich in die Wohnung hängen. Allerdings ohne den Tannenbaum. Man kann das Bild auch als Puzzle oder als Kaffeetasse bekommen. In diesem Zimmer hat es bestimmt nie einen Tannenbaum gegeben, der passt nicht ins Design. Wer so wohnt, der braucht schon ein bisschen von einer dangerous woman.

Es sind nicht gerade Pin Ups, die Joe de Mers für die Post liefert, die Saturday Evening Post nennt diese Frauen die Leading Ladies. Ähnliches hatte es in anderen Magazinen auch gegeben. Die Devise sex sells ist längst ausgegeben: From the 1940s through the 1960s, you could read steamy romance stories in The Saturday Evening Post. We know, you’re shocked. But just as much fun as the stories were the sultry illustrations. We call them our “Leading Ladies.” Campy, vampy and, well, not always politically correct, these ladies were definitely not June Cleaver. Ich finde dieses campy, vampy and, well, not always politically correct eine wunderbare Formulierung.

Joe de Mers arbeitet auch für Esquire, die seit 1939 ein Petty Girl im Heft hatten. Da zeichnet er schon so etwas wie Pin Ups, aber immer noch an wichtigen Stellen des Körpers bekleidet. So weit wie sein Kollege Fritz Willis geht er mit seinen Illustrationen nicht. Interessant ist das Bild Reiteration vom Oktober 1946, wo de Mers und Willis dieselbe Frau malen in unterschiedlichem Bekleidungszustand malen. Wenn es sein muss, ist de Mers auch ein bisschen patriotisch, wenn er 1951 dieses Poster für die US Navy kreiert. Aber bringt das Frauen, die wie Doris Day aussehen, dazu, in die US Navy einzutreten? Immerhin sind wir schon im Korea Krieg.

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die Beecheys

Dies Bild einer Dame, die ihr Baby im Arm hält, wurde um 1800 gemalt. Wenn Sie das Bild mit Musik sehen wollen, dann klicken Sie dieses Video an. Ist Kitsch, aber nett. Der Maler Sir William Beecheyhat das Bild mit viel Liebe gemalt, denn dies ist seine Gattin Anne Phyllis Beechey. Sie ist selbst Malerin, Miniaturmalerin. Sie ist die zweite Frau des Malers, der als zweiter Maler nach Sir Joshua Reynolds vom König geadelt wird. Die beiden werden sechzehn Kinder haben. Zählen wir die fünf Kinder dazu, die Beechey aus erster Ehe mitbrachte, dann wird er wohl der Maler mit den meisten Kindern in der Geschichte der Malerei sein. Drei seiner Söhne werden Maler werden. Diese Beecheys sind eine erstaunliche Familie.

Der interessanteste von den drei Malern ist vielleicht sein Sohn Richard Brydges Beechey. Der war von ihm als Maler ausgebildet worden, ergriff aber einen ganz anderen Beruf, er wurde Marineoffizier. Malte aber offenbar in jeder freien Minute. 1832 stellte er seine ersten Bilder in der Royal Academy aus. Bis 1877 war er da jedes Jahr mit neuen Bildern zu sehen. Seine große malerische Karriere kam, als er die Navy verließ. 1857 wurde der Captain Beechey mit halber Besoldung vom aktiven Dienst freigestellt, wurde aber im Ruhestand immer weiter befördert. 1875 wurde er Rear-Admiral, 1879 Vice-Admiral und dann noch 1885 zum Admiral. Offensichtlich fördert die Royal Navy die Marinemalerei. Dieses 1883 gemalte Bild hat den Titel First Come, First Served. Es zeigt zwei Lotsenboote bei einem Wettrennen zu einem Teeclipper. Dass es Lotsenboote sind, können wir daran erkennen, dass sie ein P (für Pilot) im Segel haben.  

Richard Brydges Beechey war nicht der einzige Admiral von Williams Beecheys Söhnen. Das hier ist der Admiral Frederick William Beechey, gemalt von seinem Bruder George Duncan Beechey. Der Maler war ein Patenkind von König George III, was uns zeigt, wie sehr der König William Beechey, den Hofmaler seiner Frau Charlotte, schätzte. George Duncan Beechey wird in den 1830er Jahren nach Indien gehen und dort der Hofmaler von Muhammad Ali Shah, des letzten Nabobs von Avadh werden. 

George Duncan Beechey war kein besonders guter Maler, das Bild seines Bruders gehört wohl zu seinen besten Werken. Die Personen auf seinen Portraits wirken hölzern und ungelenk. Er hat nicht das Flair seines Vaters, der solch schöne Bilder wie dieses malt. Sir William malt das ganze Königshaus und die halbe englische Aristokratie. Alle Premierminister, den Duke of Wellingtonauch. Er fördert auch seine Schüler. Und er ist einer der ersten, der das Talent eines jungen Mannes namens John Constable entdeckt. Den wird er immer fördern.  

Beechey wird in seiner langen Karriere noch Hofmaler von George IV werden, den er 1798 als jungen Prince of Wales gemalt hatte. Das war sein Aufnahmebild für die Royal Academy. Mit dreiundachtzig Jahren verkauft Beechey seine Malutensilien und gibt das Malen auf. Wenn sich Sir William auch in der vornehmsten Gesellschaft bewegt, die feinsten Manieren hat er nicht. Das Fluchen hat man ihm das ganze Leben nicht abgewöhnen können. Wir haben da ein schönes Zitat von John Constable, wenn er an David Lucas schreibt: B was here yesterday, and said ‚Why, damn it, Constable, what a damned fine picture you are making; but you look damned ill, and you have got a damned bad cold.‘ Und Constable fährt fort: So that you have evidence on oath of my being about a fine picture, and that I am looking ill. 

Für Bilder wie dieses ist Beechey berühmt geworden. Man kann das Bild heute nicht mehr sehen, es ist 1992 in Windsor Castle verbrannt. Es war zu groß, als dass man es schnell von der Wand hätte kriegen können. Der Maler Sir William Beechey wurde heute vor zweihundertsiebzig Jahren geboren. Das wäre ein schönes Thema gewesen, um darüber zu schreiben. Doch dann schaute ich sicherheitshalber in meinen Blog. Und fand am 12. Dezember 2013 einen langen Post, der Sir William Beechey heißt. Hatte ich vergessen. Lohnt sich aber, das zu lesen. 

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