the finest Woman of her Age


16. März 1660: Nachdem König Karl II. den englischen Thron bestiegen und die Rechte des Parlaments beschworen hat, wird das seit 1640 tagende ‚Lange Parlament‘ formell aufgelöst. So steht es in dem Wikipedia Internetlexikon. Das ist allerdings nicht ganz richtig. Das ‚Lange Parlament‘ löst sich zwar am 16. März 1660 auf, aber Charles hat noch nicht den Thron bestiegen, er ist am 16. März noch gar nicht in England. Am 23. Mai 1660 hatte er Dover erreicht, wo ihm der General George Monck auf den Knien huldigte. Monck war der Feldherr von Oliver Cromwell gewesen, jetzt wechselt er die Seiten. Charles macht ihn wenig später zum Herzog und zum captain generalder Armee. Das Bild hat Benjamin West hundertzwanzig Jahre später gemalt, es ist historisch nicht ganz richtig, Monck war ohne Gefolge gekommen. 

England hat einen neuen König, die Zeit der freudlosen Puritaner, die als erstes die Theater geschlossen hatten, ist vorbei. Unter dem Merrie Monarch ist Sinnenfreude angesagt, was zuerst einmal eine ✺Maitressenwirtschaft am Hof bedeutet. Schon die Zeitgenossen sprechen unverhohlen von einer Herrschaft der Unterröcke. Die Bordelle, die während der Zeit der Puritaner in den Untergrund verschwunden waren, sind wieder da. Covent Garden, wo auch Emma Hamilton ihre Karriere beginnen wird, blüht auf.

Was die Maitressen betrifft, so macht Charles da weiter, wo er vor zehn Jahren mit Lucy Walters in Den Haag aufgehört hat. John Evelyn, Tagebuchautor wie der berühmte Samuel Pepys, wird sie a beautifull strumpet nennen, Pepys bezeichnet sie als common whore. Sie hat einen Sohn von Charles, den er anerkennt und zum Herzog von Monmouth macht. Wenn die beiden heimlich geheiratet hätten (was Charles bis zu seinem Tod bestreiten wird), wäre James Scott der nächste auf dem englischen Thron. Fontane hat ein Gedicht über ihn geschrieben, das und einiges mehr können Sie in dem Post Stuarts lesen. In seinem europäischen Exil kann Charles die Finger nicht von den Frauen lassen, wir sollten neben der schönen Lucy Walters noch Elizabeth Killigrew und Catherine Pegge erwähnen, die ihm Kinder schenken.

Wenn Charles gekrönt wird, hat er noch keine Gemahlin, es laufen Verhandlungen mit dem König von Portugal. Charles möchte die Infantin heiraten, obgleich er die potthässlich findet. My god, they’ve brought me a bat to marry, soll er gesagt haben. Eine Frau hat Charles aber schon an seiner Seite, dazu kommen wir gleich. Die Regierungszeit von Charles beginnt nicht glücklich. Erst kommt die Pest (worüber Daniel Defoe: A journal of the plague year schreiben wird), dann brennt die halbe Stadt ab. Während der Pest ist Charles mit seinem Hofstaat in Oxford, während des Brandes versucht er zu helfen. Er ist sogar ein kleiner Held in der Katastrophe. John Evelyn wird schreiben: It is not indeed imaginable how extraordinary the vigilance and the activity of the King and Duke was, even labouring in person, and being present, to command, order, and reward, and encourage workmen; by which he showed his affection, to his people, and gained theirs. London wird ihm das nicht vergessen, 1674 wird die Stadt dem König die Freedom of the City of London verleihen. Er ist der einzige Monarch, der so geehrt wird.

Wenn Charles 1660 in den Palast von Whitehall einzieht, zieht seine  Geliebte, die aus einer alten Adelsfamilie kommt, mit ihm dort ein. In der Nacht seiner Krönung soll er die Zwanzigjährige zum erstenmal im Bett gehabt haben. Die maîtresse-en-titre wird ihm in den nächsten zehn Jahren fünf Kinder schenken, die er alle anerkennen wird. Sie bekommen den Namen FitzRoy (Sohn des Königs) und werden Herzöge und Gräfinnen werden. Die Geliebte des Königs heißt Barbara Villiers, wir kennen sie auch unter den Namen Barbara Palmer, Lady Castlemaine und Duchess of Cleveland. Sie sei eine viel schönere Frau als die zuküftige Königin, versichert uns Sir John ReresbyNow it was that the King went to re|ceive the Infante of Portugalat Portsmouth, attended by the greatest Court I ever saw in any Progress. But though, upon this Occaision, every thing was gay and splendid, and profusely joyful, it was easy to discern that the King was not excessively charmed with his new Bride, who was a very little Woman with a pretty tolerable Face; she, neither in Person nor Manners, had any one Article to stand in Competition with the Charms of the Countess of Castlemain the finest Woman of her Age.

Samuel Pepys ist begeistert von ihrer Schönheit: saw the finest smocks and linnen petticoats of my Lady Castlemaine’s, laced with rich lace at the bottom, that ever I saw; and did me good to look upon them. Aber er notiert auch ganz trocken: I know well enough she is a whore. Das ist das Wunderbare an Pepys‘ Tagebüchern, diese platte Ehrlichkeit. Leider gibt Pepys seine Tagebücher auf, wenn seine Frau ihn in flagranti mit dem Dienstmädchen Deborah Willet erwischt: coming up suddenly, did find me imbracing the girl con [with] my hand sub [under] su [her] coats; and endeed I was with my main [hand] in her cunny. I was at a wonderful loss upon it and the girl also… Pepys schwört Besserung, my amours to Deb are past ist einer der letzten Sätze seines Tagebuchs.

Barbara Villiers (hier von Sir Peter Lely als Heilige Catherina von Alexandria gemalt), ist eine mächtige Frau, sie hat den König völlig unter Kontrolle. Das gefällt Samuel Pepys nun gar nicht. Am 15. Mai 1663 schreibt er: the King do mind nothing but pleasures, and hates the very sight or thoughts of business; that my Lady Castlemaine rules him, who, he says, hath all the tricks of Aretin that are to be practised to give pleasure. In which he is too able … , but what is the unhappiness in that, as the Italian proverb says, ‚lazzo dritto non vuolt consiglio.‘ If any of the sober counsellors give him good advice, and move him in anything that is to his good and honour, the other part, which are his counsellers of pleasure, take him when he is with my Lady Castlemaine, and in a humour of delight, and then persuade him that he ought not to hear nor listen to the advice of those old dotards or counsellors that were heretofore his enemies: when, God knows! it is they that now-a-days do most study his honour. 

Der König kauft ihr Juwelen (ihre Ohrringe werden ihn zehntausend Pfund kosten), teure Kleider, zahlt ihre Spielschulden und schenkt ihr den Nonsuch Palace. Sie ist die heimliche Königin Englands. Sie hat mehr Macht und mehr Geld als all die Damen, die wir in den Posts Demimonde und les grandes horizontales finden. Der Bischof Gilbert Burnet hält sie für A woman of great beauty, but more enormously vicious and ravenous, foolish but imperious, und John Evelyn nennt sie a vulgar mannered, arrogant slut. Und noch schlimmer: the curse of our nation. Dass sie das Objekt einer Satire wird, der Poor-Whores Petition, gefällt ihr ganz und gar nicht. Außer Samuel Pepys und dem König sagt eigentlich niemand etwas Nettes über diese Frau.

Charles liegt viermal die Woche in ihrem Bett und sagt über seine Geliebte: she hath all the tricks of Ariten that are to be practised to give pleasure. Das hier erwähnte Ariten ist ein Sexhandbuch, das angeblich von Aristoteles stammt. Wenn die junge Frances Stuart an den Hof kommt, in die sich der König sofort verknallt, inszeniert Barbara für ihn einen flotten Dreier, eine lesbische Hochzeitszeremonie. Das ist natürlich Samuel Pepys nicht verborgen geblieben: Another story was how my Lady Castlemaine, a few days since, had Mrs. Stuart to an entertainment, and at night began a frolique that they two must be married, and married they were, with ring and all other ceremonies of church service, and ribbands and a sack posset in bed [. . .] But in the close, it is said that my Lady Castlemaine, who was the bridegroom, rose, and the King came and took her place with pretty Mrs. Stuart. This is said to be very true.

Frances Stuart sieht auf diesem Bild von Peter Lely wie eine geklonte Barbara Villiers aus. Für Samuel Pepys war Frances the prettiest girl in all the world. Sie war wohl nicht sehr helle, da sind sich die Zeitgenossen einig. Der Graf Philibert de Gramont sagte über sie: it would be difficult to imagine less brain combined with more beauty. Sie ist aber intelligent genug einzusehen, dass sie keine Zukunft in dem Nuttenzoo des Königs hat.  Sie brennt mit einem jungen Herzog durch, der sie auch heiratet. Ihr Bild wandert 1670 für die nächsten dreihundert Jahre auf Münzen und Medaillen, da ist sie die Britannia. Da kann sie der König in der Hand halten und befummeln.

Kaum eine Frau des 17. Jahrhunderts ist so häufig gemalt worden wie Barbara Villiers. Ich habe hier 19 Portraits und hier eine schöne Seite mit ebenso viel Abbildungen. Wir sehen sie als Heilige Catherina (was wahrscheinlich eine Attacke auf Charles Ehefrau Catherine of Braganza war), sie ist Diana, Minerva, eine Schäferin und Maria mit dem Kind. Hier auf dem Bild von John Michael Wright ist sie eine Schäferin. Nicht draußen bei den Schafen, sondern eine Schäferin in einer masque, die bei Hof aufgeführt wird. Samuel Pepys mochte das Bild nicht, für ihn kam als Maler dieser Frau nur Sir Peter Lely in Frage: Thence to Mr. Wright’s, the painter; but Lord! the difference that is between their two works!’Wenn wir den Worten von Pepys trauen können, dann war Lely so hingerissen von der Maitresse des Königs, dass er sich kaum instande sah, ihre Schönheit in Bildern festzuhalten: it was beyond the compass of art to give this lady her due, as to her sweetness and exquisite beauty. Wright hat über seine Bilder gesagt: I have begun diverse ladyes who are all sufficiently satisfied and judge me moderate comparatively to Mr. Lilly. Moderat? Wie sie hier hingebettet ist? Das ist doch beinahe schon Pornographie.

Hier ist sie von John Greenhill gemalt. Achten wir einmal auf ihre Augen, die die Zeitgenossen als violett beschreiben. Da fällt uns doch nur das Wort Schlafzimmeraugen ein. Diese Augen hat Peter Lely erfunden, er malt dann alle Frauen der High Society so: Sir Peter Lely when he had painted the Duchess of Cleveland’s picture, he put something of Cleveland’s face her Languishing Eyes into every one Picture, so that all his pictures had an air one of another, all the Eyes were Sleepy alike. So that Mr. Walker ye Painter swore Lilly’s Pictures was all Brothers & Sisters. Und seine Kollegen machen ihm das nach. Ob das John Michael Wright oder John Greenhill ist, immer bekommt unsere Barbara diese sleepy eyes.

1673 geht die Liebesgeschichte von Barbara Villiers und dem König zuende. Er wird neue Maitressen haben: Restless he rolls about from whore to whore, a Merrie Monarch, scandalous and poor, schreibt sein Saufkumpan der Earl of Rochester. Der ihm auch einen vierzeiligen Nachruf schreibt: Here lies our Sovereign Lord the King whose word no one relies on, who never said a foolish thing nor ever did a wise one

Dies ist das letzte Bild, das wir von ihr haben, gemalt von Gottfried Kniller aus Lübeck, der jetzt in England Sir Godfrey Kneller heißt und Hofmaler ist, aber er ist kein guter Maler. Kein Peter Lely. Der König schreibt ihr zum Abschied:Madam, all that I ask of you … is live so for the future as to make the least noise you can, and I care not who you love.Kurz vor seinem Tod versöhnen sich Charles und Barbara wieder. Dass sie an seinem Totenbett seine Hand gehalten hätte, ist eine Erfindung der Schriftsteller. Barbara wird den Nonsuch Palace abreissen lassen und das Inventar und die Einzelteile verkaufen, sie hat hohe Spielschulden. Den Titel einer Baroness Nonsuch wird sie aber behalten, auch wenn sie den Palast nicht mehr besitzt. 

Wenn ihre Kinder heiraten, wird der König die Hochzeiten bezahlen. Sie hat jetzt viele neue Liebhaber, der berühmteste heißt John Churchill, den wir auch als Herzog von Marlborough kennen. Churchill, ihr zehn Jahre jüngerer Cousin, bekommt Geld von ihr, das er gut anlegt, es ist der Grundstock seines Vermögens. Charles Sackville, einer der Wüstlinge aus der Rochester Clique (der schon vor dem König Nelly Gwynn als Maitresse hatte), schreibt sie in sein schmutziges Gedicht A Faithful Catalogue of our most Eminent Ninnies, aus dem ich mal eben zitiere:

Oh Barbara! thy execrable name 
Is sure embalm’d with everlasting shame. 
Could not that num’rous host thy lust suffice, 
Which in lascivious shoals ador’d thy eyes; 
When their bright beams were through our orb display’d, 
And kings each morn their Persian homage paid? 
Now Churchill! Dover! see how they are sunk 
Into her loathsome, sapless, aged trunk. 
And yet remains her cunt’s insatiate itch, 
And there’s a devil yet can hug the witch. 
Pardon me, Bab, if I mistake his race, 
Which is infernal sure, for tho‘ he has 
No cloven foot, he has a cloven face
.

Ich habe zum Schluss noch ein kleines Gedicht von Patrick Davidson Roberts aus dem Jahr 2018, das Barbara Villiers heißt. Es ist netter als das Gedicht von Sackville:

Worked on by the Portuguese Bat, he has been absent 

these rampart weeks. I 

know that I am no longer young. 

When, instead of the king, 

I take this young man to bed, he 

approaches my works, frets along my stockade front

and turns on me as linstock the fire breaking 

over our heads in far-away Europe. Sometimes 

I catch him mouthing the orders to Hold 

and to Advance until the enemy is utterly crushed. 

Then the bit lip cold of mouth bursting 

and shameful retreat broken casement. 

Somewhere in this palace, a Catholic plots his own exile. 

His brother counts the childless years. 

Asleep, beside me, Mr John Churchill marches deep 

into the heart of Europe. When I die no one will know 

that even at the greatest moment of Blenheim 

he will remember my love my coin for his commission 

I stroke his childish forehead and do not bear his children.

Die Nachkommen von Barbara und Charles gibt es heute immer noch. Ein Lord Charles FitzRoy hat vor sechs Jahren eine Biographie über Charles II geschrieben: Return of the King: The Restoration of Charles II. Und dann gibt es da noch Henry Oliver Charles FitzRoy, den 12. Duke of Grafton, den seine Freunde vom Red Rooster Festival nur als Harry Grafton kennen. Barbara Villiers wäre stolz auf ihn.

Veröffentlicht unter Uncategorized | Kommentar hinterlassen

Vermeers ‚Malkunst‘

Es war das Schöne an den holländischen Museen in den fünfziger und frühen sechziger Jahren, dass sie noch nicht so voll waren (der Massentourismus hatte noch nicht eingesetzt). Und die Bilder waren noch nicht so exzessiv gereinigt, mit fiesem fetten Firnis überzogen oder hinter Glas. Als ich Rembrandts Nachtwache zum ersten Mal sah, konnte man noch ganz nah an die Leinwand heran. Vor wenigen Jahren lag die noch eingebuddelt in den Dünen von Heemskerk, erzählte der Museumsführer. Ich hörte in den fünfziger Jahren vor der Nachtwache einmal einen elegant gekleideten Herrn zu seinem Begleiter sagen: Das ist mir hier zu voll, lass uns nach Den Haag fahren und ins Mauritshuis gehen. Dabei waren da nur ein Dutzend Leute in dem Saal. Ich fand die Bemerkung damals sehr cool. Heute ist die Massenbetrachtung angesagt, die junge Frau auf dem Gemälde wirkt hilflos und verloren in der Menschenmenge. Die Vermeer Ausstellung im Rijksmuseum ist ausverkauft. 450 000 datierte Tickets wurden in den ersten drei Tagen verkauft, 200.000 davon waren lange vorbestellt.

Jan Vermeer wurde in Delft geboren, er ist auch in Delft gestorben. Seine berühmte Ansicht von Delft kennt jeder, man kann sie als Postkarte und als Plakat kaufen. Dies hier ist nicht Vermeers Bild, das Proust so begeisterte. Dies ist das Bild seines Kollegen Egbert van der Poel, der Delft nach dem Delfter Donnerschlag, der Explsion der Pulvermühle, malte. Damals war die halbe Stadt zerstört. Aber sechs Jahre später ist beinahe alles wieder aufgebaut, das können wir auf Vermeers Bild sehen. Das Mauritshuis kam vor drei Jahren auf die Idee, dass man jetzt ganz allein zehn Minuten lang das Bild betrachten kann. Das kann man in Amsterdam nicht, wohin man das Bild gerade ausgeliehen hat. Das von Jacob van Campen gebaute Mauritshuis besitzt die Ansicht von Delft und Das Mädchen mit dem Perlenohrring. Und sie haben diesen wunderbaren Distelfink von Carel Fabritius.

Carel Fabritius, einer der bedeutendsten Maler, den Holland je gehabt hat, starb bei der Explosion der Pulvermühle. Kurz vor seinem Tod hat er auch eine Ansicht von Delft gemalt, die ganz erstaunlich ist. Die Perspektive des Bildes mit dem Instrumentenhändler links im Vordergrund erinnert an Aufnahmen mit einem Weitwinkelobjektiv oder einem fisheye Objektiv. Man weiß, dass die Holländer damals Meister im Linsenschleifen gewesen sind. Manche, wie Spinoza, sind nebenbei noch Philosoph. Kunsthistoriker vermuten, dass viele holländische Veduten- und Landschaftsmaler im 17. Jahrhundert die camera obscura verwendet haben. Jan Vermeer wohl auch.

Jan Vermeer ist einer der bekanntesten und beliebtesten holländischen Maler, und dennoch wissen wir ziemlich wenig über ihn. Man ist sich nicht einmal sicher, wie viele Bilder er gemalt hat. Er hat sie selten signiert und nur einmal mit einem Datum versehen. Sind es zweiunddreißig?, Fünfunddreißig?, Siebenunddreißig? Achtundzwanzig Bilder werden jetzt in Amsterdam gezeigt, die größte Vermeer Show aller Zeiten. Vor einigen Jahren hat ein Amerikaner namens Benjamin Binstock in seinem Buch Vermeer’s Family Secrets die These aufgestellt, dass ein großer Teil seines Werkes von seiner Tochter gemalt sei. Wenn dem so ist, dann konnte sie besser malen als der Vermeer Fälscher Han van Meegeren, der sogar Hermann Göring einen gefälschten Vermeer andrehte. Immer wieder hat die stille Kunst Vermeers Dichter und Schriftsteller herausgefordert: Proust, der ihn in Die Suche nach der verlorenen Zeit hineinschrieb, ist vielleicht der berühmteste. John Updike hat in einem Gedicht Vermeer mit Edward Hopper verglichen. Zu diesem Bild eines unbekannten Mädchens mit einem Perlenohrring, das 1881 in einer Auktion für zwei Gulden verkauft wurde, gibt es inzwischen sogar einen ✺Film, dessen Handlung aber nicht mit dem wirklichen Leben Vermeers verwechselt werden sollte.

Der Glatzkopf rechts scheint das Mädchen mit dem Perlenohring küssen zu wollen. In Wirklichkeit klebt er am Glas des Bildes fest, er ist ein sogenannter Klimaaktivist. Sein Kollege hatte ihm eine Dose mit einer roten Flüssigkeit über den Kopf geschüttet. Sie werden festgenommen und zu einer Haftstrafe von zwei Monaten verurteilt. Warum nicht zu zwei Jahren? Das Gemälde wurde bei dieser Aktion glücklicherweise nicht beschädigt.

‚Der Maler in seinem Atelier‘ in Wien. Wie gern hätte ich dieses Bild gesehen! Das ist wie Athen: Mein ganzes Leben habe ich davon geträumt, dorthin zu gehen, schwärmte Auguste Renoir über dieses allegorische Bild Vermeers. Das Bild ist etwas komplexer als Eduard Daeges Bild von der Entstehung der Malerei. Wenn Sie alles darüber wissen wollen, kann ich nur den kleinen Band JanVermeer Die Malkunst: Aspekte eines Berufsbilds von Hermann Ulrich Asemissen empfehlen. Erschienen in der Fischer Reihe Kunststück, die ganz vorzüglich ist. 1961 erschien bei DuMont Kurt Badts ‚Modell und Maler‘ von Jan Vermeer: Probleme der Interpretation; eine Streitschrift gegen Hans Sedlmayr. Es ist vielleicht weniger ein Buch über die kunsthistorische Interpretation von Vermeer als eine Auseinandersetzung eines jüdischen Migranten mit einem NSDAP Mitglied. Badts Buch über John Constables Wolken verkaufte sich kaum. Das Geschwafel in Hans Sedlmayrs Verlust der Mitte war in der Adenauer-Republik ein Bestseller.

Das Bild hatte sich bis zum Tode Vermeers in seinem Besitz befunden. Wie viele Bilder anderer Maler, mit denen Vermeer ziemlich erfolglos zu handeln versuchte. Man weiß nicht, ob er es als Schaustück behalten hat, oder ob er es nicht verkaufen konnte. Das Bild wird in einer Auflistung seiner Frau Catharina Bolnes als een stuck schilderie … waerin wert uytgeheelt de Schilderkonst bezeichnet. Die behauptet zwar, dass ihr das Bild nicht gehöre, weil sie es an die Schwiegermutter des Malers Maria Thins verkauft habe, aber auf solche Schutzbehauptungen lässt sich der Nachlassverwalter und Freund Vermeers, der berühmte Antoni van Leuwenhoeck, nicht ein. Der Vermeer wird verkauft. Er ist auch bald kein Vermeer mehr, weil den niemand mehr kennt – und weil niemand Geld für einen Vermeer bezahlt. Das Bild wird zu einem Pieter de Hooch umfrisiert. Bekommt auch eine schöne neue Signatur. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird es als Vermeer erkannt und anerkannt. Zwanzig Jahre nachdem der Direktor der Berliner Galerie Gustav Friedrich von Waagen das Bild als echten Vermeer identifiziert hatte, wird übrigens das Bild von dem Mädchen mit dem Perlenohrring bei einer Auktion in Holland für zwei Gulden verkauft. Vermeer hat noch keine Konjunktur.

Der Maler (vielleicht ist es sogar Vermeer selbst, die Forschung ist sich da nicht einig) malt ein Modell, das eine Muse darstellen soll. Es soll Klio sein, die Muse der Heldendichtung und der Geschichtsschreibung, wir können das aus den Attributen folgern, mit denen das Modell kostümiert wurde: eine Trompete, ein Buch (ein konventionelles Symbol der Weisheit, auf dem in manchen Abbildungen noch Thukydides steht) und ein Lorbeerkranz. Mit dem Lorbeerkranz fängt der Maler an, wenn wir ihm über die Schulter schauen. Das Immergrün symbolisiert das Fortbestehen der Kunst. Was bleibet aber, stiften die Dichter, heißt es bei Hölderlin. Und natürlich ist Klio auch für die Dichtung verantwortlich, aber die Maler (meistens Männer, selten Frauen) stiften auch Bleibendes, vita brevis, ars longa.

Als Waagen – gleichzeitig mit Théophile Thoré – 1860 das Bild identifiziert, ist es das Prunkstück der Sammlung des böhmischen Grafen Johann Rudolf Chernin von und zu Chudenitz (1757-1845), der kurz vor seinem Tod in seinem Wiener Palast eine eindrucksvolle Gemäldegalerie eingerichtet hatte. Die sogar, wenn auch in begrenztem Maße, der Öffentlichkeit zugänglich war. Czernin hatte den angeblichen de Hooch 1813 aus der Sammlung des Baron Gottfried van Swieten (ja, das ist der Förderer von Mozart, Haydn und Beethoven) gekauft, es kann sein, dass das Bild schon zuvor dessen Vater Gerard gehört hatte. Bezahlt hatte Czernin damals fünfzig Gulden. Nach dem Tod des ehemaligen Außenministers Ottokar Graf Czernin (1857–1932) gehen die Erben an das Zerstückeln der Sammlung.

Die beiden Haupterben Eugen Czernin (1892–1955) und sein Neffe Jaromir Czernin (1908–1966) einigen sich 1933 bei der Verteilung der Latifundien in der Tschechoslowakei und in Österreich und bei der Aufteilung des Kunstbesitzes. Der Vermeer wird mittlerweile auf eine Million Schilling geschätzt, der gesamte Rest der Sammlung (hervorragende Bilder von Tizian und Dürer eingeschlossen) auf nicht einmal ein Viertel dieser Summe. Jaromir Czernin erbt vier Fünftel des Vermeers, er möchte ihn sofort verkaufen. Angeblich hat er ein Angebot von einer Million Golddollar von Andrew W. Mellon. Wenn da nur dieses Ausfuhrverbot für Kunstwerke nicht wäre, dass es seit 1923 gibt! Aber als Kurt Schuschnigg durch seine zweite Ehe sein Schwager wird, hat Czernin die Hoffnung, dass der das Ausfuhrverbot kippen könnte. Doch kurze Zeit später marschieren die Nazis ein, und Schusschnigg ist Gefangener der Gestapo. 

Nun kommt Hermann Göring, ein bekannter Kunstfreund ins Spiel, auf diesem Bild sichert gerade ein amerikanischer Soldat Görings Sammlung. Der Reichsjägermeister hatte 1939 dem Hamburger Unternehmer Philipp Reemtsma die Genehmigung erteilt, das Bild von dem österreichischen Grafen Jaromir Czernin zu kaufen und hatte telegraphisch das Ausfuhrverbot für das Kunstwerk aufgehoben. Göring und Reemtsma kannten sich gut, sie waren ständig geschäftlich miteinander verbandelt. Nach dem Krieg wurde  Reemtsma wegen Bestechung und Anstiftung zur Rechtsbeugung der Prozess gemacht, mehr als sieben Millionen Reichsmark soll er an seinen Fliegerkameraden Göring gezahlt haben. Aus dem Verkauf des Bildes an Reemtsma ist nichts geworden, Hitlers Reichskanzlei meldete Vorbehalte an. Glücklicherweise meldet sich just in diesem Moment, in dem die Verkaufsverhandlungen mit Philipp Reemtsma gescheitert sind, ein uneigennütziger österreichischer Landsmann, der bereit ist, mehr als anderthalb Millionen Reichsmark für das Bild zu bezahlen. Und auch noch die Steuern in Höhe von 500.000 Mark zu tragen.

Sie ahnen schon, wer dieser österreichische Kunstfreund ist. Ich bitte, meinen aufrichtigsten Dank entgegennehmen zu wollen. Mit dem Wunsche, das Bild möge Ihnen, mein Führer, stets Freude bereiten, schrieb Graf Czernin 1940 an den neuen Besitzer. Na ja, so lange währt die Freude von dem gescheiterten Kunstmaler an dem Bild von der Malkunst nicht, das die Nummer 1096 in der Führersammlung hatte. Im Herbst 1945 stellt Graf Czernin seinen ersten Antrag auf Restitution, er sei zu dem Verkauf zu einem viel zu niedrigen Preis gezwungen worden. Im Januar 1946 wird dieser Antrag zurückgewiesen, auch zwei weitere Versuche von Czernin, das Bild zurückzubekommen (oder mehr Geld zu bekommen), scheitern. 2009 werden seine Erben noch einmal einen Versuch machen, sich als Opfer des Nationalsozialismus darzustellen, aber es wird – trotz eines international großen Echos – nichts bringen. Das Bild bleibt im Besitz Österreichs. Seit 1952 ist es im Kunsthistorischen Museum in Wien ausgestellt. Eugen Czernin hat wahrscheinlich völlig unspektakulär das bessere Geschäft gemacht, er hat Anfang der fünfziger Jahre den geerbten Dürer, den Tizian und einen anonymen holländischen Meister an die Sammlung Samuel H. Kress verkauft.

Die junge Dame im Hintergrund von Vermeers Bild lächelt seit Jahrhunderten stillvergnügt vor sich hin (nun gut: auf diesen beiden postmodernen Werken von Sophie Matisse und Gerhard Gutruf lächelt sie nicht, weil sie gar nicht im Bild ist). Der Trubel, der durch die Betrachter vor dem Bild ist, stört sie nicht. Was würde Vermeer zu diesen Bildern einer ✺Wiener Ausstellung sagen? Wahrscheinlich ist es in Amsterdam noch voller. Die Landkarte von Holland hinten an der Wand ist inzwischen veraltet. Für die Invasion Hollands konnte Hitler sie nicht gebrauchen. Beeinflusst es unsere Sicht des Bildes, wenn wir daran denken, dass es einmal Adolf Hitler gehört hat? Warum wollte er unbedingt dies Bild haben? Für kein Kunstwerk hat der verhinderte Kunstmaler Hitler mehr gezahlt, als für diesen Vermeer. Wo immer das Geld herkam. Den nächsten Vermeer in seiner Sammlung, De astronoom, hat er nicht bezahlt, den hat er in Paris einfach klauen lassen. Aber der Baron de Rothschild, dem er gehörte, hat ihn nach dem Krieg zurückerhalten. Viele enteignete Besitzer von Kunstwerken haben nicht dieses Glück.

Wahrscheinlich spielen künstlerische Erwägungen bei dem Banausen Hitler keine Rolle; es ging ihm nur den finanziellen Wert des Bildes von der Malkunst, denn wie schon Martin Borman wusste: An sich hat dieses beste Bild des Vermeer einen internationalen Wert, der weit über den bewilligten Preis hinausgeht. Es geht wie bei vielen Kunstverkäufen um Geld, nicht um den Kunstgenuss.. Kriege kommen und vergehen, was bleibt, sind einzig die Werke der Kultur. Daher meine Liebe zur Kunst, Musik und Architektur! dieser Satz ist von Hitler, der davon träumte, als großer Kunstsammler in die Geschichte einzugehen. Hier sichern amerikanische Soldaten der MFAA 1945 Hitlers Bild in einem Bergwerksstollen im österreichischen Altaussee. 

Im Rijksmuseum von Amsterdam ist keine Maskenpflicht, wir denken nicht mehr an Corona. Aber die Epidemie wurde der Dresdner Vermeer Ausstellung vor zwei Jahren zum Verhängnis. Hier eröffnet Angela Merkel mit dem holländischen Ministerpräsidenten mit monatelanger Verschiebung noch die Ausstellung, wenig später war das Museum zu. Den Katalog Johannes Vermeer: Vom Innehalten, den mir die Astrid geschenkt hat, kann man antiquarisch noch preiswert finden. Aber die Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden hat das Beste aus der Situation gemacht und digitale Angebote und einen ganz großartigen ⥤Webleporello ins Netz gestellt. In Dresden ging es nicht um alle Bilder Vermeers, es ging nur um ein Bild: Das frischrestaurierte Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster wurde hier in Beziehung zu neun anderen Werken Vermeers (und fünfzig Werken der holländischen Genremalerei des Goldenen Zeitalters) gesetzt. Es war die bisher größte Vermeer Ausstellung in Deutschland. Aber leider lange ohne Zuschauer. 

Sie, lieber Leser, fahren nicht nach Amsterdam, weil Sie keine Karte bekommen haben. Sie arbeiten sich jetzt durch den Dresdner Webleporello. Und wenn der ganze Rummel im Amsterdam vorbei ist, dann fragen Sie mal im Mauritshuis an, ob es noch die zehn Minuten Einsamkeit für die Ansicht von Delft gibt.

Lesen Sie auch: HolländerHollandPeepshow

Veröffentlicht unter Uncategorized | Kommentar hinterlassen

Oskar Zwintscher


Ich habe endlich Ihr Selbstporträt gesehen. Das muß ich Ihnen auf alle Fälle sagen, daß es mir einen großen, großen Eindruck gemacht hat. Das ist ein wundervolles Bild. So fein in den Kontrasten, so intim und doch fast dekorativ. Es ist mir das Liebste, was ich bisher von Ihnen gesehen habe. (Wie freue ich mich einmal, bis ich viel mehr kenne, über Ihr Werk zu schreiben!), schreibt Rainer Maria Rilke am 18. Mai 1902 an den Maler Oskar Zwintscher. Er hatte das Bild in der 13. Großen Kunstausstellung des Bremer Kunstvereins in der Bremer Kunsthalle gesehen. Aus dieser Ausstellung heraus hat die Kunsthalle bei Ausstellungsende das Bild auch gekauft. 1902 war Zwintscher ein berühmter Mann. Aber der Ruhm des Mannes, der es versteht, uns die koloristischen und zeichnerischen Experimente der alten Meister, natürlich ins Moderne übersetzt, wieder nahe zu rücken, hat nicht lange gehalten.

Zwintscher ist, Rilkes Einladung folgend, einmal in Worpswedegewesen. Hat dort Heinrich Vogeler, Rainer Maria Rilke und seine Ehefrau Clara Rilke-Westhoff gemalt. Das wusste ich, sonst wusste ich wenig über den Künstler. Jetzt weiß ich mehr, weil mir die Astrid zu Weihnachten den großen Dresdner Zwintscher Katalog Weltflucht und Moderne: Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900 geschenkt hat. Die haben in Dresden vierzig Jahre nach der ersten Nachkriegsausstellung von Zwitscher jetzt wieder eine Ausstellung. Im letzten Jahr war schon das kleine Buch Oskar Zwintscher im Albertinum (Leseprobe) erschienen. Über die neue Ausstellung hat die Direktorin des Albertinums Hilke Wagner gesagt: Es ist für mich eine Aufgabe, dass wir die Kunstgeschichte korrigieren und diesen wunderbaren Maler, der eben lange übersehen wurde, im rechten Licht und im rechten Kontext zeigen

Das sind große Worte, denn nicht alles im Werk von Zwintscher, den man einmal den sächsischen Klimt nannte, ist wunderbar. Das Dresdner Online Stadtmagazin Cyber Sax hat das etwas genauer formuliert: Der Maler Oskar Zwintscher (1870–1916) gehörte lange zu den Verlierern der alten Fortschrittserzählung der Moderne, wurde seine Kunst doch bis vor einigen Jahren nicht selten als schwüler Jahrhundertwende-Kitsch abgetan. Wenn wir ein Beispiel für den Kitsch brauchen, dann reicht ein Blick auf dieses Bild, das den Titel Gram hat. Das ziert natürlich nicht die Vorderseite des neuen Katalogs, dafür hat man ein wirklich gutes Bild des Malers genommen, der auch ein hervorragender Portraitist ist.

Vorne auf dem Katalog ist dieses Portrait einer Dame mit Zigarette aus dem Jahre 1904. Man weiß leider nicht, wer sie ist. Der Dresdner Online Katalog sagt über das Bild: Von dieser jungen Frau mit offenem Haar, dichten Augenbrauen, vollen Lippen und schlichter, schmuckloser Kleidung geht eine rätselhafte Anziehungskraft aus. Ihr direkter Blick und die laszive Haltung mit übereinandergeschlagenen Beinen lassen auf eine moderne, selbstbestimmte Persönlichkeit schließen, möglicherweise eine Malerin, Sängerin oder Schauspielerin. Diese Annahme wird unterstrichen durch die angezündete Zigarette, die bislang ausschließlich als Symbol für Weltläufigkeit und Männlichkeit galt. 

Die dunklen Augen der jungen Frau sind erfüllt von einer unbestimmten Sehnsucht und Melancholie.Immer wieder verwies der Maler in seinen Frauenbildnissen auf dunkle, gedankenschwere Seelenzustände. Die Eindringlichkeit des Bildnisses wird gesteigert, indem Zwintscher das helle, samtige Inkarnat von Gesicht, Hals und Händen sowie das Aschblond der Haare in hellen Tönen im Kontrast zur schwarzen Kleidung und zum schwarzgrauen Hintergrund erstrahlen lässt. Allein die glutrote Zigarettenspitze und das Rot der sinnlichen Lippen setzen Farbakzente.

Das zweite Bild im oberen Absatz ist nicht von Zwintscher, es entstammt einem Projekt namens tussenkunstenquarantaine, wo jedermann bei Instagram Gemälde nachstellen kann. Aber ein Original nachzustellen gelingt selten. Wer hat schon solch ein Handgelenk wie die Dame aus dem Jahre 1904? Die Idee, Kunstwerke nachzustellen, kam in der Corona Zeit vom Getty Museum: We challenge you to recreate a work of art with objects (and people) in your home: 

Choose your favorite artwork 

Find three things lying around your house 

Recreate the artwork with those items

Und dann schicken Sie das Ganze ans GettyMuseum. Oder an tussenkunstenquarantaine. Oder wohin Sie wollen, das Internet nimmt alles. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: suchen Sie sich etwas Einfaches aus. Versuchen Sie nicht Albrecht Altdorfers Alexanderschlacht nachzustellen.

Die Ausstellung Weltflucht und Moderne: Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900 geht noch bis zum 15. Januar (also bis übermorgen), ab März ist sie in Wiesbaden zu sehen.

Veröffentlicht unter Uncategorized | Kommentar hinterlassen

Julie Récamier (encore une fois)

Damit Sie an diesem Adventssontag etwas zu lesen haben, und es den nächsten neuen Post erst übermorgen gibt, stelle ich hier etwas ein, das vor zehn Jahren schon hier stand. Und viele tausend Leser gefunden hat, sehr viele.

Die Franzosen sind dem weiblichen Genius wenigstens minder abhold als die Deutschen. Diese Eigenschaft beweist, daß ihre Bildung harmonischer ist als die unsers Volks, und daß sie größern Nationalstolz besitzen als unsere werthen Landsleute; denn der Franzose liebt alles, was den französischen Namen verherrlicht. Ich glaube nicht, daß jemals eine Juliette Récamier in Deutschland aufblühen werde, sowenig wie es in jetziger Zeit in Frankreich geschehen könnte; denn der Sinn für eine Größe, wie die ihrige, ist verschwunden, wenn er sich auch noch bei Einzelnen findet. Schreibt Helmina von Chézy in ihren Erinnerungen.

Und sie hat natürlich Recht, wir haben keine Salonière, die sich mit Jeanne Françoise Julie Adélaïde Bernard, besser bekannt als Madame Récamier (die heute vor 245 Jahren geboren wurde) vergleichen könnte. Obgleich sich die Damen im Spree-Athen natürlich darum bemühen, auch eine merveilleuse zu sein. Und nicht nur die französische Empire Mode nachzuahmen, sondern möglichst auch einen Salon zu haben. Kriegen sie auch, wie uns zum Beispiel Günther de Bruyn in Als Poesie gut: Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807 zeigt, halbwegs hin. Allerdings werden keine Möbelstücke nach den Berliner Salonièren benannt. Doch Rahel Levin-Varnhagen hat hier schon lange einen Post.

Bei uns sieht in Deutschland das alles etwas anders aus als in Paris oder bei den Blaustrümpfen in England. Ich zitiere noch einmal Helmina von Chézy: Ich glaube nicht, daß jemals eine Juliette Récamier in Deutschland aufblühen werde, sowenig wie es in jetziger Zeit in Frankreich geschehen könnte; denn der Sinn für eine Größe, wie die ihrige, ist verschwunden, wenn er sich auch noch bei Einzelnen findet. Hier ist eine Einzelne. Die ihren Musenhof allerdings nicht in Berlin, sondern in Tübingen unterhält. Das hier ist Wilhelmine Cotta, die Gattin von Johann Friedrich Cotta, der der Verleger von Schiller und Goethe war. Wenn Tübingen auch nicht Paris ist, der Maler des Bildes ist gerade aus Paris gekommen. Er heißt Gottlieb Schick, er hatte in Paris bei Jacques-Louis David studiert. Bevor Schick Paris verließ, konnte er im Studio sehen, wie David die Madame Récamier portraitierte. Und er selbst hat die Julie Récamier in Paris in sein Skizzenbuch gezeichnet.

Wenn ich mal eben für einen Augenblick abschweifen darf: ein Freund von mir versuchte vor Jahrzehnten zusammen mit seiner Gattin diese schöne Tradition eines Salons in einer großen Altbauwohnung durch einen jour fixe wieder zu beleben. Aber das Ganze schlief nach ein, zwei Jahren wieder ein. An den Möbeln lag es nicht, es gab zwar keine Récamière, aber genügend stilvolle alte Möbel. Leider fehlte irgendwie der gewünschte intellektuelle Austausch. Die Professoren von der Kunsthochschule diskutierten nicht über Kunst, sie zogen sich in eine Wohnzimmerecke zurück und spielten bis in die Nacht Skat.

Die Lehrer klagten über die Dummheit der Schüler, die Hochschullehrer klagten über die Dummheit der Kollegen. Gott erschuf den Professor, der Teufel erschuf den Kollegen. Nur bei den Mettbrötchen und dem Bier in der Küche kam manchmal so etwas wie ein niveauvolles Gespräch auf. Dabei war die ganze Idee ja gut, nur war der Zeitpunkt offensichtlich nicht geeignet. Die 68er waren müde. Alle Gäste des Salons schienen in der midlife crisis zu sein, viele waren wegen einer Ehekrise in Therapie. Es war statt eines schöngeistigen Salons die trivialisierte Form eines John Updike Romans geworden. Dennoch denke ich mit einer gewissen Nostalgie daran zurück. Wenn man bedenkt, dass dies damals vielleicht die Crème de la Crème des Ortes war: was hätte werden können – und warum wurde es nur so wenig? Gut, manche Diskussionen waren oberhalb des Niveaus der Universität, aber dazu gehörte nicht viel. Es kann natürlich sein, dass es in Berlin kein Äquivalent für eine Madame Récamier oder eine Madame Tallien (Bild) gab. Aber vielleicht gab es in den berühmten Salons in Paris und Berlin ja damals auch nur Klatsch und Tratsch.

Vielleicht ist das, was uns Eduard Gans aus dem Salon der Mme Récamier zu berichten wusste, auch nur eine schöne home story gewesen? Irgendwie klingt mir da die Berlinerin Elise von Hohenhausen ehrlicher: Eine geistige Gemeinschaft fand in Berlin statt, wie sie wohl in wenigen Städten gefunden wird. Geistreiche Familien, auch wohl einzelne Damen, hielten an bestimmten Wochentagen Versammlungen, die auf’s Lebhafteste an die Salons der Du Deffant, L’Espinasse, Recamiér u. A. m. erinnerten. Man achtete nicht darauf, ob man eine oder drei Treppen steigen mußte, ob es hell oder dämmernd im Zimmer war; Alles was man verlangte, war ein warmer Ofen und eine Tasse Thee; die Tasse selbst mochte von chinesischem Porzellan oder von Töpferwaare seyn. Dieses Detail mit der Töpferware hat etwas Authentisches.

Es gibt noch eine andere Verbindung zwischen Paris und Berlin als die der Nachahmung französischer Mode und der Pariser Salons. Gertrude Aretz erzählt in Berühmte Frauen der WeltgeschichteAls das Kaiserreich errichtet wurde, versuchte der Polizeiminister Fouché, die Récamiers für den neuen Hof zu gewinnen. Er bot Juliette an, Ehrendame am Hofe Napoleons zu werden. Juliette Récamier lehnte jedoch ab und geriet nach und nach in den Kreis der Opposition, die sich um Frau von Staël geschart hatte. Als ihr Gatte grosse finanzielle Verluste erlitt, zog sie sich eine Zeitlang auf das Schloss ihrer Freundin nach Coppet zurück. Dort lernte sie den Prinzen August von Preussen kennen, der sich sterblich in sie verliebte. Eine Zeitlang trug sie sich mit der Absicht, diesen Neffen des Grossen Friedrich zu heiraten. Ob sie wirklich diese Absicht hatte, wissen wir nicht. Aber der August, der hätte sie schon gerne geheiratet. Sie hat ihm das Bild geschenkt (oder geliehen, das ist nie so ganz klar geworden), das wir hier sehen: Ich bin nun endlich wieder im Besitz Ihrers Porträts, das ich mit brennender Ungeduld so lange erwartet habe: Wieviele süße Erinnerungen und wieviel Bedauern, so weit vom Original entfernt zu sein, fanden sich in meinem Herzen, als ich es wiedersah! schreibt ihr der Prinz August aus Berlin. Und da steht er nun – von Franz Krüger gemalt – breit und bräsig im Salon vor dem Portrait der schönsten Frau Frankreichs, gemalt vom Baron Gérard. 

Als Franz Krüger den Preußenprinzen mit der fernen Geliebten an der Wand malt, konnte Mme Récamier das Bild eh nicht mehr gebrauchen. Sie war gerade ins Kloster gezogen. Sie ist nicht aus Liebeskummer eine Nonne geworden, nein, die L’Abbaye-aux-Bois in der Rue de Sèvres bot verarmten Damen der feinen Gesellschaft preiswerten Wohnraum. Madame war pleite. Da hatte es ihre Konkurrentin um den ersten Platz in der Gesellschaft, Madame Tallien (die Notre-Dame de Thermidor), bedeutend besser getroffen. Arsène Houssaye hat bösartig von Mme Récamier als eine jener Neugriechinnen, die sich halb nackt, aber von ihrer Schamhaftigkeit bekleidet, aus den Ruinen eines blutigen Pompeji erhoben gesprochen. Man kann das anders formulieren, die Kostümhistorikerin Aileen Ribeiro erwähnt sie im Zusammenhang mit der raffish demi-mondaine society thrown up by the Directory. Man ist schnell nach oben gekommen, jetzt fällt man wieder. Das Rad der Fortuna dreht sich zu Lebzeiten Napoleons (der Julie Récamier nicht ausstehen konnte) etwas schneller als sonst.

Ganz so schlimm kann es im übrigen in den Räumen der Abtei in der Rue de Sèvres nicht gewesen sein, wie das Gemälde von Gérard (oben) zeigt. Das beinahe zeitgleich mit Franz Krügers Bild vom Prinzen August gemalt wurde. Madame hat ihre geliebte Harfe, ihr Piano und ein Regal voller Bücher retten können (hier ein Bild ihres Bettes). Und da sitzt sie wieder, wie auch schon auf dem Bild von David, stereotyp in ihrem weißen Hemdblusenkleid, dieser Mode à la Grecque. Die angeblich die neue Volkstracht sein soll, aber natürlich Haute Couture und unbezahlbar teuer ist.

Und sie empfängt auch hier ihren Kreis von Bewunderern, hat auch hier noch ihre Hofberichterstatter. Wie zum Beispiel Chateaubriand (hier auf einem Bild von Girodet), der angeblich ihr Geliebter ist. Der über die neue Wohnung schreibt:  La chambre à coucher était ornée d’une bibliothèque, d’une harpe, d’un piano, du portrait de Madame de Staël et d’une vue de Coppet au clair de lune. Sur les fenêtres étaient des pots de fleurs. […] La plongée des fenêtres était sur le jardin de l’abbaye, dans la corbeille verdoyante duquel tournoyaient des religieuses et couraient des pensionnaires. La cime d’un acacia arrivait à la hauteur de l’œil. Des clochers pointus coupaient le ciel et l’on apercevait à l’horizon les collines de Sèvres. Le soleil couchant dorait le tableau et entrait par les fenêtres ouvertes. Madame Récamier était à son piano; l’Angelus tintait; les sons de la cloche, qui semblait pleurer le jour qui se mourrait: « il giorno pianger che si muore », se mêlaient aux derniers accents de l’invocation à la nuit, du Roméo et Juliette de Steibelt. Quelques oiseaux se venaient coucher dans les jalousies relevées de la fenêtre. Je rejoignais au loin le silence et la solitude, par-dessus le tumulte et le bruit d’une grande cité. Texte wie diese werden heute immer noch geschrieben, solches Gesülze stirbt nicht aus. Vor allem nicht in der demi-monde.

Nach dem Tod von August hat Julie Récamier das Bild übrigens zurück bekommen. Aber sie konnte sich nicht mehr darauf erkennen. Sie war inzwischen erblindet. Hätte etwas aus dieser amourösen Verbindung von Paris und Berlin werden können? Die Récamier hatte ja eine Vielzahl von Liebschaften, aber das war alles wohl eher: nur gucken, nicht anfassen! Sie war eine Salonière, keine demi-mondaine.Diese Damen kommen etwas später, sie haben mit Demimonde und les grandes horizontales und hier schon zwei schöne kulturhistorische Posts.

Man muss sich abgrenzen von der Bohème, also stürzt man sich auf die Kultur. Freilich treten hier an Madame Recamier auch andre als rein geistige Interessen heran; unter den Gästen der Frau von Stael befand sich der Prinz August von Preußen, der eine heftige Leidenschaft für sie faßte und ihr den Antrag machte, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen und ihm ihre Hand zu reichen. Sie erwiderte seine Gefühle nicht, wie denn ihre gleichmäßige Schönheit nie von einer Neigung bewegt zu sein scheint, aber sie war durch seine Ergebenheit gerührt. Das konnte man 1859 in der Zeitschrift Die Grenzboten lesen. Ach ja, die Französinnen – es ist immer das gleiche:

L’amour est enfant de Bohême
Il n’a jamais, jamais connu de loi
Si tu ne m’aimes pas, je t’aime
Si je t’aime, prends garde à toi !
Si tu ne m’aimes pas
Si tu ne m’aimes pas, je t’aime !
Mais, si je t’aime
Si je t’aime, prends garde à toi !

Die Lettres du prince Auguste de Prusse 1807 à 1843 sind 1976 in der Zeitschrift Francia: Forschungen zur Westeuropäischen Geschichte(hier im Volltext) mit einer Einleitung von Alfred W. Hein herausgegeben worden.

Veröffentlicht unter Uncategorized | Kommentar hinterlassen

Terrorist ?

Am 2. Dezember 1859 wurde der Abolitionist John Brown in Charles Town (Virginia) gehängt. Man hatte ihn auf seinen Sarg gesetzt, als man ihn zur Hinrichtungsstätte gefahren hat; und so hat ihn der naive Maler Horace Pippin 1942 auch gemalt. Während der letzten Wochen des Novembers 1859 war der kleine Ort Charles Town zu einer Garnisonsstadt geworden. Vor dem Gerichtsgebäude, in dem der Prozsss Virginia v. John Brown stattfand, hatte man eine Kanone plaziert. Man fürchtete, dass John Brown von seinen Anhängern befreit würde. Nach Friedrich Kapp sah es in Charles Town jetzt so aus: Diese Untersuchung ist ein Hohn auf die Justiz und eine der widerlichsten Farcen, die je im Namen des Rechtes aufgeführt sind. Die Gefangenen sahen sich da von einem Haufen aufgeregter und tobender Zuschauer umgeben, welche sie thätlich bedrohten; sie stehen vor einer Jury, welche sich als ihr erbittertster Feind bekennt und dennoch in aller Form Rechtens eingeschworen wird. Um das Ganze würdig zu krönen, wird der Vertheidiger Brown’s vom Auditorium mit persönlicher Gewalt bedroht, falls er es versuchen sollte, das Verbrechen seines Klienten zu beschönigen.

       Diesem Kriegszustande innerhalb der vier Wände des Gerichtshofes entsprach das Leben und Treiben außerhalb desselben. Charlestown ward in Belagerungszustand erklärt, alle Formen europäischer Vorbilder wurden ängstlich nachgeahmt oder vielmehr karrikirt. Eine betrunkene Soldateska von welcher Einer vor dem Andern Furcht hatte, tobte durch die Straßen und übte die Polizei aus. Es herrschte der bewaffnete Pöbel, die ruchloseste Anarchie. Zugleich aber erklärte der kommandirende Offizier dem nördlichen Anwalt Brown’s, daß er ihm für sein Leben nicht stehen könne, falls er es wagen sollte, seinen Klienten weiter zu vertheidigen. 

Nicht nur Soldaten sind jetzt in der Stadt. Viele Zeitungen haben Reporter geschickt. Dank des Telegraphen werden ihre Berichte in die ganze Nation geschickt, in den Norden und den Süden. Die Rede, die Brown vor Gericht hält, steht am nächsten Tag im Volltext in der New York Times. Noch ist die Nation geeint, aber sie zerfällt schon in zwei Lager, die Sklavenhalter und die Abolitionisten. Für die einen ist Brown ein Terrorist und Mörder, für die anderen ist er ein Held. Henry David Thoreau nannte Brown an angel of light. Für Ralph Waldo Emerson ist er ein neuer Heiliger who would make the gallows as glorious as the cross. 

Friedrich Kapp ist 1860 mit seinem Urteil ausgewogen und prophetisch: Es kann sich also im vorliegenden Falle nur noch fragen, ob die von Brown zur Erreichung seines Zweckes gewählten Mittel die richtigen waren? Das sind sie nicht. Die Ausführung seines Planes war mangelhaft und schlecht; allein trotzdem liefert sie der Welt den Beweis, daß die Sklaverei die hiesige Gesellschaft im beständigen Kriegszustand hält, daß diese nur durch eine tyrannische Gewalt zusammengehalten werden kann und daß die Ver. Staaten mit Riesenschritten einer Revolution entgegeneilen. Entweder Sklaverei oder Freiheit; der unvermeidliche Konflikt zwischen beiden muß wohl oder übel ausgekämpft werden! Brown ist der erste blutige Vorläufer des ihnen bevorstehenden Kampfes. Seine Hinrichtung ist die erste politische in der Union; sie bezeichnet schon deßhalb einen Markstein in deren Entwicklung; sie wird nicht die letzte sein. Denn dieselben Zustände werden dieselben Ideen erzeugen und dieselben Handlungen werden sich wiederholen und dieselben Folgen nach sich ziehen. Brown’s Unternehmen mißlang. Allein was ist Mißlingen? Nichts als Erziehung, als der erste Schritt zum Bessermachen, sagt Wendel Philipps. Vivat sequens!

Brown hatte am 16. Oktober 1859 mit seinen Leuten die Waffenfabrik im benachbarten Harpers Ferry überfallen, um Waffen für seinen Plan eines Sklavenaufstands zu bekommen. Ein Colonel der Armee, den man extra aus dem Urlaub geholt hat, wird ihn festnehmen. Er heißt Robert E. Lee und ist wenige Jahre  später der Oberkommandierende der Armee der Südstaaten. John Brown glaubt, dass Gott ihn geschickt hat, um die Sklaven zu befreien. Als er nach dem Pottawatomie massacre gefragt wird: Then, Captain, you think that God uses you as an instrument in his hands to kill men? antwortet er: I think he has used me as an instrument to kill men; and if I live, I think he will use me as an instrument to kill a good many more. Er glaubt daran. Und deshalb hat Horace Pippin das Bild John Brown Reading his Bible gemalt. I, John Brown, am now quite certain that the crimes of this guilty land will never be purged away but with blood, hatte Brown auf einen Zettel geschrieben, den man in seiner Zelle fand, es waren seine letzten Worte. Das Blut wird kommen, zwei Jahre später beginnt der amerikanische Bürgerkrieg. The war began not at Sumter but at Harper’s Ferry, hat der Südstaatenoffizier Turner Ashby gesagt. 

John Brown Reading his Bible ist Teil einer Trilogie, das dritte Bild ist The Trial of John Brown. Da liegt der Angeklagte schwerverletzt auf dem Boden, aber man hat kein Mitleid mit ihm. Für den Maler Horace Pippin war die Trilogie der Bilder eine persönliche Sache. Er hat dem Kunsthändler Robert Carlen erzählt, dass seine Mutter als junges Mädchen bei der Hinrichtung John Browns dabei gewesen sei. Nach neuesten Forschungen ist es wohl seine Großmutter gewesen. Wahrscheinlich ist das die Farbige am rechten Bildrand von John Brown Going to His Hanging, die sich abwendet und das Ganze nicht sehen will.

Seit seiner schweren Kriegsverletzung konnte Pippin seinen zerschossenen rechten Arm kaum noch gebrauchen, so blieb ihm nur diese plakative Malerei, die man bewundern muss. Frankreich zeichnete ihn mit dem Croix de Guerre aus, Pippins Regiment, die Harlem Hellfighters, unterstand der französischen Armee. Die weißen Amerikaner wollten nicht mit ihren farbigen Landsleuten kämpfen, also lieh man diese Regimenter an die Franzosen aus. Da hatte sich seit den Tagen, da John Brown von der Sklavenbefreiung träumte, wenig geändert. Mit jahrzehntelanger Verspätung erhielt Pippin von der US Army auch noch den Purple Heart Orden. Bei der Hinrichtung von John Brown, den Herman Melville the meteor of war genannt hat, war nicht nur Pippins Großmutter dabei. Da war auch ein junger Schauspieler, der gerade von Bühne gekommen war und sich der Miliztruppe der Richmond Grays angeschlossen hatte. Er heißt John Wilkes Booth, wir kennen ihn, weil er Präsident Lincoln erschießt.

Es gab in meinem ersten Jahr als Blogger schon einen Post, der John Brown heißt, aber dies heute ist alles neu.

Veröffentlicht unter Uncategorized | Kommentar hinterlassen

der Rufer


Heute vor 55 Jahren wurde die Plastik Der Rufer des Bildhauers Gerhard Marcks vor dem neuen Fernsehgebäude von Radio Bremen eingeweiht. Die Plastik hatte nichts mit Wynton Rufer zu tun, der für Werder Bremen spielte. Der Sender hatte sich eine Statue von Marcks gewünscht, der Bremen schon durch seine Stadtmusikantenverschönert hatte und der Hansestadt einen großen Teil seines Werkes geschenkt hatte. Marcks machte sich Gedanken, welche Statue für ein Fernsehgebäude passend war, möglichst zeitlos sollte die Statue die Aufgabe von Rundfunk und Fernsehen symbolisieren. Nach längerem Nachdenken sagte Marcks: Ich mache euch einen Rufer. Und er fügte hinzu: Wenn ich jetzt da jemanden mit dem Fernseher hinstelle, denn sieht das in zehn Jahren ziemlich doof aus, weil dann sind die Fernseher ja schon viel besser. Dagegen dieses Rufen, die Nachricht in die Welt setzen, das ist immer das gleiche geblieben, ob jetzt bei den Griechen oder heute. Und das hat er versucht durch dieses Rufen zu symbolisieren

Ein Jahr nach der Einweihung hatte der Bildhauer Ärger mit der Stadt Bremen. Der Direktor der Kunsthalle Dr Günter Busch hatte gerade eine Gerhard Marcks Stiftung initiiert; er konnte nicht wissen, dass man den Leitenden Regierungsdirektor Dr Eberhard Lutze zum Vorstandsvorsitzenden wählen würde.Der Bildhauer, von den Nazis mit dem Stempel Entartete Kunst versehen, protestierte heftig, mit Lutze als Chef werde es die Stiftung, die seinen Namen trägt, nicht geben. Wie kann einer, der den Nazis als Kunsthistoriker willig gedient hat, solch ein Amt bekommen? Wie kann er es annehmen? 

Der Spiegel schrieb damals: Eberhard Lutze, 61, Chef der Bremer Behörde für Kunst und Wissenschaft, soll das Werk eines einst ‚entarteten‘ Künstlers verwalten: Er wurde zum Vorsitzenden der ‚Gerhard-Marcks-Stiftung‘ gewählt. Der Graphiker und Bildhauer Marcks der einen großen Teil seiner Werke der Stadt Bremen schenkte, war 1937 mit einem Arbeits- und Ausstellungsverbot belegt worden und hatte Bilder und Skulpturen nur noch in der NS-Schau ‚Entartete Kunst‘ zeigen dürfen. Lutze hatte zwar — so der Beamte heute — ‚1934 einen Riesenartikel, eine ganze Seite, über Barlach geschrieben und dafür prompt eine Rüge im ‚Völkischen Beobachter‘ bekommen‘, jedoch wenige Jahre später als Parteigenosse in Kunst-Schriften die ‚Verpolung‘ und ‚Verjudung‘ kleiner polnischer Orte beklagt und eine ‚zukünftige deutsche Kunst … aus der gemeinschaftsbildenden Weltanschauung des Nationalsozialismus‘ hervorgehen sehen. Lutze über seine Eignung als Marcks-Kurator: ‚Darüber sich jetzt zu unterhalten, das geht zu weit.‘ 

Der Feuilletonredakteur der Bremer Nachrichten Erich Emigholz legte in einem Artikel noch mehr aus der braunen Vergangenheit des Spitzenbeamten frei, Lutze war nicht mehr zu halten. Er wird allerdings als böser Geist hinter dem unglücklich agierenden Kultussenator Moritz Thape noch bis zu seiner Pensionierung in der Kulturbehörde bleiben. Die Marcks Stiftung wird gegründet und hat seit 1971 ein schönes Museum, das schon in dem Post Lampen erwähnt wird. Und diesen Eberhard Lutze habe ich schon in dem Post Geistiges Bremen erwähnt. Dieser Mann, der in seiner Entnazifizierungsakte als an sich schwacher Charakter, der sich der Macht anschließt, um Geltung zu bekommen beschrieben wurde, bestimmt zwanzig Jahre lang die offizielle Bremer Kultur. Und publizierte solche Weisheiten: Der Bremer hat nicht viel übrig für Experimente, verhältsich kritisch zu fremdartigen Einflüssen und modischen Erscheinungen, hat dafür aber eines, was mancher avantgardischen Kühnheit andernorts abgeht: Charakter und Treue.

Man hat das schlimme Wirken von Lutze nicht ganz vergessen. In der kreiszeitung konnte man 2009 in einer Besprechung der Ausstellung „entartet“ – beschlagnahmt:Bremer Künstler im Nationalsozialismus (in der auch diese schöne Bild von Hillmanns Hotel bei Nacht von Arnold Schmidt-Niechciol zu sehen war) lesen: Dass eine solche Ausstellung erst jetzt realisiert werden konnte, ist teils in der Natur der Sache begründet: Was so lange aus dem Blick geraten ist, drängt sich nicht eben als Ausstellungsthema auf. Dass eine „Wiedergutmachung“ an den verfemten Künstlerinnen und Künstlern nicht zeitnah zum Untergang der NS-Diktatur auf den Weg gebracht worden ist, liegt an einer erschreckenden Kontinuität in der Kultusbürokratie nach 1945. In Bremen zeigt sie besonders krasse Züge. Der durch tragende Rollen in der NS-Zeit hoch belastete Eberhard Lutze war bis 1973 Leiter der Bremer Kulturbehörde. Dass Lutze kein Interesse an der Präsentation „entarteter“ Bremer Künstler hatte, liegt auf der Hand. Wie er mit Künstlern umging, die seinem ästhetischen Ideal nicht entsprachen, veranschaulicht der Rauswurf des ehemaligen Bremer Intendanten Kurt Hübner.

Der Rufer hat seit 15 Jahren einen neuen Platz, er steht jetzt an der Weser, weil Radio Bremen umgezogen ist. Dies ist nicht der Bremer Rufer, diese Plastik steht seit 1989 in Berlin. Sie ruft in den Osten, kurz nach der Aufstellung fiel die Mauer. Die Plastik trägt einen Satz von Francesco Petrarca: Ich gehe durch die Welt und rufe ‘Friede, Friede, Friede’. Es gibt noch mehr Abgüsse von dem originalen Rufer in der Welt. Die Bremer Figur hat sich ein klein wenig verändert, sie ist jetzt auf einem Kugellager montiert. Normalerweise blickt der Rufer über die Weser, aber für die Sendung 3 nach 9 wird er um 180° gedreht und guckt dann durch die Glasfront ins Studio. Vielleicht sollte er lieber auf die Weser gucken, 3 nach 9 ist auch nicht mehr das, was es mal war.

Veröffentlicht unter Uncategorized | Kommentar hinterlassen

Anatomiestunde

Muss ich noch einmal auf Boris Johnson zurückkommen? Es sind inzwischen noch viel mehr Parties als die Party vom Mai 2020 bekannt geworden. Vor allem die beiden Parties, die von seinen Mitarbeitern am Vorabend von Prinz Philips Begräbnis gefeiert wurden. Johnson hat sich dafür gerade bei der Königin entschuldigt. Ich will eigentlich nicht über Johnson schreiben, sondern über Rembrandts Bild von der Anatomie des Dr Tulp, aber es gibt da eine Verbindung. In dem →coronarchiv der Universität Hamburg findet sich eine bösartige Karikatur von Rembrandts Gemälde, wo die Leiche von lauter Coronaleugnern umstanden wird. Boris ist auch dabei.

Heute vor 390 Jahren (16. Januar 2022) ist Rembrandt bei einer Vorlesung des Mediziners Nicolaes Tulp gewesen, der an jenem Tag die Leiche eines Straßenräubers namens Adriaan Adriaanszoon obduzierte. Im 17. Jahrhundert war das Sezieren ein öffentliches Spektakel. Möglich war das nur im Winter, wenn die Kälte den Körper lange genug vor der Verwesung bewahrte. Viele Stadtbewohner ließen sich diese Anlässe nicht entgehen. Anwesend waren wissbegierige Chirurgen und Ärzte, Vertreter der Obrigkeit und andere Schaulustige. Der Eintritt kostete sechs oder sieben Stuiver (etwa ein Drittel eines Gulden), sagt Hugh Aldersey-Williams in seinem Buch Anatomies: A Cultural History of the Human Body. Dieser Adriaan Adriaanszoon, den man gerade frisch vom Galgen genommen hat, ist wahrscheinlich der berühmteste Straßenräuber der Kunstgeschichte geworden, denn Rembrandt hat seine Leiche in das Bild Die Anatomie des Dr Tulp gemalt. Er findet sich auch in der Literatur wieder, weil W.G. Sebald ihn in das Buch Die Ringe des Saturn hineingeschrieben hat (lesen Sie →hier viel mehr dazu).

Ob der achtundzwanzigjährige übergewichtige Adriaan Adriaanszoon, der den Spitznamen Het Kint hat, wirklich so ausgesehen hat, wissen wir nicht. Bei den Herren in Schwarz kommt es darauf an, dass sie so aussehen, wie sie aussehen wollen. Bei dem Toten nicht. Sein Gesicht hat eine seltsame grünliche Farbe, mit der Rembrandt die Leichenstarre unterstreichen will. Der Straßenräuber liegt auf dem Seziertisch in der gleichen Pose wie der betrunkene Bauer auf einem Bild von Adriaen Brouwer, das in Rotterdam hängt. Kunst kommt von Kunst. Schon Karel van Mander gab jungen Malern in seinem Schilder-Boeck den Rat: Stehlt Arme, Beine, Körper, Hände, Füße. Hier ist es nicht verboten. Maler werden sich für Jahrhunderte daran halten.

Rembrandt ist nicht der erste, der die Anatomie eines Leichnams malt, schon 1603 hat Aert Pietersz diese Anatomiestunde des Dr Sebastiaen Egbertsz de Vrijgemalt. Als er das Bild vollendet hatte, waren schon fünf der Dargestellten verstorben. Keine Corona. Die Pest. Das Bild Die Anatomie des Dr. Tulp war schon mehrmals in diesem Blog. Es hat mit Anatomie schon einen langen Post, und die Tochter von Nicolaes Tulp hat auch schon einen langen Post. Bei dem Bild des Straßenräubers Adriaan Adriaanszoon fällt mir immer Gottfried Benns Gedicht mit dem ersoffenen Bierfahrer aus der Sammlung Morgue ein, aber das habe ich in Anatomie schon gesagt. Und das sehr schöne Gedicht aus dem Spätwerk von Heiner Müller habe ich in dem Post Chirurgie auch schon einmal zitiert:

Der Maler hält den Moment vor dem Verschwinden
fest, die kalte Sekunde, wenn der Körper zum
Farbton schrumpft, den letzten Atem, von
Malschichten wie vom Vergessen erstickt.
Der Maler malt das Vergessen. Das Bild vergißt
seinen Gegenstand. Der Maler ist Charon. Mit
jedem Pinselstrich
Ruderschlag verliert sein
Passagier an Substanz. Die Fahrt ist das Ziel, 
das Sterben der Tod. Am anderen Ufer wird
Niemand aussteigen.

Die Anatomien sind als Gegenstand der Malerei inzwischen aus der Mode gekommen, aber das Interesse an Autopsien, das die Bevölkerung in Rembrandts Zeit hatte, das gibt es heute immer noch. Nicht im wirklichen Leben, aber im Fernsehen. Seit der Serie Quincy, M.E. hat sich die Zahl der Gerichtsmediziner im Fernsehen vervielfacht. Früher waren Gerichtsmediziner in Krimiserien graue Mäuse, die sich erst zum genauen Todeszeitpunkt äußern wollten, wenn sie die Leiche auch ihrem Labortisch hatten. Aber seit Jack Klugman als Held von Quincy, M.E.solch großen Erfolg hatte, sind die Pathologen allgegenwärtig. Von Dr Donald (Ducky) Mallard in NCIS über Professor Boerne in Münster bis zu der Ex-Frau von Hubsi in Hubert und Staller, jeden Tag Gerichtsmediziner auf allen Kanälen. Häufig neuerdings Frauen, das Genre schreit nach Gleichberechtigung. ✺Dr Laura Hobson, die wir aus Lewis – Der Oxford Krimi kennen, hatte schon in der Inspector Morse Serie (in ✺The Way Through the Woods) einen ersten Auftritt. Wo ihr die Drehbuchautoren den wunderbaren ersten Satz in den Mund legten: Do you know where I might find a Detective Chief Inspector… looks like ‚Mouse‘?

Veröffentlicht unter Uncategorized | Kommentar hinterlassen

Kunstretter

In seiner Komödie Besucher läßt Botho Strauß seine Hauptfigur Karl Joseph sagen: In Bremen vierundsechzig oder fünfundsechzig — ich gastierte im Danton— da hatten wir einen jungen Kollegen, der ist eines Abends, also es war schon Viertel eins. Dantons Tod, eine Viecherei, kein Bus fuhr mehr, da ist er plötzlich zur Rampe gelaufen, mitten im Text, und fragt ins Publikum hinunter, ob ihn jemand nach der Vorstellung mit nach Lesum nehmen kann. Dort hat er nämlich gewohnt. Ich nehme an, dass Botho Strauß diese Stelle extra für seinen Hauptdarsteller Will Quadflieg geschrieben hat, denn der hatte sein Landhaus im Kirchspiel Lesum. Der kleine Ort ist jetzt also in der deutschen Literatur, aber da ist er schon länger. Das wissen Sie, wenn Sie den Post Sommer in Lesmona gelesen haben. Nach Lesum will ich heute noch einmal hin, denn da wurde der Mann geboren, über den ich heute schreibe, ein Maler und Schriftsteller, ein Organist und ein Kunstretter. Und so gut wie unbekannt. Ich lasse ihn noch einen Augenblick ohne Namen.

Wenn wir nach der Lektüre von Marga Bercks Roman Sommer in Lesmonaden Ort Lesum mit Parks und Villen verbinden, dann müssen wir auch bedenken, dass es hier seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch Industrie gibt, eine Wollwäscherei, Zigarrenfabriken und eine Porzellanfabrik. Die von Bremer Kaufleuten gegründeten Fabriken siedeln sich hier an, weil der Ort nicht zu Bremen gehört. Das hat etwas damit zu tun, dass Bremen nicht Mitglied des Deutschen Zollvereins ist. Ich bleibe mal eben bei der 1872 gegründeten Wollwäscherei, die gegenüber des Burger Bahnhofs lag. Der Vater des bis jetzt anonymen Mannes (welcher 1923 dieses Bild malt) ist da nämlich der Direktor. Nicht der Besitzer. Der Vorstand der Firma ist George Alexander Albrecht, ein berühmter Mann. Er ist schon mehrfach in diesem Blog erwähnt. Zum Beispiel in dem Post Knoops Park, weil er eine Tochter des Barons Knoop geheiratet hatte. Er kauft sich in Leuchtenburg den Nachbau des irischen Lowther Castle, und wird dort mit seiner Familie wohnen. Sein Urenkel Ernst Albrecht wuchs hier auf. War mal Ministerpräsident von Niedersachsen. Und der Vater von Ursula von der Leyen.

Die Wolle zu waschen ist das eine, die Wolle zu kämmen das andere. Und so wird George Alexander Albrecht zusammen mit anderen Bremer Kaufleuten 1883 in Blumenthal (das damals noch nicht zu Bremen gehört) die Bremer Wollkämmerei (BWK) gründen. Einer der Gründer ist übrigens der Wollhändler Johannes Fritze, den kennen Sie aus dem Post die Villa Fritze. Die BWK, die einmal die größte Wollkämmerei der Welt war, ist inzwischen auch schon Geschichte. Die Nordwolle der Brüder Lahusen, die beinahe den Bremischen Staat ruinierten, auch.

Im damals nicht bremischen Lesum beginnt 1892 das Leben des Anton Hugo Körtzinger. Auf dem kleinen Fluß Lesum wird er als fünfjähriger Junge segeln, zur Freude seiner Mutter, deren Vater Kapitän eines Segelschiffs war. Den in Vegesack geborenen Kapitän Bernhard Gärdes, der mit der Bark OceanAuswanderer nach New York und Baltimore schippert, hat der junge Hugo Körtzinger allerdings nicht mehr kennengelernt. Das Meer und die Seefahrt werden für ihn aber noch eine große Bedeutung haben. Nicht nur wegen des Bildes Seemannsfrau mit Kind am Meer aus dem Jahre 1942. Denn 1931, als es dem jungen Maler wirtschaftlich schlecht geht, bekommt er eine Anstellung als Bordmaler beim Norddeutschen Lloyd.

In sechzehn Seereisen wird er um die ganze Welt kommen, hier hat er seine Staffelei in Spitzbergen aufgestellt. Er wird jetzt Bilder verkaufen, Aufträge bekommen, aber was noch wichtiger ist, er wird viele Freundschaften schließen. In den dreißiger Jahren ist viel Prominenz an Bord der Schiffe. Körtzinger hatte das Realgymnasium in Vegesack besucht, dieselbe Schule, die ich besuchte. Er ging wie ich in die Vegesacker Kirche, und er hat da mit zwölf Jahren begonnen, Orgel zu spielen. 1937 wird er sich eine Orgel kaufen, die er in seiner neugebauten Werkstatt in Schnega aufstellt.

In das kleine Kaff am Rande der Lüneburger Heide hatte es ihn verschlagen, denn Helene Peltret, die er 1914 geheiratet hat, kommt aus dem Ort. Er wird sie bei den meisten seiner Seereisen mitnehmen. Im Jahr seiner Hochzeit meldet er sich als Freiwilliger zum Militärdienst und landet bei der Reserve Ersatz-Eskadron des Kürassierregiments von Seydlitz in Halberstadt. Hat einen Reitunfall, der ihn davor bewahrt, den wirklichen Krieg kennenzulernen und wird aus gesundheitlichen Gründen vor dem Kriegsende entlassen. Er bleibt in Schnega, behält aber sein Bremer Atelier, bis das im Zweiten Weltkrieg zerstört wird.

Zwei Ehepaare auf dem Markusplatz in Venedig, sie sind auf einer Kreuzfahrt eines Lloyd Dampfers hier angekommen. Die Herren haben Tauben auf dem Hut. Links sehen wir den Bordmaler Hugo Körtzinger, der Herr rechts wird für den Künstler immens wichtig. Er heißt Hermann Fürchtegott Reemtsma und ist Millionär. Unser Künstler hat ihn auf einer Schiffsreise kennengelernt, jetzt sind die beiden befreundet. Sie werden zeitlebens befreundet bleiben. Reemtsma wird zum wichtigsten Mäzen des Malers. Dank seiner finanziellen Zuwendungen kann Körtzinger sich in Schnega ein Studio neben seinem Haus bauen und sich eine Orgel kaufen.

Aber er tut auch viel für Reemstma, er wird der wichtigste Kunstberater des Hamburger Millionärs. Seine Leistung beim Aufbau der Kunstsammlung Reemtsmas wird heute noch auf der Seite der Reemtsma Stiftunggewürdigt. Auf diesem Bild vom August 1934 umrahmen Körtzinger und Reemtsma den Bildhauer Ernst Barlach. Im Hintergrund ist der noch unvollendete Fries der Lauschenden zu sehen. Körtzinger, der dank der Hinweise des Bremer Bildhauers Dietrich Kropp schon früh Barlachs Werk kannte, hatte den Künstler und den Sammler zusammengebracht. Reemtsma wird zu einem Mäzen Barlachs: Ich bin Ernst Barlach nie anders begegnet als mit großer Ehrfurcht vor seiner Kunst. Ich bin 1934 zu ihm gefahren, weil mich seine Kunst, der ich erst zwei Jahre zuvor bewusst begegnet war, anging. Alles Weitere, was daraus erfolgte, war innere Verpflichtung und hat nichts mit Mäzenatentum zu tun, hat Reemtsma 1948 geschrieben.

Mit den Nationalsozialisten hatte Körtzinger nichts am Hut, er notiert 1933 in seinem Tagebuch: Dieser Quacksalberpolitiker …  fürchterlich, daß ein solcher Mann in Deutschland Reichskanzler werden kann. Er betrachtet mit Sorge, wie Barlach angefeindet wird, seine Kunst plötzlich zu entarteter Kunst oder Verfallskunst wird. Nach Barlachs Tod wird Körtzinger eine kleine Schrift mit dem Titel Freundesworte: Ernst Barlach zum Gedächtnis herausgeben. Er wird bei der Beerdigung Barlachs ein plattdeutsches Gedicht vortragen, das mit den Versen Ligg Du man sachten, swig still, / lat spöken dar buten, wat will! beginnt. Körtzinger hat Joseph Goebbels mit einem Telegramm vom Tod Barlachs informiert, ich weiß nicht, ob das eine rührende oder eine ironische Geste ist. Er wird nach dem Tode Barlachs dafür sorgen (und das wird er Goebbels niemals mitteilen), dass zwei von Barlachs Werken der Vernichtung durch die Nazis entgehen. Der Güstrower Schwebende Engel wurde zwar eingeschmolzen, aber den Nachguss vom Originalmodell hütete Körtzinger auf seinem Hof in Schnega. Das hier ist der Kieler Geistkämpfer, wie er seit 1954 vor der Kieler Nikolaikirche steht.

Im Jahre 1948 sieht der Geistkämpfer so aus. Zersägt, zerlegt, in Holzkisten verpackt, hat er den Krieg auf Körtzingers Hof überstanden. Ernst Barlach ist 1938 gestorben, er hat das nicht mehr erfahren, dass Körtzinger zwei seiner Hauptwerke gerettet hat. Die Bronzegießerei Hermann Noack aus Berlin, die 1928 den Geistkämpfer gegossen hatte, restaurierte in den fünfziger Jahren die Teile im Innenhof des Kieler Rathauses. Wenn sich der Oberbürgermeister Andreas Gayk, der Kiel nach dem Krieg wiederaufbaut, nicht für den Ankauf der Statue eingesetzt hätte, stände sie wahrscheinlich immer noch in der Lüneburger Heide. Wahrscheinlich hat der Schäferhund von Körtzinger da auch mal dran gepinkelt.

Das Wikipedia Lexikon hat für mein Gymnasium eine Internetseite auf der es auch eine Kategorie für berühmte ehemalige Schüler gibt. Jürgen Trittin ist dabei und manche meiner Mitschüler, die hier schon im Blog vorkommen (wie Charlie KottkampClaus Jäger oder Bernd Neumann). Aber der Name Hugo Körtzinger fehlt in dem Artikel. Wer immer diese Liste aufgestellt hat, wusste wahrscheinlich nicht, dass es diesen wirklich bedeutenden Mann gibt. Doch der Maler und Kunstretter ist nicht ganz vergessen, es gibt einen Förderverein Hugo Körtzinger, und die Werkstatt in Schnega ist mit Mitteln der Reemtsma Stiftung renoviert worden und kann besichtigt werden.

Postscriptum: Professor Arne Körtzinger, der der Großneffe von Hugo Körtzinger ist, hat mir eine nette Mail geschrieben und mir gesagt, dass er dafür gesorgt hat, dass Hugo Körtzinger jetzt auch auf der Seite des Gerhard Rohlfs Gymnasiums unter den berühmten Schülern steht.

Veröffentlicht unter Uncategorized | Kommentar hinterlassen

Ubbelohde

Ich hielt die Karte in der Hand und sagte mir: Worpswede. Aber den Maler kannte ich nicht. Der war auch nicht aus Worpswede, der kam aus Marburg. Die Karte kam auch aus Marburg, weil die Claudia da studierte. Kunstgeschichte bei Professor Wolfgang Kemp. Der sei letztens mit solchen Entenjagd Schuhen zu einem blauen Anzug im Hörsaal erschienen, hatte sie mir erzählt. Ich nehme an, dass dieser Aufzug für Marburg eine Sensation war. In New York hätte man damit kein Aufsehen mehr erregt, die Kombination von Entenjagdschuhen und eleganten Anzügen war damals bei Yuppies gerade modern. Wer Claudias Professor war, das wusste ich, denn ich hatte gerade sein Buch über John Ruskin gelesen, das beste deutschsprachige Werk zu Ruskin.

Ich beschloss, da ich nichts über Otto Ubbelohde wusste, diese Wissenslücke zu füllen. Das erste Buch, das mir in die Hand fiel, war im Worpswede Verlag erschienen, so kamen der Marburger Maler und Worpswede doch zusammen. Es ist von dem Kunsthistoriker Bernd Küster, dessen Buch Worpswede 1889 – 1989: Hundert Jahre Künstlerkolonie bei mir im Regal steht. Meine Assoziation Worpswede beim Anblick der Karte (die sich leider nicht im Internet findet) war doch nicht so falsch gewesen. Bernd Küster hat häufig über Worpswedegeschrieben, und er war 1987 Preisträger des neu ausgelobten Otto Ubbelohde Preises. Sein Buch über Ubbelohde aus dem Jahre 1984 war die erste Monographie über den Maler. Da heute der hundertste Todestag des Malers ist, stelle ich noch einmal einen Post ein, der hier schon einmal stand. Der ist nach vier Jahren immer noch gut.

Dieses bezaubernde junge Mädchen kennen Sie schon, es findet sich in dem Post, der Worpswede heißt. Der Maler Otto Ubbelohde, der es gemalt hat, war mit einer Bremerin verheiratet. Deshalb zog es ihn wohl nach Worpswede, allerdings zog es ihn auch häufig in die bayrische Künstlerkolonie Dachau. Otto Ubbelohde kam aus Marburg. Dass es ihn nach Bremen verschlug, hat einen einfachen Grund, es sind verwandtschaftiche Beziehungen.

Denn die Johanna Ernestine (Hanna) aus der Künstlerfamilie Unger, die er heiraten wird, ist seine Cousine. Das verschweigt uns der Wikipedia Artikel. Der Maler hat seine Frau immer wieder gemalt, hier ganz in weiß, ein Bild, das uns an die Skagener Maler denken läßt. Diese Bilder der heure bleue, auf denen weißgekleidete Damen den Strand entlang schweben. Wahrscheinlich sind weiße Kleider weder am Strand noch im Moor sehr praktisch, aber sie sind nun einmal ein Kleidungsstück, mit dem die Bourgeoisie zeigt, dass sie Dienstboten hat, die die Kleidung waschen können. Das gilt auch für die Sportarten Tennis und Cricket, die Ende des 19. Jahrhunderts auch für Damen chic wurden. Die Frau in Weiß ist auch auf dem Cover des Katalogbuches Otto Ubbelohde: Kunst und Lebensreform um 1900 (Darmstadt 2001).

Mit diesem englischen Plaid ist Hanna Ubbelohde natürlich viel praktischer gekleidet, sie geht damit beinahe in der Natur auf. So etwas sieht man heute selten, aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und um 1900 findet man das Plaid häufig beim englischen Landadel und der künstlerischen Bohème. Erstaunlicherweise habe ich in den Ausstellungen Ein Hauch von Eleganz: 200 Jahre Mode in Bremen (Focke Museum Bremen 1984) und Kleid und Bild: Mode und Malerei. Klassizismus bis Art Deco (Hannover 1983) kein einziges Plaid gesehen. Die Kataloge zu beiden Ausstellungen kann man heute noch finden, es sind sehr interessante und schöne Kataloge. Wenn Sie den Post Damenmode anklicken, werden Sie sehen, dass es in diesem Blog nicht nur Herrenmode gibt, wie häufig behauptet wird.

Aber ich komme mal eben zur Herrenmode. Dieses Bild kommt jetzt ein wenig wie ein Schock. Wenn Sie jetzt Aääh, mach das weg!!! stöhnen, haben Sie vollkommen recht. Aber es hat auch etwas mit Mode zu tun. Und damit meine ich nicht die kleinen Jungen in Lederhosen mit Hosenträger (so etwas habe ich auch noch getragen, als ich klein war), sondern das, was der Herr rechts im Bild trägt. Es handelt sich natürlich um Martin Heidegger, der in diesem Blog selten vorkommt. Er hat einen Post, der Heidegger heißt, mehr gibt es zu dem Mann nicht. Wenn er hier auftaucht, dann hat das einen simplen Grund: Otto Ubbelohde hat ihm einen Lodenananzug mit Kniebundhosen entworfen. Die Marburger Studenten nannten den seinen existentiellen Anzug. Dies hier auf dem Photo ist er nicht, ein klein wenig exzentrisch ist er aber auf jeden Fall.

Ubbelohde (hier mit seiner Gattin) hat es nicht mehr erlebt, dass Heidegger den von ihm entworfenen Anzug mit den engen Breeches und dem langen Rock trug, er starb schon 1922 mit 55 Jahren. Dass er einen Anzug entwarf, war kein Zufall, er hatte sich lange mit Gedanken zu einer Reform der deutschen Herrenkleidung beschäftigt. Sein Ideal war, dass sich die Herrenmode wieder der Volkstracht annäherte. Er ist nicht der einzige, der sich solche Gedanken macht. Seit der englischen ästhetischen Bewegung, die Shaw dazu bringt Anzüge von Jaeger zu tragen, hat es immer wieder solche Tendenzen gegeben. Auf dem Monte Verità trägt man keine Straßenanzüge.

Wir vergessen Heidegger schnell wieder und widmen uns einmal diesem wunderbar gemalten Damenhut, den Hanna hier trägt. Erstaunlicherweise ist die Malerei nicht das, womit der Künstler sein Brot verdient – er verdient sein Geld als Illustrator. Er hat Grimms Kinder- und Hausmärchen und tausenderlei Bücher illustriert, Ex Libris und Vorsatzblätter und den Hessen-Kunst Kalender entworfen. Seine letzte große Illustrationsarbeit betraf in seinem Todesjahr das Werk Eichendorffs, Eichendorffs Gedichte mit den Zeichnungen von Ubbelohde gibt es heute noch als Insel Taschenbuch.

Die Worpsweder der Gründergeneration mochten Otto Ubbelohde nicht so sehr, 1889 war er nicht groß aufgefallen, da hatte er sein Studium an der Münchener Akademie noch nicht beendet, aber bei den beiden Sommeraufenthalten 1894 und 1895 kommt es zum Bruch mit den Worpswedern. Obgleich er eigentlich ein Mann der Moderne ist, Mitbegründer der Münchener Sezession ist und sich  an vielen Künstlervereinigungen (wie den Vereinigten Werkstätten für Kunst und Kunsthandwerk) beteiligt, ist er in der Willingshäuser Malerkolonie, wo er seit 1902 ist, besser aufgehoben als in Worpswede.

Ubbelohde ist ein letzter Romantiker, er träumt von der unverfälschten Natur, er trägt Bauerntracht wie Hänsel und Gretel, wenn er sie für Grimms Märchen zeichnet. Es gibt heute noch einen Otto Ubbelohde Preis, dessen Kriterien Denkmalpflege, Heimatkunst, Heimatgeschichte, Pflege des ‚heimischen Brauchtums‘ und Beschäftigung mit dem Werk Otto Ubbelohdes sind. Im Ersten Weltkrieg wird er sich mit patriotischer Propaganda hervortun und eine Vielzahl von Büchlein des Schaffstein Verlags illustrieren. Also solche Büchlein, die Ein Heldentod und Denn wir fahren gegen Engeland! Luft- und Seekriegsgeschichten heißen. Hätte ich das mit dem England Buch vorher gewusst, dann hätte ich das natürlich in den Post gen Engeland hineingeschrieben.

Ubbelohde war ein hervorragender Portraitist (dafür hatte er an der Münchener Akademie eine Auszeichnung erhalten) und ein hervorragender Landschaftsmaler. Was hätte aus ihm werden können, wenn er sich nicht auf die Illustration von Sagen und Märchen und das verquaste deutsche Brauchtum kapriziert hätte? Auf das Sterntaler Bild, das seit den Kindertagen in meinem Kopf ist, könnte ich gerne verzichten.

Veröffentlicht unter Uncategorized | Kommentar hinterlassen

Georges Braque

Heute vor einhundertvierzig Jahren wurde der Maler Georges Braque geboren, ein Freund von Picasso, Erfinder des Kubismus. 1914 wurde er als Feldwebel eingezogen, ein Jahr später wurde er, gerade zum Leutnant befördert, in der Schlacht von Artois schwer verletzt. Es dauert zwei Jahre, bis er sich von seiner Kopfverletzung erholt. Er bekommt das gerade geschaffene Croix de Guerre (zuerst in Bronze, dann das mit Palmen) und wird Chevalier de la Légion d’Honneur. Er braucht lange Zeit, um sich wieder im Leben zurechtzufinden. Der Mann, den man auf dem Schlachtfeld erst hatte liegen lassen, weil man ihn für tot hielt, wird noch lange leben. Und er wird sehr reich werden. Dieser Post heute stand hier schon einmal vor sechs Jahren, mir fällt gerade nichts Bsseres ein. Es ist aber ein sehr schöner Post, den man auch zweimal lesen kann.

Georges Braque, 74, Kunstmaler und Massenproduzent moderner Bilder, kaufte sich als zweiter französischer Maler nach seinem Kollegen Bernard Buffet, 28, (Spiegel 28/1956) ein Rolls-Royce-Auto, schrieb der Spiegel 1956. Das mit dem Massenproduzenten mag der Künstler wohl nicht so gerne gehört haben. Als Braque sich den Rolls kaufte, hatte der Maler einen Chauffeur. In den zwanziger Jahren fuhr er noch selbst. Zum Beispiel diesen Alfa Romeo. Den er auch noch bemalt hatte, sozusagen ein echter Braque.

Das dürfen Maler mit ihren Autos ja tun. Wird viel zu wenig gemacht. Der Satz von Henry Ford, any color so long as it is black, gilt für das Europa des Art Déco nicht. Denn bevor John Lennon in einem psychedelischen Rolls spazierenfuhr, gab es schon das hier. Dieses Auto hier wurde nach einem Design von Sonia Delaunay neu gespritzt (es war nicht das einzige Fahrzeug, das sie bemalte). Auch die beiden Damen, die das Auto dekorieren, tragen Kleidung, die von Delaunay entworfen wurde. Hergestellt wurden die Pelzmäntel von Jacques Heim, mit dem Delaunay lange zusammenarbeitete. Jacques Heim hatte übrigens 1946 auch einen Bikini erfunden, den er Atom nannte, aber da setzte sich doch das Modell von Louis Réard mit dem Namen Bikini durch (das hier schon einen Post hat).

Frauen scheinen in den zwanziger Jahren keine Angst vor dem Automobil zu haben. Tamara de Lempicka malt sich 1929 voller Stolz am Lenkrad ihres grünen Bugattis. Es ist die Zeit der flapper, jener jungen Frauen, die jetzt Sport treiben (wie in Jordan Baker in Fitzgeralds Great Gatsby), Hosen tragen, öffentlich Zigaretten rauchen und Automobile besitzen. In der Geschichte der Emanzipation spielt das Automobil eine wichtige Rolle. Und ein Auto wie der Jordan Playboy war nicht für eine männliche Kundschaft konzipiert (lesen Sie hier mehr über eine der berühmtesten Anzeigen der Werbegeschichte).

Die roaring twenties sind nicht nur die Zeit der flapper, sie sind auch die große Zeit des Art Déco – das Photo von Sonia Delaunays Auto und ihren Pelzmänteln wurde von einem Pavillon der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes (kurz: Art Déco) gemacht. Die zwanziger Jahre sind auch die große Zeit des Plakats. Hier hat André Edouard Marty eine junge Dame der Pariser Gesellschaft in ihrem Citroen abgebildet. Wir können hier sehen, dass das Automobil ein Accessoire der Haute Couture geworden ist.

Marty hatte an der Ecole des Beaux Arts studiert und arbeitete für die führenden Modejournale wie die Gazette du Bon Ton, das Journal des Dames et les Modes oder Vogue. Er war sogar so berühmt, dass ihn London Transport für Plakate verpflichtete. Das hätte ich in dem Post Keep calm and carry on vielleicht noch erwähnen sollen. Um das wieder gutzumachen, habe ich hier ein schönes Plakat, das er für die London Underground entworfen hat.

Der Elendsmaler Bernard Buffet hatte nicht nur einen Rolls, er malte ihn auch gerne. Obgleich es viele Künstler gibt, die einen Rolls besitzen, malt kaum jemand das Objekt der künstlerischen Begierde. Marcel Duchamp tat das nicht, und auch Joseph Beuys hat seinen Bentley nicht gemalt. Der Massenproduzent Georg Baselitz weiß weshalb: Wenn einer zu viele Ringe an den Fingern trägt oder einen Rolls-Royce fährt, wird der geschmäht. Das ist ein Phänomen, das in einer Neidgesellschaft wuchert. Ganz übel, und Deutschland hat dazu alle Fundamente gelegt.

Das ist natürlich schlimm, Maler wie Baselitz haben es in Deutschland ganz schwer. Ein Rolls Royce ist etwas für Könige. Und für Kleinbürger wie Baselitz, der sich – ebenso wie Bernard Buffet – ein Schloss kaufte. Etwas weniger beklagt sich da Markus Lüpertz. Massenproduzent moderner Bilder, Millionär und Rolls Royce Liebhaber Markus Lüpertz hatte soviel Humor, das Cover für den Krimi von Joseph Wambaugh Der Rolls-Royce-Tote zu zeichnen.

Georges Braque war in seiner Jugend ein wilder Fahrer gewesen. Sein Freund Picasso war um ihn besorgt und hatte ihm immer zu einem Chauffeur geraten. Den bunt bemalten Alfa hatte Braque nicht lange behalten, er verkaufte ihn für tausend Francs an den Dichter Blaise Cendras (lesen Sie mehr in dem Post Blaise Cendrars). Kaufte sich aber sofort einen neuen Alfa. Als Braque sich einen großen Hispano Suiza kaufte, leistete er sich dann auch einen Chauffeur. Mit Livree.

Ein Hispano Suiza war damals viel exklusiver als ein Rolls (lesen Sie hier mehr dazu), der Name war noch nicht ruiniert durch den HS 30 Panzer. Wahrscheinlich war diese Exklusivität auch ein Grund dafür, dass Picasso sich 1953 auch einen kaufte. Und sich natürlich einen Chauffeur zulegte. Er mochte das Auto, weil es so groß war, dass er seine ganze Malausrüstung darin verstauen konnte. Braque andererseits hatte ein kunstvolles System ersonnen, um Leinwände und Malmaterial auf dem Dach seines Rolls zu befestigen. Ein Jahr bevor sich Picasso seinen Hispano Suiza kaufte, hatte er diese Plastik eines Pavians geschaffen, dessen Kopf aus einem Auto besteht, aber Picassos Plastik und sein Auto haben bestimmt nichts miteinander zu tun. Man weiß nicht, was in Picassos Kopf vorgeht.

Ein Rolls Royce bietet sich für einen Künstler schon deshalb an, weil er selbst ein Kunstwerk ist, da hätte man den Plan von Alina Szapocznikow, einen riesigen Rolls-Royce aus portugiesischem rosa Marmor herzustellen, gar nicht gebraucht. Der Kunsthistoriker Erwin Panofsky hat in einem witzigen Aufsatz mit dem Titel The ideological antecedents of the Rolls-Royce radiator auf die gerade, klare Gliederung der Villen des Palladian Style hingewiesen (und der Rolls-Royce Kühler verdankt Palladio ja auch vieles), die in völligem Gegensatz zu der gewollten Unordnung der Natur des englischen Landschaftsgartens steht. Deshalb stellen Sie Ihren Rolls am besten in den Park. Aber niemals unter Lindenbäume. Sagt ein Handbuch für Rolls Royce Chauffeure.

Man kann einen Rolls in jeder beliebigem Form bekommen. Das hier gilt allgemein als der hässlichste Rolls, der je gebaut wurde. Nubar Gulbenkian (der bestimmt ein halbes Dutzend Rolls Royce besaß) hatte ihn sich 1947 von der Karosseriefabrik Hooper bauen lassen. Not everyone will care for the very advanced appearance – but there is no doubt it is striking, schrieb die Zeitschrift Autocar. Man kaufte bei der Firma Rolls Royce eigentlich nur Fahrwerk und Motor, alles andere machten Firmen wie Hooper, Mulliner oder Park Ward.

Die Erfahrung musste auch der junge Michael Caine machen, als er ein spezielles Modell haben wollte. Ein älterer Herr sagt ihm bei der Autoshow: I think I can assure you myself, sir, that the Mulliner Park Ward chassis will never be available on the model you require because Mr Mulliner is dead and I am Mr Park Ward, so you are getting your information straight from the horse’s mouth, as the saying goes. Lesen Sie mehr dazu in dem Post Luxuskutschen. Heute fährt Michael Caine, der noch keinen Führerschein hatte, als er sich seinen ersten Rolls kaufte, einen grauen Lexus: I used to drive a Rolls and all that but they were just too ostentatious for this world now. I had to get rid of them. Die goldene Rolex ist auch vom Arm verschwunden. So etwas hat doch Stil. Der Link bei Rolex führt übrigens zu einem Post, der mehr als zehntausend Mal angeklickt wurde.

Natürlich ist es immer feiner, einen Bentley zu haben als einen Rolls Royce. Das hatte Braque auch eingesehen, sein Rolls machte einem grauen Bentley Platz. Der Spiegelwusste damals zu vermelden: Georges Braque, 79, französischer Kubist, läßt seinem 80 000-Mark-Auto, einem britischen Bentley, bei den täglichen Spazierfahrten in Paris zwei Motorroller-Fahrer vorauseilen, damit er rechtzeitig vor Verkehrsstockungen gewarnt wird, die dem Maler zuwider sind. Wenn man Massenproduzent moderner Bilder ist, kann man sich auch so etwas leisten.

Es gibt genügend Gemälde, auf denen Automobile sind. Und es gibt auch inzwischen eine große Zahl von Büchern wie Das Automobil in der Kunst 1886 – 1986 von Reimar Zeller (Prestel Verlag), Automobil: Das magische Objekt in der Kunst (derselbe Autor, diesmal beim Insel Verlag), Art and the automobile von D.B. Tubbs oder Gerald D. Silks Automobile and Culture (und ich hätte hier für Liebhaber amerikanischer Automobile noch einen Link zu einer sehr interessanten Nummer des Michigan Quarterly Review). 

Dieser schöne Cézanne mit einem alten Citroen ist in all den oben erwähnten Büchern nicht zu finden. Man kann das Bild lediglich in der Folge Who Killed Harry Field? der englischen Krimiserie Morse sehen. Sie können sie ✺hier in mehreren Teilen sehen, ich finde, dass es der beste Morse ist. Der Maler, der dieses Bild gefälscht hat, sagt in dem Film zu Morse: Two golden rules of forgery, Mr. Morse, spontaneity and never do Raphael. Braques werden häufig gefälscht (ein Raffael seltener), auch unser Wolfgang Beltracchi hat falsche Braques gemalt. Wenn Sie einen Georges Braque haben wollen, dann wenden Sie sich doch mal an diese Adresse.

Das ist kein Fälscher, i bewahre, das ist ein Künstler: When I paint in the style of one of the greats… Monet, Picasso, Van Gogh… I am not simply creating a copy or pale imitation of the original. Just as an actor immerses himself into a character, I climb into the minds and lives of each artist. I adopt their techniques and search for the inspiration behind each great artist’s view of the world. Then, and only then, do I start to paint a ‘Legitimate Fake’. Raffael hat der Mann nicht im Programm, Braque schon. Wenn Sie ihn bitten, malt der Produzent von legitimate fakes Ihnen bestimmt auch einen kleinen Rolls Royce zwischen die Häuser.

Ich weiß nicht, wie es kommt, aber die Firma Rolls Royce kommt immer wieder in diesem Blog vor. Sie könnten auch nochlesen: automobiliaLuxuskutschenTraumwagenAprilLindenbäumePalladioDes Königs JaguarLisbethKönig FarukGregor von RezzoriF. Scott Fitzgeralds AutomobileMercédèsFranco CostaPolitische SymbolikKieler WocheCutty SarkJens Christian JensenKieler ChicHerrenausstatterPatti d’ArbanvilleSwinging LondonFahrstuhl zum SchafottBorgwardBaselSegelbooteInvasionJogginghosenNeo RauchNachtigallen.

Veröffentlicht unter Uncategorized | Kommentar hinterlassen