gesudelt, nicht gemalt

Joseph Anton Koch hatte gestern seinen  250. Geburtstag, bekam hier allerdings keine Erwähnung, da die Mondfinsternis den Vorrang hatte. Ich konnte ihn guten Gewissens auslassen, da es es am 27..Juli 2016 schon einen Post zu ihm gab. In dem allerdings eines nicht erwähnt wird: Kochs Haß auf William Turner. Der ist ja damals noch nicht so bekannt wie heute, so kann zum Beispiel Theodor Fontane Jahre nach Turners Tod schreiben: Turner ist auf dem Continente außer bei den Kunstverwandten kaum den Namen nach gekannt, und seine Bilder kennen nur jene wenigen, die zu ihren Künstlerfahrten nach Rom und Paris einen flüchtigen Besuch an der Themse gestellt haben. Turner hat nur localen Ruhm, aber an Ort und Stelle ist es ein ganz unbestrittner Ruhm.

Den ihm Joseph Anton Koch streitig macht, gesudelt, nicht gemalt (oder noch grober: cacatum non est pictum) seien Turners Bilder, verkündet Koch. Man wisse gar nicht, wie herum man sie aufhängen sollen. Und über die Ausstellung von Turners Bildern bei seinem Romaufenthalt 1828 schreibt Koch: So großer und grob gesinnter Pöbel sich auch einfand, die Ausstellung dieses weltberühmten Engländers, namens Turner, in Augenschein zu nehmen, so war die Ware doch zu sehr unter aller Kritik und unter der von der modernen Welt bewunderten Mittelmäßigkeit. Das Bild des Montblanc oben hat Turner mit 28 Jahren gemalt, da gab es die meisten Alpenbilder von Koch noch gar nicht. Wir wüssten, wie wir es aufzuhängen hätten, und wir würden nicht von gesudelt reden. Vielleicht lesen wir mit dieser Einführung den Post aus dem Jahre 2016 mit anderen Augen:

Schreibe ich über Joseph Anton Koch oder lasse ich es? Die Frage stellte mir, als ich auf das Kalenderblatt vom 27. Juli bei Wikipedia schaute. Der Maler wurde am 27. Juli 1768 geboren, in seiner Jugend hatte er noch Ziegen gehütet. Durch die Empfehlungen eines Bischofs war er zur Karlsschule nach Stuttgart gekommen, einer Militärakademie, die einige Berühmtheit hatte, weil Friedrich Schiller da auch gewesen war. Der war noch mit fünfzehn Bettnässer, was die Biographen auf den harten militärischen Drill schieben. Joseph Anton Koch hat die Militärakademie nach sechs Jahren verlassen, der mit der französischen Revolution sympathisierende Eleve kam damit einem Rausschmiss zuvor. Malte aber mal eben diese schöne Karikatur auf die Kunstpraxis an der Hohen Karlsschule.

Und floh erst einmal in die Schweiz, danach ging er nach Italien, wo er bis zu seinem Tode blieb. Die Alpen vergaß er nie, er malte viele Bilder, die man als heroische Landschaft bezeichnet. So etwas ist in der Geschichte der Malerei nicht ganz neu, schon ➱Nicolas Poussin hatte solche Bilder gemalt. Aber die Romantik wird das Thema neu entdecken, sogar der Schriftsteller Gottfried Keller wird eine solche heroische Landschaft malen.

Auf diesem Bild von Blunck, das den Bildhauer Bertel Thorvaldsen (ganz rechts am Tisch) und seine Freunde in einer römischen Trattoria zeigt, ist Joseph Anton Koch leider nicht mit drauf. Hätte er aber sein können, denn er war mit ihm befreundet, und der Katalog Künstlerleben in Rom. Bertel Thorvaldsen (1770-1844): Der dänische Bildhauer und seine Freunde hat eine Vielzahl von Einträgen für seinen Namen. Die Ateliers von Thorvaldsen und Koch werden für Jahrzehnte die Anlaufstationen für alle durchreisenden Künstler sein (auch ➱Blechen wird bei Koch wohnen). Das Bild von Detlev Blunck war übrigens schon in dem Post ➱Bertel Thorvaldsen zu sehen.

Die Landschaft mit dem Regenbogen hat Koch 1805 gemalt, es ist das Jahr, in dem er mit dem ➱Schmadribachfall beginnt. Den lässt er aber erst einmal auf der Staffelei (oder in einer Ecke des Studios) stehen, erst 1811 wird er ihn vollenden. Das Bild ist heute in Leipzig, die Neue Pinakothek München hat eine spätere Fassung. Die früheste Fassung des Bildes ist dieses Aquarell von 1794, das das Kunstmuseum Basel besitzt. Es ist in seinem Detailreichtum und der Luftigkeit der Farben vielleicht schöner als die anderen Bilder.

Koch hat sein Bild in einem Brief an seinen Freund Robert von Langer selbst beschrieben als: Eine sozusagen prachtvolle Wildnis mit Gletscherkaskaden, Wolken, welche zum Teil die Gebirge umschleiern, machen den Hintergrund aus; In der Mitte befindet sich ein undurchdringlicher Wald von Tannen und anderem wilden Gewächs und Felstrümmern und stürzenden Wassern vermischt. Der Vordergrund ist die Tiefe des Tales, von frischem Grün erfreut, mit dem brausenden Strom der Steinberg Lütschüne, in welch sich oben gedachte Wasser stürzen. Der ich aus einem solchen Bergland geboren bin und mich selbst als Kind solcher majestätischer Natur schon immer freute und deren Erinnerung mir noch jetzt tief eingeprägt ist. Auch besitze ich sehr fleißige Zeichnungen nach der Natur hiervon.

Der Maler Joseph Anton Koch wäre mir eigentlich schnurzpiepeegal. Wenn da nicht diese Reproduktion des Schmadribachfalls wäre, die ich jahrelang an die Wände verschiedener Studentenbuden gepappt hätte. Ich weiß nicht weshalb. Aber ich kenne natürlich jeden Quadratzentimeter des Bildes. Die Reproduktion ist heute nicht mehr an der Wand, die ruht in einer großen Mappe im Keller. Wenn Sie mehr über Kochs Gemälde wissen wollen, dann kann ich Hilmar Franks kleines Buch in der hervorragenden Reihe Kunststück des Fischer Verlags empfehlen. Und diese ➱Seite auf der ein Kunstpädagoge didaktisch das Bild analysiert, besser kann man es nicht machen.

Die kleine Winzerstadt Olevano hatte Joseph Anton Koch um 1803 entdeckt. Er entdeckte da nicht nur die Schönheit dieser Landschaft, er entdeckte auch eine schöne Italienerin namens Cassandra Ranaldi, die er drei Jahre später heiratete. Besonders angetan hat es Koch ein Eichenwäldchen oberhalb von Olevano, das Serpentara (Schlangenwäldchen) heißt. Das wird dann für den Rest des Jahrhunderts für alle deutschen ➱Maler, die Rom besuchen (sogar für den Deutschamerikaner ➱Albert Bierstadt), die Vorlage für das Zeichnen von Eichen sein.

Als der Maler Edmund Kanoldt (diese Zeichnung des Serpentara Wäldchens ist von ihm) 1873 erfährt, dass man den Wald abholzen und zu Eisenbahnschwellen verarbeiten will, alarmiert er den deutschen Botschafter in Rom. Und dann gibt es eine beispiellose Aktion, Künstler sammeln und spenden (der Maler Carl Schuch übernimmt ein Viertel der Kosten), um das Wäldchen zu kaufen. Und da Deutsche immer übertreiben müssen, ist das Schlangenwäldchen inzwischen zu einem heiligen Eichenhain geworden.

Was wären wir Deutschen ohne Wald? Ohne das Lindenblatt, das auf Siegfried fällt, ohne Hermann den Cherusker, ohne ➱Wolfsschlucht, ohne Eichendorffs Wälder und die Märchen der Brüder Grimm? Könnte ich jetzt stundenlang drüber schreiben. Habe ich auch schon getan, ich liste unten einmal einige Posts zum Thema Wald auf. Und ich muss natürlich das Buch von Simon Schama Landscape and Memory (Der Traum von der Wildnis) erwähnen, das ein schönes Kapitel über den deutschen Wald hat.

Die Gegend von Olevano war nicht mehr unbedingt idyllisch, jetzt im Risorgimento häufen sich in der ruhigen Gegend die Überfälle durch banditti. Die kommen normalerweise auf den Bildern von ➱Salvator Rosa vor (dies ist eins seiner Bilder), aber es scheint sie auch in der Wirklichkeit zu geben. Die Malerin Louise Seidler (die Sie schon aus dem Post ➱Georg Friedrich Kersting kennen) hat in ihren Lebenserinnerungen davon berichtet, wie Briganten den Baron von Rumohr überfallen wollten und den Maler Friedrich Salathè entführten. Die Geschichte geht aber gut aus.

Wenn Deutsche sich etwas vornehmen, dann führen sie das auch zu Ende (vom Flughafen Berlin-Brandenburg einmal abgesehen), das Serpentara Wäldchen (hier ein Bild von August Lucas) wird nicht abgeholzt, es bleibt in deutscher Künstlerhand. Bis heute. Denn da gibt es die Villa Serpentara, die so etwas Ähnliches wie die Villa Massimo ist.

Obgleich ich die Alpen nicht unbedingt mag, schreibe ich doch häufig über sie. Wenn Sie den Post ➱Tanzseuche anklicken, finden Sie Links zu all den Alpen Posts. Ich war noch keinen Monat im Netz, da musste ich schon über die Alpen schreiben und in dem Post ➱Ästhetik diese kleine Geschichte erzählen: Aus der Zeit von Sir Arthur Conan Doyle (dem seine Schneider besonders dicke Tweedhosen gemacht hatten, damit er die verschneiten Hänge herunter rutschen konnte) datiert auch eine kleine Geschichte, die man sich in Bremen erzählt. Wo man sich ja englischer als die ➱Engländer gibt. Das tun die Hamburger ja auch, aber die sind für die Bremer ja nicht wirklich zurückhaltend englisch, eher schon neapolitanisch leichtlebig. Also, eine Bremer Senatorenfamilie fährt mit der Eisenbahn in die Alpen. Und angesichts des Panoramas der schneebedeckten Berge und des ewigen Eises springt der Sohn auf und ruft: Guck mal, Vadder. Was scheun. Die Alpens. Und der Vater sagt: Junge, exaltier Dir nicht so. Worauf die Mutter, das Verhalten des Juniors erklärend, einwirft: Das musst Du verstehen, er studiert ja nun schon ein Semester in Hamburg.

Es wird nicht verwundern, dass es in einem Blog namens SILVAE manchmal um Wälder geht. Lesen Sie auch: silvae: Wälder: Lesen, Eisenhammer, Deutsche Romantik, Wolfsschlucht, Lützow, Moritz von Schwind, Vollmond, Caspar David Friedrich, Adalbert Stifter, Zweite Heimat, Carl Blechen

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schönes Huhn

Edward Hopper hat heute Geburtstag. Der amerikanische Maler war allerdings schon so häufig in diesem Blog, dass wir es uns heute ersparen können, über ihn zu schreiben. Diesen kleinen Cartoon möchte ich Ihnen allerdings nicht vorenthalten. Wenn Ihnen nach mehr vom Meister der amerikanischen Einsamkeit zu Mute ist, dann lesen Sie die Posts: Edward Hopper, Einsamkeit, ythlaf, Jo Hopper (und Eddie). Oder geben Sie Hoppers Namen in das Suchfeld ein, dann gibt es noch viel mehr.

Wir springen einmal nach Frankreich, zu einem anderen Geburtstagskind, von dem ich Ihnen ein erstaunliches Bild zeigen möchte. Das hier ist es noch nicht, das ist der Maler Jean-Baptiste Isabey. Er war ein Schüler von Jacques Louis David und war der Hofmaler von Napoleon. Nach Napoleons Sturz gelang es ihm geradezu übergangslos, für die Bourbonen zu arbeiten, da ist er ebenso flexibel wie Goya. Isabey wird beinahe alle gekrönten Häupter Europas malen. Hier haben wir ihn mit seiner kleinen Tochter, gemalt von François-Pascal Simon, den man auch Baron Gérard nennt. Der malt sich ebenso wie Isabey durch Europas haute volée, Madame Récamier hat er auch gemalt.

Isabeys Sohn Louis Gabriel Eugène, der am 22. Juli 1803 in Paris geboren wird, ist auch Maler geworden. Das mit dem Geburtsort Paris ist etwas ungenau: er wird im Louvre geboren. Da wohnt die Familie Isabey mittlerweile. Eugène wird Frankreichs bedeutendster Marinemaler des 19. Jahrhunderts werden. Wenn dieses Bild ein klein wenig nach John Constable aussieht, dann ist das kein Zufall. 1824 finden sich Isabeys Werke ebenso wie die von Constable und seinem Freund Bonington im Pariser Salon wieder.

Isabey malt sich durch Nordfrankreich (hier Le Tréport, das schon einen Post hat), ein früher Vertreter der Freiluftmalerei. Er wird berühmte Schüler haben, zu denen Boudin und Jongkind gehören, den deutschen Maler Eduard Hildebrandt nicht zu vegessen. Das alles lassen wir mal beiseite, weil ich Ihnen ja ein erstaunliches Bild zeigen möchte.

Nacht, dunke Nacht, ein schwarzes Schiff, in das etwas geladen wird – wir wissen nicht was es ist. Wenn wir erfahren, dass hier die Überführung der Asche Napoleons an Bord der Fregatte Belle Poule am 15. Oktober 1840 dargestellt ist, wird uns vieles klarer. Wikipedia hat zu diesem Thema einen exzellenten Artikel, leider nur in Französisch. Man holt Napoleon heim von St Helena. Die Fregatte, die seine sterblichen Überreste befördert, wird vom Sohn des Königs kommandiert. Man hat das Schiff für diese Reise schwarz gestrichen und eine chapelle ardente eingebaut. Die Franzosen sind groß in Zeremonien.

Einen kleinen Schönheitsfehler hat das Ganze allerdings, und das ist der Name des Schiffes. La belle Poule heißt das schöne Huhn. Einst wurde Napoleons Adler durch Europa getragen, jetzt sind wir bei Hühnern angekommen. Du sublime au ridicule il n’y a qu’un pas, soll Napoleon gesagt haben.

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Emanuel Gottlieb Leutze

Mein Weg führt mich in diesem Winter nach Amerika zurück. In Deutschland blühen meine Rosen doch mal nicht, schreibt Emanuel Leutze in einem Brief an seinen Freund, den Kommerzienrat Julius Erhard. In seinem Geburtsort Schwäbisch-Gmünd wird man 2016 zu Leutzes zweihundertstem Geburtstag eine kleine Leutze Ausstellung veranstalten. Das One-Hit-Wonder in der Malerei hat die FAZ ihren Bericht über die Ausstellung betitelt. Der eine Hit des Malers, der heute vor 150 Jahren starb, ist natürlich das Bild Washington Crossing the Delaware. Das hier schon mit Trenton, Weihnachten 1777 und Washington crossing the Delaware zwei Posts hat. Leutze hatte vor fünf Jahren auch schon einen, den stelle ich heute hier noch einmal hin.

Leutzes Bilder sind weniger für ihre künstlerische Qualität als für ihr patriotisches Pathos bekannt. Die beiden genannten Werke zählen fest zur nationalen Ikonographie der USA und wurden entsprechend oft karikiert. So steht es im Wikipedia Artikel für Emanuel Leutze. Es gibt bessere Maler in Deutschland und in Amerika in dieser Zeit. Aber wie viele Maler haben Bilder gemalt, an die sich eine ganze Nation noch ein Jahrhundert später erinnert? Dies Bild hier ist nicht ganz fertig geworden, Washington scheint hier in einer Eiswüste zu stehen. Aber wir erkennen trotz des unvollendeten Zustands, dass das Bild (heute im Privatbesitz) einmal eine Kopie von Washington Crossing the Delaware werden sollte.

Das Bild Washington Crossing the Delaware hat natürlich längst einen Wikipedia Artikel. Leider enthält der englische Wikipedia Artikel inzwischen auch diese zwei komischen Geschichten, die mir immer in den Sinn kommen, wenn ich das Bild sehe. Deshalb sind sie leider nicht mehr neu, aber ich bringe sie trotzdem noch einmal. Fangen wir mit Washingtons Taschenuhr an (hier gibt es mehr zu Uhren in Amerika). Damals trugen die Herren ihre Taschenuhren noch nicht versteckt in der Westentasche, sondern ließen sie an einem gewirkten Band oder einer chatelaine an der Hose baumeln. So ähnlich trugen Verbindungsstudenten später ihren Bierzipfel. Leutze hat Washingtons Taschenuhr völlig historisch korrekt auf den pantalons plaziert. Hat auch hunderte von Jahren niemanden gekümmert.

Bis eines Tages, und da zitiere ich mal die Wikipedia zur Beantwortung der Frage How daft can you get?: as recently as 2002, American grade school administrators stepped in to alter textbook reproductions of the painting because Washington’s watch fob was painted too close to his crotch for their comfort, possibly resembling male genitalia. Ja, wenn amerikanische Eltern und Schulbehörden empört sind, das ist immer schön. Man dachte, die Blamage der geistigen Hinterwäldler hätte mit dem Affenprozess aufgehört, aber man lernt nie aus.

Die zweite Geschichte, an die ich immer denken muss, hat etwas mit dem etwas makabren Witz zu tun, dass nachdem das Bild von Leutze in der Kunsthalle in Bremen verbrannte (hier ein Schwarzweißphoto der Originalversion), jemand das Bonmot aufbrachte, dass dies die Rache der Engländer für die amerikanische Revolution sei. Dazu zitiere ich einmal David Hackett FischerJust after it was completed, a fire broke out in the artist’s studio, and the canvas was damaged in a curious way. The effect of smoke and flame was to mask the central figures of Washington and Monroe in a white haze, while the other men in the boat remained sharp and clear. The ruined painting became the property of an insurance company, which put it on public display. Even in its damaged state it won a gold medal in Berlin and was much celebrated in Europe. It became part of the permanent collection of the Bremen Art Museum. There it stayed until September 5, 1942, when it was destroyed in a bombing raid by the British Royal Air Force, in what some have seen as a final act of retribution for the American Revolution

Leutze hat sein patriotisches Bild, das wohl als Kommentar auf die deutsche 1848er Revolution gelesen werden kann, in Deutschland gemalt. Viele tausende von deutschen Betrachtern haben die Botschaft des Bildes, dass man auch in verzweifelter Lage einen Sieg erringen kann, wenige Jahre nach 1848 durchaus verstanden. Dass man bei Leutze in seinen Bildern immer wieder Symbole der Freiheit findet, hat Barbara Groseclose (die 1973 eine Dissertation über Leutze schrieb und 1975 die erste große Leutze Ausstellung organisierte) herausgestellt.

Es ist sicher kein Zufall, dass die amerikanische Flagge (die natürlich damals ganz anders aussah als Leutzes Flagge) im Bildmittelpunkt ist, auf vielen patriotischen Bildern der 1848er Revolution ist sie als einigendes Element auch im Zentrum des Bildes. Im Revolutionsjahr 1848, als Leutze zum Vorsitzenden der Düsseldorfer Malervereinigung Malkasten gewählt wurde, sagte er: Ganz Deutschland ist vereinigt und frei… wir möchten alle zusammengehören und auf die Fahne von Mutter Deutschland schwören. Wenn auch die Flagge Washingtons nicht so ganz stimmt, manches ist korrekt an diesem Bild. Leutzes Freund Worthington Whittredge steht ihm in einer Kopie von George Washingtons Uniform Modell. Und alle auf dem Bild Dargestellten sind übrigens Amerikaner gewesen, die Leutze in Düsseldorf Modell saßen.

Der Sohn eines nach Amerika emigrierten politisch Verfolgten war aus Philadelphia nach Deutschland zurück gekommen, um an der berühmten Düsseldorfer Akademie zu studieren, wo er sich 1841 als Historienmaler einschrieb. Nicht als Student. Er hat schon erste Erfolge in Amerika gehabt, er will nicht als Anfänger behandelt werden. Offiziell studiert er zwar bei Carl Friedrich Lessing, aber das Leben an der Akademie gefällt ihm ganz und gar nicht, und so findet sich 1841 unter seinem Namen folgender Eintrag in der Schülerliste: Quartal 1841, 26 Jahre, Historienmaler, Anlage: sehr gut, Fleiß: kommt sehr unregelmäßig, Betragen: sehr gut. Hat den Columbus, gefangen nach Spanien zurückkehrend gemalt. Ist abgegangen. München und Italien waren verlockender. Hier tritt Columbus gerade vor die Königin, die Ketten hat man ihm abgenommen, sie liegen vor ihm auf dem Boden. Historienbilder sind wie riesige Puzzles, man kann stundenlang in ihnen Neues entdecken.

Er wird noch mehrere Bilder mit dem italienischen Entdecker der neuen Welt malen. Aber auch ein Bild mit anderen Entdeckern: hier landen gerade die Wikinger in Amerika. Das Bild hat er 1845 gemalt, da ist er wieder in Düsseldorf. Wenn ihm die Akademie auch nicht zusagt, das Künstlerleben gefällt ihm da sehr gut. Er hat hier auch 1845 geheiratet. Und hier wird er für die nächsten vierzehn Jahre bleiben.

Ich weiß nicht, wie es in der Wirklichkeit um seine nautischen Kenntnisse bestellt ist, aber er hat so eine unheilvolle Tendenz (schon bei dem Washington Bild), möglichst viele Personen in einem Boot unterzubringen. Bei diesem Bild des Neusser Männergesangvereins macht man sich (wie bei dem Bild von Tizian auf der Lagune) schon Sorgen, dass irgendwann einer der fröhlich Feiernden in den Rhein fällt. Und wie die bacchantischen Wikinger da oben mit einer Nussschale von Boot über den Atlantik gekommen sein wollen, das weiß niemand. Eine der Maximen von Leutzes Historienbildern (wahrscheinlich der Historienmalerei überhaupt) scheint diese willing suspension of disbelief zu sein, von der Coleridge gesprochen hat.

Es ist jetzt die Zeit der überfüllten Boote in der Malerei, ob das Delacroix‘ Dante Barke, Gericaults Floß der Medusa oder Richters Überfahrt am Schreckenstein sind. Und man muss natürlich sagen, dass Leutze keinesfalls der erste ist, der das Ereignis der Überquerung des Delaware im Bild festhält. Ich finde das Bild von Edward Hicks (das ja nichts als eine Kopie von Thomas Sully ist) in seiner Schlichtheit rührend.

So sensationell der Erfolg des Bildes Washington Crossing the Delaware war, soll das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Leutze als Historienmaler schwer hat. Anschlussaufträge, auf die er hofft, trudeln nicht ein. Zwar beauftragt ihn der amerikanische Bankier und Sammler David Leavitt 1853 mit dem Bild Washington Rallying the Troops at Monmouth (7,30m x 4,60m groß), aber Leutze hatte sich mehr vom amerikanischen Markt versprochen. Der Regierungsauftrag für Westward the course of empire takes its way kommt erst viel später.

Auch dieses Bild war weit davon entfernt, eine große Öffentlichkeit zu erreichen, erst 1993 hat es die Doe Library in Berkeley wieder aufgehängt. Den größten Teil des Jahrhunderts davor hatte es im Keller verbracht, man hatte an der Universität von Berkeley völlig vergessen, dass man das Bild, das eine Art Komplementärbild zu Washington Crossing the Delaware sein sollte, überhaupt besaß. Man hielt die verkleinerte Kopie in Monmouth, die Leutze 1857 gemalt hatte, für das Original.

So ganz glücklich scheint man da heute immer noch nicht über das Bild zu sein. So heißt es auf einer offiziellen Universitätsseite über das Bild. The history that was lived around the East Reading Room highlights what Leutze’s ‚Washington Rallying the Troops at Monmouth‘ left out of the real history of the Revolution. A century and a half ago, the painter was obsessed with control and command: General Washington taking over from an incompetent General Lee and keeping his men in the fight. Then, and now, this is not a tale of the Revolution that Americans grow up with. What we do know about the Battle of Monmouth is that Molly Pitcher took charge of a cannon and brought water to the soldiers. Leutze left her out in his sweep of the battlefield; the Library forces call her to mind.  Nun ist die Molly Pitcher Geschichte eine Sache, die sicherlich randständig ist (und deren Wahrheitsgehalt von Historikern bezweifelt wird), aber wenn das in Berkeley für die wahre Geschichte der Schlacht von Monmouth genommen wird, was soll man dazu sagen?

So bekannt Leutzes Historienbilder geworden sind: wir müssen wohl Abschied von der landläufigen Vorstellung nehmen, dass der Mann, der sich 1841 in Düsseldorf als Historienmaler einschrieb, nur Historienbilder gemalt hat. Denn von den sechsundvierzig Bildern, die er zwischen 1848 und 1863 in Düsseldorf und in Amerika malte, sind die meisten Bilder Portraits. Das ist nun ein ganz anderer Leutze, den wir hier auf dem Bild einer Dame mit zwei Söhnen (1844) sehen. Nicht groß und spektakulär, keine nationalen Emotionen heraufbeschwörend, sondern eher brave deutsche biedermeierliche Bürgerlichkeit. Aber diese Bilder Leutzes sind weniger bekannt, weil sie meistens in Privatsammlungen verblieben sind und im Inventar der Bilder im Internet nicht auftauchen.

Dies ist der amerikanische Dichter Nathaniel Hawthorne, der sich 1862 in Washington von Leutze hatte malen lassen, als der gerade damit beschäftigt war, im Capitol das große (6.1 m × 9.1 m) Westward the Course of Empire Takes Its Way zu malen. Hawthorne hat das Wandgemälde als emphatically original and American beschrieben. Mit seinem Portrait war er durchaus zufrieden. Er schrieb seinem Verleger aus Washington I stay here only while Leutze finishes a portrait which I think will be the best ever painted of the same unworthy subject. Und in einem Brief an seine Frau Sophia schreibt er selbstironisch: the world is not likely to suffer for lack of my likeness.

Viele Bilder Leutzes beruhen eher auf einer Anekdote als auf der historischen Realität. Mrs Schuyler, die ihren Weizen verbrennt, wäre solch ein Fall. John Milton, der dem Diktator Cromwell auf der Orgel vorspielt, ein anderer. Zwar hat Milton (der Sohn eines berühmten Amateurmusikers) Orgel gespielt, aber dass er sie für Cromwell gespielt hat, ist nur ein Märchen. Auf dem Bild Evening Party at Milton’s (das durch den Kupferstich von Fritz Dinger in Deutschland eine große Verbreitung erhielt) sitzen Oliver Cromwell und Familie mit der Crème de la Crème seiner Militärdiktatur – Algernon SydneyJohn Thurloe (dem Chef des Geheimdienstes) und dem General Henry Ireton – friedlich im Wohnzimmer von John Milton. Cromwell stocksteif und ungerührt (obwohl er angeblich die Musik liebte). Das Bild entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, Cromwell hatte längst die Orgeln in den Kirchen verboten, für die Hausmusik scheinen sie erlaubt zu sein. Der Dichter Milton bleibt auf seinem kleinen Schemel (der ein wenig an Glenn Goulds Klavierstuhl erinnert) im Dunkel. Wie die Kunst in der Zeit der Militärherrschaft.

Emanuel Leutze, Deutsch-Amerikaner, ist heute vor 150 Jahren gestorben. Er war ein Wanderer zwischen beiden Welten. In Düsseldorf, wo er Washington Crossing the Delaware und Washington Rallying the Troops at Monmouth malt, hofft er auf die amerikanischen Kunden. Wenn er wieder in Amerika ist, träumt er davon, dass die Düsseldorfer Akademie ihn als Professor berufen würde. Ebenso dunkel wie John Milton bleibt Leutzes Freund Worthington Whittredge auf diesem Bild. Eigentlich ein schönes Bild, wenn es nicht in diese braune Soße des 19. Jahrhunderts getaucht wäre. So frei wie Frank Duveneck eine Generation später wagt Leutze noch nicht, mit der Farbe umzugehen. Ich mag Leutze nicht besonders, aber ich habe ja schon mehrfach gestanden, dass ich mit dem ganzen Kitsch der Historienbilder aufgewachsen bin. Ich konnte kaum lesen, aber die Bilder mit den vielen heroischen Menschen, die wie eingefrorene tableaux vivants darstanden, haben mich immer fasziniert.

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Marinemalerei

An den Wänden des großen Saals im ersten Stock unseres Heimatmuseums in der Weserstraße hingen Ölbilder (und einzelne Reproduktionen) von dem, was die Kunstgeschichte unter dem Begriff →Marinemalerei subsumiert. Die Marinemalerei gilt als Sondergattung der Landschaftsmalerei. Die regionalen Erzeugnisse von Malern an Nord- und Ostseeküste, die Unterabteilung Kapitänsbilder, auf denen liebevoll und manchmal ein wenig naiv ein einziges Schiff abgebildet ist, sind für Kunsthistoriker kein wirklich ernstzunehmendes Thema. Ist schon an der Grenze zur Volkskunst, zum Buddelschiff, zu →Scrimshaw und →Puffhunden. Dennoch mag man diese Bilder, die den Reiz des Dilettantischen mit pedantischer Sorgfalt im nautischen Detail vereinen. Auch wenn sie schon mit großer Routine gemalt sind, wie hier Fedelers Walfangbild aus der Südsee. Ein Bild, das von einem Maler aus dem Ort gemalt ist und auf den Walfang verweist, der den Ort im 19. Jahrhundert groß gemacht hat.

Kunsthistoriker beschäftigen sich mit den holländischen Meistern der Marinemalerei des 17. Jahrhunderts oder dem ideologischen Gehalt der Bilder von Hans Bohrt oder Willy Stöwer. Den Rest überlässt man den lokalen Historikern. Über Hans Bohrts →Der letzte Mann ist mehr geschrieben worden, als über die beiden Fedelers aus Bremen und Bremerhaven, Fritz Müller aus Bremen und Oltmann Jaburg aus Vegesack. Kunsthistoriker, die die See kennen wie Werner Timm oder Boye Meyer-Friese sind rar.

Wenn auch das schönste Bremer Museum, das Focke-Museum, auf dem Gebiet der Kapitänsbilder mehr zu zeigen hat als wir (die besitzen mehr als 160 Kapitänsbilder), ansehnlich ist der Bestand des Heimatmuseums (Bild) schon. Allerdings haben wir leider keinen so einen schönen Katalog wie Schiffe aus Bremen: Bilder und Modelle im Focke-Museum von Johannes Lachs.

Keiner der Bremer Maler hatte eine akademische Ausbildung, aber die Bildkomponenten, auf die es ihren Auftraggebern ankommt, die detailgetreue Wiedergabe von Schiff, See und Himmel, die kriegen sie schon sehr gut hin. →Fritz Müller ist als Kapitän zur See gefahren (und war Leutnant in →Admiral Brommys Flotte), er soll im amerikanischen Bürgerkrieg gefallen sein. Sein Leben bleibt ein großes Geheimnis. Andere Maler haben zumindest längere Seereisen unternommen. Auf diesem Bild von  Müller ist die Bark C. J. Borgstede mit der Bremer Speckflagge zu sehen.

Oltmann Jaburg hat zusammen mit seinem Bruder, dem Portraitmaler Addig Jaburg, noch ein kleines Zusatzgeschäft. Die beiden malen in den Sommermonaten Sommergäste auf Norderney, das jetzt ein fashionables →Seebad geworden ist, und eine gut verdienende Klientele bestellt gerne bei den Jaburgs. Der König von Hannover macht hier Urlaub. →Klaus Groth wird zum Ärger seiner Frau da sofort wieder abreisen, weil er dem nicht vorgestellt werden will: Ferner machte Klaus eine Reise nach Norderney, um Großvater dort zu seinem 84sten Geburtstag zu begrüßen. Dies endete etwas unglücklich u. hinterließ deshalb eine Mißstimmung. Der König von Hannover kam auf Norderney an. Großvater wünschte, daß Klaus sich ihm vorstellen ließe. Klaus wollte es nicht u reiste Knall auf Fall ab, weil er es dort bei längerem Sein nicht hätte vermeiden können.

Oltmann Jaburg betreibt nebenbei ein photographisches Atelier und wird zu seinem Lebensende Schiffe nicht mehr malen, sondern photographieren. Auf die Idee sind Marinemaler weltweit auch schon gekommen. Kapitänsbilder sind teuer, das kann sich nur ein Kapitän oder ein Steuermann leisten. Wenn der Deutschamerikaner John Henry Mohrmann in Antwerpen um 1900 für ein Bild fünfzig Mark nimmt, dann ist das der halbe Monatslohn eines Steuermanns.

Für die Mannschaften bleibt da nur die Photographie: In Melbourne keem’n Schippsmaler an Buurd. Dee hett mi een Bild maalt för twintig Mark. He hett dat Bild ok photographiert – de Photographie verköfft he an de Besatzung för eenen Schilling.

Noch eine Stufe preiswerter bietet in Amerika die Firma Currier&Ives Lithographien von dramatischen Schiffszenen an. Aber auch hierzulande gibt es Pfennigdrucke aus der Bildergalerie des Volkes. →Theodor Fontane wird in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg ausführlich auf Schiffsdarstellungen in den →Neuruppiner Bilderbögen eingehen. Natürlich sind es dramatische Ereignisse, die er hier erwähnt: die brennende Birkenhead und die zwischen Eisbergen zertrümmerte Präsident. Etwas weniger Dramatisches hätten wir vom Autor von John Maynard ja auch nicht erwartet.

Kapitäne auf Ostasienfahrt lassen ihre Schiffe häufig von Chinesen malen. So wie findige Schneider in Hongkong heute für ihre Kunden Anzüge von Schneidern der →Savile Row für die Hälfte des Preises kopieren, unterbieten die Maler der chinesischen Schule im 19. Jahrhundert ihre westliche Konkurrenz an Nord- und Ostsee. Den Detailreichtum der Schiffe kriegen sie auch immer minutiös hin, aber mit den Wellen und den Wolken hapert es etwas, alles ist eindimensional flächig, es gibt keine Tiefe des Raumes.

Das können die Bremer, von den Fedelers bis zu den Jaburgs besser, sie können Wasser, Wellen und Wolken mit einer perfekten Transluzität in jeder Farbe und Stimmung malen. Die Bremer Maler sind in jedem Werk zu deutschen Marinemalerei repräsentativ vertreten, am schönsten in dem oben erwähnten Katalog des Focke-Museums Schiffe aus Bremen. Ein Blumenthaler Amtsrichter namens Peter-Michael Pawlik, der sich bei seiner Beamtentätigkeit offenbar langweilte, hat in seinem dreibändigen Werk, für das ihm jeder Bremer dankbar sein muss, →Von der Weser in die Welt, alle an der Weser gebauten Segelschiffe erfasst.

Er hat in →Band II auch einen kurzen, aber gut recherchierten Abriss über die Bremer Marinemaler. Und natürlich auch alle Kapitänsbilder von diesen Schiffen. Das Werk ist leider sehr teuer, ist aber jeden Cent wert. Vor einem halben Jahrhundert hätte man für das Geld noch einen Carl Fedeler (Bild) gekriegt, jetzt liegt so etwas bei internationalen Auktionshäusern bei 10.000 bis 15.000 $ Eröffnungsgebot. Und selbst ein nicht signiertes Ölbild, das seinem Vater Carl Justus Fedeler nur zugeschrieben wird, brachte vor Jahren über 7.000 Euro.

Oltmann Jaburg (hier seine Havarie auf hoher See) aus Vegesack ist nicht ganz so gefragt, bringt aber doch zwischen 3.000 und 6.000 Dollar. Die Preise sind im Steigen, wenn auch bei manchen Bildern aus einem kuriosen Grund. Viele der von den Bremer Marinemalern gemalten Schiffe haben Auswanderer nach Amerika transportiert. Auf der Suche nach einer eigenen Familiengeschichte, nach ihren roots, versuchen die Amerikaner jetzt, an Bilder jener Schiffe zu kommen, die ihre Vorfahren von Bremen, Bremerhaven oder Hamburg nach Amerika gebracht haben.

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Zwieback

Der Post über den →Vegesacker Markt wurde viel gelesen, das war nett. Ein Leser, der noch Photos aus den fünfziger Jahren an die Mail hängte, gestand mir, dass er mal bei Haberjahn vom Pferd gefallen ist. Konnte mir nicht passieren, da ich um Pferde einen großen Bogen mache, das steht schon in dem Post →Derby. Mein Freund Peter aus Hamburg schickte mir – er schreibt immer alles klein – ein Résumé seiner Marktbesuche: woran ich mich noch erinnere: scherenschnitte / profile, immer mehrere blatt uebereinander, wir haben noch 2 von unseren grossen soehnen; eine frau mit einer singenden saege; ein botanisches wunder: rose von jericho; aber auch praktisches: fleckenentferner; messerschleifer; die losverkaeufer in immer etwas schmuddeligen kitteln; achterbahn; dosenwerfen, entenangeln, geisterbahn, zuckerwatte, liebesaepfel, gebrannte mandeln, jenes fahrgeschaeft, in dem einem der boden unter den fuessen weggezogen wurde in einem sich schnell drehenden zylinder, aber auch die die ganz harmlosen „und dann und wann ein weisser elefant“: feuerwehrautos, riesenschwaene, die glocke zur anzeige des fahrtendes, glueckliches zuwinken von eltern und kindern im vorbeifahren.

Ich möchte noch einmal auf die im Post Jahrmarkt erwähnte Bäckerei Schnatmeyer zurückkommen. Weil ich da nicht nur Brötchen gekauft habe, sondern auch Zwieback. Der Bremer Zwieback hat wenig mit dem zu tun, was man gemeinhin unter Zwieback versteht, es ist ein sechseckiges Brötchen. Oben und unten kross, in der Mitte leicht süßlich. Sehr lecker. War auch teurer als das normale Brötchen. Der Bremer Zwieback gehört auf die Rote Liste der vom Aussterben bedrohten Brotarten, titelte die →taz einmal. Die Bäckerei Schnatmeyer ist seit dem Jahre 1821 an dieser Stelle, da sind die Schnatmeyers in das Haus eingezogen, das sich der Schwiegervater, der Bäckermeister und Ortsvorsteher Berend Harbers, 1798 hatte bauen lassen. Das gelbe Haus links daneben ist jüngeren Datums, darauf komme ich noch zu sprechen.

Im 19. Jahrhundert versorgten sie noch nicht die Nachbarschaft mit Brötchen und Zwieback, da rüsteten sie Schiffe aus. Meistens Walfänger. Da lieferten sie zum Beispiel dem Kapitän Wischhusen für den Walfänger Grönland 2.801 Pfund Hartbrot, 110 Pfund feine Cakes, ein Fass Zwieback, 25 Pfund ordinäre Cakes und 3.330 Pfund Weichbrot. Die hier erwähnten Cakes (von denen sich unser Wort Keks ableitet) bestanden aus Weizenmehl und wurden je nach den Zutaten als fein oder ordinär geliefert. Für das steinharte Brot, das in der Form einem übergroßen Pferdehuf ähnelte und deshalb beim Schiffsvolk Peerfööt genannt wurde, garantierte Schnatmeyer die Haltbarkeit für die Dauer eines Jahres. Es hielt manchmal auch länger: Zwei Jahre waren wir derzeit bereits auf großer Fahrt unterwegs, doch der braune Vegesacker Schiffszwieback hatte sich gut erhalten. Vom Zahn der Zeit und von der bösen Mehlmotte unverdorben, schmeckte er uns wie lang entbehrtes Konfekt.

Neben Schnatmeyer stand das →Hotel Bellevue, in der Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut, inzwischen längst abgerissen. Wie der halbe Ort. Man kann ja froh sein, dass Schnatmeyers Haus noch steht. Es ist neuerdings rot, früher war es weiß, sah besser aus. Da merkte man noch, dass es ein Gebäude des Klassizismus war. Das Landesdenkmalamt hatte natürlich recht, dass es bei einer Renovierung darauf bestand, dass die weiße Farbe verschwand. Denn schon in Rudolf Steins Klassizismus und Romantik in der Baukunst Bremens können wir lesen, dass das Rotsteinmauerwerk erst in neueren Zeit weiß überschlämmt wurde. Der kleine Anbau auf der rechten Seite, das war die Keksfabrik, ist leider 1980 verlorengegangen. Man braucht keine große Backstube mehr, weil man keine Walfänger mehr mit 2.801 Pfund Hartbrot ausstattete. Und Zwieback kann man hier auch nicht mehr kaufen, die Bäckerei wurde 1969 aufgegeben.

Ein Bauwerk wird bei Rudolf Stein nicht erwähnt, und das ist der Stollenbunker der hinter der Keksfabrik in den Hang eingegraben war. Er diente den Anwohnern in den letzten Kriegstagen als Schutz, als die Engländer den Ort von Lemwerder aus beschossen. Zwischen Schnatmeyer und dem Hotel Bellevue war eine kleine Flakstellung eingerichtet worden, bemannt von Fünfzehnjährigen. Wenn der Engländer kommt, dann verschwindet ihr aber im Bunker, hatte der alte Schnatmeyer ihnen gesagt. Hier wird wenige Tage vor Kriegsende der Studienrat Dr. Alwin Belger, der Lieblingslehrer meiner Mutter, durch einen Tiefflieger zu Tode kommen. Nur wenige Meter entfernt von unserem Heimatmuseum, in dem er die letzten Jahrzehnte mit der Aufarbeitung des Gerhard Rohlfs Nachlasses verbracht hat. Er wollte mal eben durch das Fernglas der Flakstellung neben Schnatmeyer schauen, wäre er im Museum geblieben, wäre ihm nichts passiert. Man hatte ihn noch auf eine Schubkarre vom Polstermeister Ühne Flügel auf der anderen Straßenseite gelegt und zum Hartmannstift fahren wollen, aber es war ihm nicht mehr zu helfen. Sein geplantes Buch Die große Zeit deutscher Afrikaforschung und deutscher Kolonialarbeit: Nach dem Briefwechsel von Gerhard Rohlfs ist nie erschienen.

Im Haus Weserstraße 83 wohnt noch immer eine Familie Schnatmeyer, man kann da gut wohnen. Es gibt hier nicht viel Verkehr, und nach hinten hinaus hat man einen schönen Blick auf die Weser. Im Nachbarhaus No 84 möchte ich nicht wohnen, ein gruseliger Protzstil, innen wie außen. Erbaut zur Hochzeit von →Heinrich Friedrich Bischoff und →Marie Danziger, haben hier Reeder und Werftbesitzer gewohnt. Dann kam ein Oberlehrer Dr Heinrich Leo, dessen Nachkommen hier das ganze 20. Jahrhundert wohnten. Einer dieser Nachkommen, Per Leo, hat einen Roman um das Haus und die Familie geschrieben. Heißt Flut und Boden. Schnatmeyer wird in dem Roman nicht erwähnt. Solche Nachbarn kennt man offensichtlich nicht, wenn man in Nummer 84 wohnt.

Postscriptum: Sorry. Per Leo hat mich darauf hingewiesen, dass Schnatmeyer doch in seinem Roman zu finden ist. Die Stelle findet sich auf Seite 108: Jeden Abend beim Einschlafen weiß Martin, dass sich direkt neben dem Haus eine Bäckerei befindet. Durch das Flurfenster dringt der Schein ihrer Laterne in sein Schlafzimmer, und wenn es im Sommer offen steht, auch der Duft von frischem Schiffszwieback. Jeden Morgen gibt es zur warmen Milch einen davon, mit einer dicken Schicht Butter an ein Schwarzbrot geheftet.

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Italian light on English walls

Lovely indeed the mimic works of art; ⁠
But nature’s works far lovelier. I admire ─
None more admires ─ the painter’s magic skill,
Who shows me that which I shall never see,
Conveys a distant country into mine,
And throws Italian light on English walls

Darum geht es den Engländern jetzt im ↝18. Jahrhundert, ein wenig vom Lichte Italiens an den Wänden zu haben, wie es ↝William Cowper in The Task dichtet. Man hat ja sonst schon viel Italien zu Hause, weil man in ↝palladianischen Villen wohnt und sich von ↝Agenten in Rom antike Plastiken nach England schmuggeln lässt. Wenn man einen Maler braucht, der einem das Licht Italiens auf die Gemälde bringt, bietet sich Richard Wilson an, ein Waliser, der lange in Rom gelebt hat. Und der, als er nach England zurückkehrt, international berühmt ist.

Ich möchte mit diesem kleinen Post daran erinnern, dass ↝Richard Wilson, der Vater der englischen Landschaftsmalerei, heute vor dreihundert Jahren geboren wurde. Und ich hätte sicherlich auch einen langen schönen Post zu ihm geschrieben, wenn ich das nicht schon vor einem Jahr getan hätte. Das schrieb ich am 1. August 2014 in dem Post ↝Phillis Wheatley. Der walisische Maler Richard Wilson ist am 15. Mai 1782 gestorben, er war der Begründer der britischen Landschaftsmalerei. I recollect nothing so much as a solemn – bright – warm –  fresh landscape by Wilson, which swims in my brain like a delicious dream, schrieb ↝John Constable nachdem er dieses Bild von Wilson gesehen hatte.

Phillis Wheatley, die man von Afrika nach Amerika verschleppte, ist als schwarze Sklavin bei John und Anne Wheatley in Boston aufgewachsen. Ihren Vornamen hat sie nach dem Schiff bekommen, das sie im Alter von sieben Jahren von Afrika nach Amerika gebracht hat. 1773 hat sie den Sohn der Wheatleys nach England begleitet, wo sie als Wunderkind herumgereicht wurde. Ihr Gedicht ↝On being brought from Africa to America ist noch heute in jeder amerikanischen Gedichtsammlung. Dies Bild von Richard Wilson hat sie bei dem Earl of Dartmouth gesehen. Sie musste gleich ein Gedicht zu dem Bild schreiben:

Thou who did’st first th‘ ideal pencil give,

and taught’st the painter in his works to live,

inspire with glowing energy of thought,

What Wilson painted, and what Ovid wrote.

Das Gedicht geht jetzt ↝hier noch weiter, Dichter im 18. Jahrhundert sind nicht für ihre Kürze bekannt. Die Landschaft mit Niobe ist der Beginn der englischen Landschaftsmalerei, und vielleicht beginnt jetzt auch schon die Landschaftsmalerei der englischen Romantik. Das Bild macht nicht nur Eindruck auf die junge Phillis Wheatley, es wurde weithin bekannt. Weil es diesen Stich von William Woollett gab, einen Stich (der wie alle Stiche seitenverkehrt ist) von erstaunlicher Qualität.

Ihrem Gastgeber William Legge, dem zweiten Earl of Dartmouth, wird Phillis Wheatley auch ein ↝Gedicht widmen. Er ist ein einflussreicher Mann, der gerade Staatssekretär für die Kolonien (die sich 1773 noch nicht von England losgesagt haben) geworden ist. Er wird auch dafür sorgen, dass John Newton, der ↝Amazing Grace schrieb, eine Anstellung findet. Dartmouth ist nicht nur Politiker, der den Wünschen der Amerikaner wohlwollend gegenüber steht, er ist auch Philanthrop und Kunstsammler. Er wird bei seiner ↝Grand Tour 1752-1753 in Rom Bilder bei Richard Wilson bestellen, die alle ein wenig nach ↝Claude Lorrain aussehen.

Dies hier nicht, hier ist kein Platz für einrahmende Bäume links und rechts, das ist der Llyn-y-Cau Bergsee des Cader Iris. Richard Wilson hat den Berg bestiegen und ihn gemalt, niemand hatte das vor ihm gemacht. Kenneth Clark in ↝Landscape into Art über Wilson gesagt: Claude, on the other hand, gave to English painting a simpler scaffolding on which the native school could build. There was something in Claude’s gentle poetry, in his wistful glances at a vanished civilisation and in his feeling, that all nature could be laid out for man’s delight, like a gentleman’s park, which appealed particularly to the English connoisseurs of the eighteenth century.

Sometimes his principles of composition, with their wings and stage trees, offered too easy a formula; but Wilson, at his best, understood the two chief lessons of Claude, that the centre of a landscape is an area of light, and that everything must be subordinate to a single mood. As a result, although by no means a skilful artist, Wilson is a true minor poet, a sort of William Collins,writing his Ode to Evening in classic metre and with fresh perception.

Dieses Portrait von Wilson hat sein Kollege Anton Raphael Mengs gemalt, er nahm dafür kein Geld, er wollte nur eins der Landschaftsbilder von Wilson haben. Als der Maler Francesco Zuccarelli ein Landschaftsbild von Wilson sah, riet er ihm, bei der Landschaftsmalerei zu bleiben. Ähnliches riet ihm Horace Vernet. Der sogar Bilder von Wilson in seinem Studio ausstellte. Als Wilson in der Mitte des Jahrhunderts nach London zurückkehrt, ist er berühmt. Wilson hat das Gemälde später an seinen Mäzen Sir Watkin Williams-Wynn verkauft, zusammen mit vier Landschaftsbildern. Da war der Mirbegründer der Royal Academy schon an den Suff gekommen und bekam keine Aufträge mehr. Bei seinem Tod dichtete Peter Pindar:

But, honest Wilson, never mind;
Immortal praises thou shalt find,
And for a dinner have no cause to fear.
Thou start’st at my prophetic rhymes:
Don’t be impatient for those times;
Wait till thou hast been dead a hundred year
.

Es gibt mit ↝Richard Wilson Online eine einmalig gute Seite zu Wilson im Internet. Als ich da drin geblättert hatte, sagte mir ein kleiner böser Geist: Teste mal die ↝Kunsthalle Bremen. Die habe ich ja schon mehrfach verspottet, weil sie es nicht fertigkriegen, ihren ↝Online Katalog ins Internet zu bekommen. Und was war? Sie ahnen das schon: Durch die Umstellung unserer Internetseiten ist der Katalog vorübergehend nicht erreichbar. Wir bitten um etwas Geduld!

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Fritz Mackensen

Worpswede. Zuerst nur eine Ahnung am Horizont. Da hinten neben dem Weyerberg musste es sein, als Gustav und mein Vater an dem Spätsommertag die Bauern überredet hatten, für uns im ↝Moor Torf zu stechen. Dann zum ersten Mal wirklich: vorne auf dem Kindersitz von Vaddis Fahrrad. Der Schäferhund lief nebenher. Als wir den Opel hatten, immer wieder sonntags zum Kaffee Verrückt. Oma freute sich auf den Kaffee HAG in den kleinen eleganten Tassen. Opa moserte über die Roten, die hier angeblich noch überall waren. Seinen Stahlhelmkameraden Mackensen erwähnte er nie. Später im Winter, wenn Hamme und Wümme zugefroren waren, mit Schlittschuhen nach Worpswede. Als ich den Führerschein hatte, immer wieder mal schnell mit dem Auto hin, über Ritterhude, am Dammgut vorbei und dann die endlos scheinende Moorstraße entlang. Kunst war da nicht mehr, Kommerz schon.

Fritz Mackensen, der Mann, der Worpswede entdeckte, ist am 12. Mai 1953 in Bremen gestorben, arm, krank und vereinsamt. Ein Jahr zuvor hatte der Ehrenbürger Worpswedes das Bundesverdienstkreuz erhalten. Bundespräsident ↝Heuss selbst brachte es ihm nach Worpswede. Da kam für einen Augenblick ein wenig Kultur in die protzige Villa am Weyerberg, die sich Mackensen 1901 von seinem Bruder Albert hatte bauen lassen. Sie war niemals wie der Barkenhof ein Zentrum der künstlerischen Welt. Heinrich Vogeler, dem das alles nicht gefällt, schreibt an Paula Becker nach Paris: Dabei ist hier alles trostlos geworden. Worpswede wird Villencolonie. Es wird noch trostloser.

Als die Engländer 1945 Worpswede besetzten, begrüßte der 79-jährige Major a.D. Mackensen sie mit dem Hitlergruß und rief Sieg Heil. Die Limeys schossen ihm dann die Bilder von der Wand.

Worpswede hat ein schweres ↝Erbe mit seinem Entdecker. Der Leutnant a.D. des Ersten Weltkriegs spaziert mit seinem Schleppsäbel durchs Dorf. Er denunziert 1919 seinen Malerkollegen Heinrich Vogeler 1919 bei den Behörden und vertreibt↝Otto Ubbelohde aus Worpswede. Er war nicht von Anfang an überzeugter Nazi. Im Stahlhelm war er und im antisemitischen Kampfbund für deutsche Kultur, in die ↝NSDAP trat er erst 1937 ein (Martha Overbeck im gleichen Jahr auch), war aber schon 1933 in der SA gewesen.

Er hielt sich in den dreißiger Jahren ein wenig zurück, und er hatte einen Grund für seine Zurückhaltung, nämlich seine Tochter Alexandra. Hier hat er sie 1938 gemalt, da ist sie dreißig Jahre alt, eine schöne Frau. Seit vier Jahren lebt sie bei ihrem Vater, die Jahrzehnte davor hat sie in einem Heim gelebt. Geistig behindert. Vor der Zwangssterilisation hat Mackensen sie nicht  bewahren können, aber jetzt kümmert er sich um sie. Es ist ein wunderschönes Bild, zeitlos, vielleicht mit einem Touch Expressionismus. Dies Bild wird dem Original nicht gerecht, es gibt weder das wunderbare Karmesinrot der Bluse noch das Gesicht von Alexandra richtig wieder. Auch wenn die Farben falsch sind, es bleibt ein schönes Bild. Ein Bild das in völligem Gegensatz steht zu der Tristesse der Moorbilder und den Propagandabildern, die er für die Nazis gemalt hat. Es ist vielleicht das modernste Bild, das er je gemalt hat. Im gleichen Jahr, in dem er seine Tochter portraitiert, malt Mackensen im Auftrag der Reichskulturkammer das Bild ↝Eine gesunde deutsche Familie und bekämpft als Ausstellungsleiter des Niederdeutschen Malertages alle modernen Tendenzen in Worpswede.

Noch mehr Worpswede hier: Worpswede, Heinrich VogelerFritz OverbeckKunsthalle BremenNiedersachsenstein, Richard OelzeKiautschouSchlittschuhlaufen, Rönnebeck, Manfred HausmannCato Bontjes van Beek, Otto UbbelohdeWilly Vogel

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Puffhunde

Ich stolperte durch Zufall in die Sendung Bares für Rares, Sie kennen die vielleicht. Das ist die ↝Sendung mit dem unerträglich schmierigen Horst Richter, der immer Hallöchen sagt. Das ZDF ist ja bannig stolz auf die Sendung, die eine klägliche Imitation von Sendung wie Antiques Roadshow der BBC ist. Das ZDF war auch richtig beleidigt, als Fachleute enthüllten, dass alles an Horst Lichters Sendung getürkt ist. Wir lassen das mal beiseite und kommen zu den titelgebenden Puffhunden. Heute wollte in der Sendung jemand ein Paar der possierlichen Tierchen verkaufen, die waren aber nicht wirklich alt, einer war beschädigt, eigentlich waren sie nichts wert. Aber die Sache hatte einen Nebeneffekt: innerhalb von einer Stunde wurde der Post ↝Kapitänshunde in diesem Blog hundert Mal angeklickt. Können Sie auch tun, der Post (der schon beinahe 10.000 Mal gelesen wurde) ist kunsthistorisch seriös. Und Sie werden auch nicht mit Hallöchen begrüßt.

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Waidmannsheil

Dieses Bild von Thomas Gainsborough zeigt einen englischen Gentleman bei der Jagd. Wir wissen, wer er ist, er heißt Thomas William Coke (spricht sich Cook aus). Er weigert sich geadelt zu werden: I had rather remain the first of the ducks than the last of the geese. Irgendwann nimmt er doch den Titel eines Earl of Leicester an. Der einfache Mr Coke, den seine Zeitgenossen auch Coke of Norfolk nennen, ist Großgrundbesitzer und hat mit dem geerbten Familiensitz Holkham Hall eins der schönsten palladianischen Schlösser Englands. Die Familie wohnt da ↝heute noch.

Grundbesitzer sind viele Adlige in dieser Zeit. Und viele werden sich auf ihren Besitzungen in der Pose eines Jägers malen lassen. Aber niemand ist wie Mr Coke, der natürlich in Eton und auf einer ↝Grand Tour war. Er ist einer der wichtigsten Landwirtschaftsreformer Englands im 18. Jahrhundert, der noch horribile dictu daran glaubt, dass es zu den Pflichten eines Großgrundbesitzers gehört, das Leben derer zu verbessern, die auf seinen Gütern leben. Dafür tritt er (hier auf einem späteren Bild von Thomas Lawrence) auch im Parlament ein.

Was er auf diesem Bild trägt, ist die Mode des 18. Jahrhunderts für den Landedelmann (zu diesem Thema gibt es ↝hier einen Post). Aber es ist noch mehr. Coke hat sich von Gainsborough in der Kleidung malen lassen, in der er als Abgesandter Norfolks vor den König getreten war: As Knight of the Shire he had not only the right to wear his spurs in the House, 1 but a further right to attend Court “ in his boots,“ i.e. in his country clothes ; which latter privilege, however, was seldom, if ever, exercised. But on this occasion Coke availed himself of it, and appeared unceremoniously before the King wearing his ordinary country garb. It was an extremely picturesque dress top-boots with spurs, light leather breeches, a long-tailed coat and a broad-brimmed hat; but it caused the greatest horror at Court, and neither the matter nor the manner of the address was palatable to George III. Noch schlimmer für den König als der Anzug von Coke war die Tatsache, dass er wortgewaltig für die Sache der Revolutionäre in Amerika eintrat.

Coke war schon einmal in diesem Blog, in einem ↝Post, der seinem Sohn von Thomas William Coke gewidmet war. Der hat nämlich den Bowler erfunden. Ich habe noch ein zweites Bild von einem englischen Gentleman bei der Jagd aus der gleichen Zeit wie Gainsboroughs Bild. Es heißt Reclining Hunter, es wurde von dem amerikanischen Maler Ralph Earl gemalt. Der wurde 11. Mai 1751 geboren, ich dachte, ich schreibe mal über ihn. Musste dann aber feststellen, dass es hier längst einen Post namens ↝Ralph Earl gab. Wo allerdings der Reclining Hunter nicht erwähnt wurde.

Das Philadelphia Museum of Art hat über das Bild, das man auch als Duschvorhang kaufen kann, nur zu sagen: Ralph Earl studied in England for several years during the American Revolution and was one of many American painters of the time who included natural scenes in his compositions. This enigmatic depiction of a reclining hunter suggests the emerging English view of the natural world as a place of repose and contemplation, where the beauties and pleasures of the countryside could be enjoyed. Das ist nun ein wenig ärmlich, man könnte mehr zu dem Bild sagen. Viel mehr.

Der Gentleman, der hier bei der Jagd ein Päuschen einlegt, trägt andere Kleidung als Thomas William Coke. So etwas kann man in der Stadt tragen, vielleicht noch beim Lustwandeln in einem ↝Landschaftsgarten, aber nicht bei der Jagd. Und das, was der Gentleman mit dem leicht verblödeten Gesichtsausdruck (oder ist er schlicht besoffen?) erjagt hat, würde kein Jäger jagen. Wir lassen den Esel im Hintergrund aus, der seine Beute geworden ist, aber diese Vögel, die da auf einen Haufen geworfen sind, die jagt man nicht. Man schießt keine Eulen und keine Schwäne. Wahrscheinlich sind auch die Pilze in seinem Hut Gilftpilze.

Gainsborough hat eine Vielzahl von Herren gemalt, die mit ihren Hunden auf ihrem Grundbesitz unterwegs sind. Ihre Kleidung passt sich der Umgebung an. Sie sind nicht für die Großstadt gekleidet, dafür haben sie ein Stadthaus und haben dort die passende Garderobe im Schrank. Dies hier ist George Venables, der zweite Lord Vernon, im dreiteiligen Anzug, dem justacorps, den die englische Mode seit Charles II kennt. Er war schon in dem Post ↝18th Century: Fashion zu sehen. Die Westen, die jetzt gilets heißen (sie kommen meistens aus Frankreich), sind nicht mehr aus dem selben Stoff wie der Rest des Anzugs, négligé clothing wird es genannt. Ist nichts anderes als dressing down, machen die Engländer auf dem Land immer noch.

Während ↝Mr und Mrs Andrews in dem berühmten Bild in der Landschaft stehen, als wäre es eine Bühne für sie, zeigt dieser Herr eine seltsame Naturverbundenheit, er ist beinahe eine Verdoppelung des Baumes. Mr John Plampin, der Grundbsitz und Schloss in Suffolk geerbt hatte, wollte so auf seinem Besitz gemalt werden. Ein wenig the man of feeling, eins mit der Natur. Gainsborough hat das Bild nach einem Bild von Watteau gemalt.

Lassen Sie uns zu dem Bild von Ralph Earl zurückkommen. Das ist wahrscheinlich die reine Satire, eine Parodie eines in England gepflegten Bildtyps. Ralph Earl ist der bad boy der Amerikaner in England, ein habitueller Lügner, ein Säufer und Bigamist. Er kann nicht so gut malen wie ↝John Singleton Copley oder ↝Gilbert Stuart, Körperproportionen stimmen bei ihm nie, wie man auf diesem Selbstportrait sehen kann. Er ist gut in Kleinigkeiten, die Kleidung der Portraitierten ist immer sehr detailgetreu. Dr Caroline  Koblenzer, die das Bild des Reclining Hunter dem Museum in Philadelphia geschenkt hat, hat eine interessante Interpretation geliefert: dies sei ein selbstironisches Portrait eines Mannes, der wisse, dass er in seinem Leben alles falsch gemacht hat.

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Heinrich Ehmsen

Der Maler Heinrich Ehmsen, der in Kiel geboren wurde, ist am 6. Mai 1964 in Berlin (Ost) gestorben. In seiner Geburtsstadt hat man in der Heinrich Ehmsen Stiftung (↝Stadtgalerie Kiel) noch viele Bilder von ihm, und ich bin auch einmal in einer Ehmsen Ausstellung gewesen, weiß aber nicht, wo ich den Katalog hingepackt habe. Es ist keine Ruhe in seinen Bildern, viele Bilder – wie diese Soldaten, die an einer Gasvergiftung gestorben sind – handeln vom Krieg oder von den Münchener ↝Straßenkämpfen (das Thema hat er in zwanzig Gemälde und etwa hundert Zeichnungen oder Grafiken behandelt). Dies Bild hängt in Moskau, in der UdSSR ist Ehmsen Anfang der 30er Jahre gewesen, dort hatte er eine große Ausstellung, wo er auch zahlreiche Bilder verkaufte.

Sein gestisch expressiver, zerrissener Stil ändert sich über die Jahre wenig, dieses Bild, das ↝Störungsrechnung heißt, stammt aus den fünfziger Jahren. Da war Ehmsen Gründungsmitglied der Akademie der Künste in Ost-Berlin geworden. Aus der Hochschule für Bildende Künste im Westen (wo er Stellvertreter des Direktors war) war er 1949 herausgeflogen, weil er auf dem von Picasso und Louis Aragon organisierten Friedenskongress in Paris das Friedensmanifest unterschrieben hatte. Der Krieg ist gerade mal vier Jahre vorbei, aber die Deutschen haben zum Thema Frieden noch nichts dazugelernt.

Ehmsen war Leutnant im Ersten Weltkrieg, und obgleich er 1934 für wehrunwürdig erklärt wird, wird er im Zweiten Weltkrieg zum Hauptmann befördert. Da ist er Mitglied einer Propagandastaffel in Paris, wo er zahlreichen französischen ↝Künstlerkollegen helfen kann: Man muß wissen, daß Ehmsen während des Krieges als Mitglied der Propagandastaffel Paris, als deutscher Hauptmann und als mein Kamerad, das Referat ‘Kunst’ verwaltete und in dieser Eigenschaft dafür sorgte, daß alle führenden französischen Künstler mit ausreichendem Mal- und Heizmaterial versorgt wurden. Mehr noch, er hat dafür gesorgt, daß diese Leute unbeschränkt arbeiten konnten, während in Berlin so viele unserer angeblich ‘entarteten Künstler’ Malverbot hatten, schreibt ein Freund über ihn.

Diese Frankophilie kommt bei seinen Vorgesetzten nicht an, er wird an die Ostfront versetzt. Er war in der KPD, nie in der NSDAP. Was er in den dreißiger Jahren malt, gefällt den neuen Machthabern überhaupt nicht. Seine Bilder werden aus den Museen entfernt und sind 1937 in der Ausstellung Entartete Kunst zu sehen. Aber erstaunlicherweise wird sein Antrag auf Aufnahme in die Reichskulturkammer angenommen. Nur so erhält er wieder Malmaterial, das ist eine erstaunliche Sache.

Hier ist eins der oben erwähnten Bilder vom Straßenkampf. Ein anderes können Sie sehen, wenn Sie in dem Post ↝Madrid, 3. Mai 1808 den Namen Heinrich Ehmsen anklicken. Ich habe das Bild aus dem Blog ↝Weimar, einem sehr interessanten Blog, dem ich viele Leser verdanke, als ich zu bloggen begann. Die Bilder von den Straßenkämpfen, die er in München erlebt, gehen ihm nicht aus dem Kopf: Fanatischer Arbeit in München entriß mich 1914 der Krieg und brachte mich in den Morast von Flandern, in die blutgetränkten Schützengräben an der Somme und nach Verdun. Damals begann ich ein Kämpfer gegen den Krieg und für den Frieden zu werden. 

Heimgekehrt ins Atelier in München, nach dem Irrsinn des Massenmordens nun umtobt vom Geknatter und Getöse des Bürgerkrieges, schien mir alle Arbeit im Atelier aus früheren Zeiten belanglos, nichtig. Verdrängte Eindrücke der Jugend, die Jahre von Kasernenhof und Schlachtfeld, das Erlebnis der Erschießung von Revolutionären bedrängten mich, zwangen mich, sie zu gestalten. L’art pour l’art ist nicht meine Sache. Ich muß durch Form und Farbe hinausschreien, was in mir tobt. Mitleid mit der geschundenen Kreatur, Zorn gegen die Peiniger.

Dank des Kieler Malers Peter Drömmer, der der Leiter der Werbeabteilung der Junkers Werke in Dessau war, findet Ehmsen (wie einige andere expressionistische Maler) eine Anstellung bei Hugo Junkers. Nicht, dass er jetzt Flugzeuge anmalt wie ↝Paul Klee im Ersten Weltkrieg oder nur noch Flugzeuge malt wie ↝Franz Radziwill, es ist eine Art Sinekure. Da kann er Bilder malen wie dieses hier. Als die Nazis Hugo Junkers aus seiner Fabrik gedrängt haben, verliert Ehmsen die Stellung. Aber Flugzeuge bleiben ihm erhalten. Dank seines Galeristen Flechtheim erhält er Aufträge zur Dekoration von Flugstützpunkten und Kasernen. Sogar vom Reichsluftfahrtministerium.

Am Ende eines Krieges heißt diese Bild aus dem Jahre 1954, das zeitgleich mit der Störungsrechnung entstand. Ehmsen bleibt seinem Stil und seinen Überzeugungen treu. Wenn Seamus Heaney über Goya sagt: He painted with his fists and elbows, flourished

The stained cape of his heart as history charged, dann könnte man diesen Satz auch auf Ehmsen anwenden, der über sich sagte: Meine revolutionären Gemälde, ich denke an die „Erschießung des Matrosen Egglhofer“, an „Frauen in Not“, an den „Roten Wedding“ und viele andere, die seit Dezennien in Moskauer und Leningrader Museen hängen, sind niemals der Beschaulichkeit des Ateliers entsprungen, sondern aus der Identifikation mit den Gegenständen, die ich der Leinwand anvertraute, geboren worden.

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