Unsere Marine

Da möchte man sich doch gleich verpflichten, so nach dem Motto Join the Navy and see the World. Die Zigarettenmarke von Georg Anton Jasmatzi, dem Zigarettenkönig aus Dresden, machte nicht nur mit diesem Spruch Unsere Marine Reklame, sie hieß wirklich so. Vor dem Ersten Weltkrieg konnte man so etwas noch machen.

Georg Anton Jasmatzi ist nicht der einzige, der in Dresden eine Zigarettenfabrik betreibt. Da ist noch Hugo Zietz, der Inhaber der Orientalischen Tabak- und Cigarettenfabrik Yenidze. Er importiert den Tabak aus Yenidze in Griechenland, wir werden die ➱Griechen in diesem Blog nicht so recht los. Vielleicht sollte ich noch sagen, dass Georg Anton Jasmatzi eigentlich Georgios Antoniou Iasmatzis heißt. Die Fabrik von Zietz, die wie die Marke auch Yenidze heißt, nennt man in Dresden die Tabakmoschee.

Wenn Sie diese Bilder betrachten, wissen Sie weshalb. Sieht ein wenig aus wie das Iranistan von P.T. Barnum (das Bauwerk wurde schon in dem Post ➱Plagiate erwähnt). Wenn Sie jetzt zufälligerweise noch mehr über Tabak lesen wollen, kann ich die Posts ➱Tabac Trennt und ➱Blauer Dunst empfehlen. Die Kieler Firma Th. Trennt hätte eigentlich auch in der Ausstellung, von der hier die Rede sein soll, repräsentiert sein sollen, denn ihr Aufstieg ist untrennbar mit der Kieler Marine verbunden (lesen Sie ➱hier mehr zur Geschichte der Firma, bei der auch Admiral Graf Spee seine Zigarren kaufte).

In der Ausstellung, in der ich das Plakat für Unsere Marine sah, gab es auch ein Bild, das vielleicht schon ein wenig Zweifel an der Welt der deutschen Kriegsmarine ausdrückt, nämlich Lovis Corinths Matrose der kaiserlichen Marine mit wehender Reichsfahne. Das würde Jasmatzis Firma sicherlich nicht auf die Packungen von Unsere Marine gedruckt haben. Lovis Corinth war wie so viele Künstler vom Krieg begeistert, von dem er sich eine Erneuerung der Welt versprach. Ich zitiere einmal etwas aus seiner Selbstbiographie, das heute beinahe unglaublich erscheint: In diese moderne Zeit, wo der Tango der Haupttrumpf war und die kubistische Malerei und die hottentottensche Naivität in der Kunst alles Einfache übertraf und man dem einfachen Studium der Natur geradezu ins Gesicht schlug – in dieser Zeit, welche so blasiert in ihrer Gleichgültigkeit war, daß wir nicht scharf genug Mittel hatten, um unsere eingeschläferten Sinne aufzustacheln.

Da schlug die Kriegserklärung zündend ein. Alle wandten sich in ihrer Bedrängnis zu Gott dem Allmächtigen, und der Kaiser und alle Deutschen mit ihm schlugen an ihre Brust und gelobten ewige Treue gegeneinander zu wahren. Aus ruhmvoller Vergangenheit erhob sich die gewaltige Gestalt des eisernen Kanzlers und wie eine Posaune tönte seine Prophezeiung, die zur Erfüllung werden sollte: »Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt!« Mit diesem Augenblick war der Himmel blau und wie von all den krankhaften und unnatürlichen Gebrechen unserer bisherigen Belastungen erlöst. Fröhliches Lachen und alter deutscher Humor huschten selbst über die dem Tode geweihten Heerscharen. Unser alter Blücher scheint neben unseren Heldengestalten wieder lebendig zu sein. »Wer heute abend von der Schlacht nicht wonnetrunken ist, ist entweder tot oder ein Hundsfott« hat Blücher vor der Schlacht bei Waterloo gesagt, und ich glaube nicht, daß dieses in einer anderen Sprache auszudrücken möglich wäre.

Mit der Kenntnis dieses Zitats blicken wir natürlich ganz anders auf den Matrosen von Lovis Corinth. Die Ausstellung, in der er zu sehen ist, heißt Kiel als Marinestadt 1865 -1914: Von der preußischen Flottenstation zum Reichskriegshafen. Natürlich ist in dieser Ausstellung noch viel mehr zu sehen, einen Kieler Knabenanzug (dies Kleidungsstücke wird schon in den Posts ➱Blazer und ➱Donald Duck erwähnt) gibt es auch zu sehen. Die Ausstellung wurde im März eröffnet (sie geht noch bis zum 20. September 2015), weil hundertfünfzig Jahre zuvor Wilhelm I den Befehl gegeben hatte: Die Marine-Station der Ostsee ist von Danzig nach Kiel zu verlegen.

Vier Jahre später gründete der Monarch, der einmal als ➱Kartätschenprinz bekannt war, noch eine zweite Marinestadt, nämlich Wilhelmshaven (vulgo Schlicktown), das aber nicht einen solchen Aufstieg verzeichnen konnte wie Kiel. Der kaiserliche Befehl: Die Marine-Station der Ostsee ist von Danzig nach Kiel zu verlegen, markiert den Aufstieg von Kiel von einem kleinen Provinzstädtchen zum Reichskriegshafen. Wo die Welt so plakativ aussieht, wie auf diesem Bild des Marinemalers Carl Saltzmann.

Wir wissen, wo der Aufstieg endet. Spätestens im Kieler Matrosenaufstand. Bei dem die Matrosen ja nichts zu tun hatten, als in den Kneipen zu feiern. Und sie hatten ihre Schiffe nicht ordentlich festgebunden, und in der Nacht ist ein großer Sturm gekommen und hat die Schiffe auf die andere Seite der Förde getrieben. Und da mussten sie ganz um die Förde herumlaufen, um wieder zu ihren Schiffen zu kommen. Hat mir vor einem halben Jahrhundert eine Kieler Klavierlehrerin erzählt, die damals achtzig Jahre alt war. So wird es gewesen sein. Obgleich dieses Photo aus dem November 1918 eigentlich dagegen spricht.

Obwohl ich wusste, dass es die Ausstellung gab, habe ich einige Wochen gebraucht, um in den ➱Warleberger Hof zu gehen. Ich habe es nicht so mit der deutschen Marine, ich kenne nicht einmal die Dienstgrade. Als die Bundeswehr gegründet wurde, gab es genügend blaue Uniformen in unserem kleinen Kaff. Wir waren zwar kein Reichskriegshafen, aber die Schnellboote und der Tender Neckar (Bild) der Bundesmarine wurden bei uns gebaut. Und unsere Marinetradition war auch viel älter als die von Kiel. 1623 hatte der Ort den ersten künstlichen Hafen in Deutschland, und schließlich hat der Gründer der ersten deutschen Reichskriegsflotte hier gewohnt (lesen Sie mehr in ➱Admiral Brommy und ➱Arnold Duckwitz).

Aber die Kriegsmarine prägte unseren Ort nie so, wie sie Kiel geprägt hat. Es gab keine Uniformschneider im Ort, wer eine Uniform brauchte, kaufte die beim Schiffsausrüster Hinrich Meierdiercks in der Hafenstraße. In Kiel gab es vor einem halben Jahrhundert noch eine Handvoll Uniformschneider, von einem übernahm mein Freund Hans Carl Capelle den Laden, um daraus ➱Kelly’s zu machen. Das Ansehen der Kapitäne, die wie ➱Ernst Biet einen großen Dampfer des Norddeutschen Lloyds kommandiert hatten oder wie ➱Hugo Gottsmann Kapitän eines Segelschiffs gewesen waren, war in meinem Ort groß. Das Ansehen der neuen Marineoffiziere war gering. Solange das Schiff noch nicht übergeben war, ließen die Werftarbeiter keinen Kaleu ans Ruder. Sie wussten weshalb.

Ich brauche für den heutigen Tag natürlich noch ein Gedicht. Das erste Gedicht, das mir schon während des Besuchs der Ausstellung auf dem knirschenden Parkett im ersten Stock einfiel, ist von einem anonymen Verfasser. Es beginnt mit den unsterblichen Zeilen: Was steigt denn da am Horizont für´n schwarzer Rauch empor? Es ist des Kaisers Segelyacht, die stolze “Meteor”. Aber das habe ich schon in den Posts ➱Max Oertz und ➱Cutty Sark zitiert. Es musste etwas Neues her. An Dichtung über das Meer ist ja seit der Odyssee kein Mangel, ich füllte erst einmal einen ganzen Zettel mit Gedichtstiteln. Und dachte mir, ich sollte nichts Exzentrisches nehmen, sondern etwas Schönes, das mir immer wieder gefällt. Und da muss es am Todestag von Matthew Arnold natürlich Dover Beach sein:

The sea is calm to-night,

The tide is full, the moon lies fair

Upon the straits; — on the French coast the light

Gleams and is gone; the cliffs of England stand,

Glimmering and vast, out in the tranquil bay.

Come to the window, sweet is the night-air!

Only, from the long line of spray

Where the sea meets the moon-blanch’d land,

Listen! you hear the grating roar

Of pebbles which the waves draw back, and fling,

At their return, up the high strand,

Begin, and cease, and then again begin,

With tremulous cadence slow, and bring

The eternal note of sadness in.


Sophocles long ago

Heard it on the Aegean, and it brought

Into his mind the turbid ebb and flow

Of human misery; we

Find also in the sound a thought,

Hearing it by this distant northern sea.

The sea of faith

Was once, too, at the full, and round earth’s shore

Lay like the folds of a bright girdle furl’d.

But now I only hear

Its melancholy, long, withdrawing roar,

Retreating, to the breath

Of the night-wind, down the vast edges drear

And naked shingles of the world.


Ah, love, let us be true

To one another! for the world which seems

To lie before us like a land of dreams,

So various, so beautiful, so new,

Hath really neither joy, nor love, nor light,

Nor certitude, nor peace, nor help for pain;

And we are here as on a darkling plain

Swept with confused alarms of struggle and flight,

Where ignorant armies clash by night.

Ich habe Walter A. Aue mit seiner hochinteressanten Seiten von deutschen Übersetzungen englischsprachiger Lyrik schon in dem Post ➱Neujahr erwähnt. Lesen Sie hier, wenn Sie wollen, seine ➱Übersetzung von Dover Beach.

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Edle Wilde

I have the honor to present a young American, who has a letter of introduction to your eminence, and who has come to Italy for the purpose of studying the fine arts, sagt Mr Robinson zu dem Kardinal Albani, der in seiner Villa Albani einmal  die größte Sammlung römischer und griechischer Kunst besaß. Albani ist zwar blind, aber er hat in seiner Jugend Kunst gesammelt. Dafür hatte er Berater, die Johann Joachim Winckelmann und Anton Raphael Mengs heißen (der ➱hier schon einen Post hat). Häufig übernimmt sich Albani finanziell und muss verkaufen. Dafür ist man in Dresden dankbar, weil August der Starke vierunddreißig Werke für die Sammlung kauft, die heute ein Zierstück der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sind.

Den Rest der Sammlung wird eines Tages Clemens XII kaufen, es ist der Grundstock der Sammlung des Museo Capitolino. Unser Engländer namens Robinson (hier mit seinen Freunden auf der ➱Grand Tour) ist kein einfacher Mr Robinson, wenig später erbt er den Titel eines Lord Grantham (der nichts mit Downton Abbey zu tun hat). Mr Robinson sammelt wie alle Engländer auch ein wenig. Sein Sohn auch. Vor Jahren wurde aus dem Besitz dieser Familie eine ➱Venus für beinahe acht Millionen Pfund verkauft, die Robinsons Sohn im 18. Jahrhundert in Rom gekauft hatte.

Der junge Mann, den Thomas Robinson dem Kardinal vorstellt, heißt ➱Benjamin West. Er kommt direkt aus Amerika. Hier hat ihn ➱Angelika Kauffmann gezeichnet, die gerne etwas mit ihm angefangen hätte. Der Kardinal Alessandro Albani hält den Fremden, den man ihm vorstellt, für einen Indianer: The cardinal fancying that the American must be an Indian, exclaimed, ‚ Is he black or white?‘ and on being told that he was very fair, What, as fair as I am?‘ cried the cardinal still more surprised. This latter expression excited a good deal of mirth at the cardinal’s expense, for his complexion was of the darkest Italian olive, and West’s was uncommonly fair. The cardinal, after some other short questions, invited West to come near him, and running his hands over his features, attracted the attention of the company to the stranger, by the admiration he expressed at the form of his head. This occasioned inquiries respecting the youth; and the Italians concluding, that as he was an American, he must, of course, have been brought up as a savage, became curious to witness the effect which the works of art contained in the Belvidere and Vatican, would produce on him.

Das muss jetzt sein, wenn man aus der neuen Welt kommt. Da muss man die große Kunst der alten Welt sehen, denn der gute Geschmack, welcher sich mehr und mehr durch die Welt ausbreitet, hat sich angefangen zuerst unter dem griechischen Himmel zu bilden. Sagt unser guter ➱Winckelmann. Und für den war der Apollo von Belvedere das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums. Also marschiert man dorthin, wo der Apoll steht: it was arranged  that on the following morning they should accompany Mr Robinson and his protege to the palaces. At the hour appointed the company assembled; and a procession, consisting of upwards of thirty of the most magnificent equipages in the city, and filled with some of the most learned characters in Europe, conducted the young quaker to view the masterpieces of art. It was agreed that the statue of Apollo should be first submitted to his view, because it was the most perfect work among all the ornaments of Rome, and of course, the best calculated to produce that effect, which the company were anxious to witness.

Und was sagt Benjamin West? Er ruft: My God, how like it is to a young Mohawk warrior! Sein Ausruf verstört die Italiener. Benjamin West erläutert dann, wie er das gemeint hat: The Italians, observing his surprise, and hearing but not understanding the exclamation, requested Mr Robinson to translate to them what he said; and they were excessively mortified to find that the god of their idolatry was compared to a savage. Mr Robinson mentioned to West their disappointment, and asked him to give some explanation, by telling them what sort of people the Mohawk Indians were.

He described to them their education, their dexterity with the bow and arrow ; the admirable elasticity of their limbs; and how much their active life expands the chest, while the quick breathing of their speed in the chase, dilates the nostrils with that apparent consciousness of vigor which is so nobly depicted in the Apollo. ‚I have seen them often,‘ added he, standing in that very attitude, and pursuing, with an intense eye, the arrow which they had just discharged from the bow.’This explanation did not lose, by Mr Robinson’s translation, and the Italians were delighted, saying that a better criticism had rarely been pronounced on the merits of the statue. Er weiß viel über die Indianer zu erzählen; er sagt auch, dass sie ihn als Kind gelehrt hätten, sich Farben aus Lehm und wilden Beeren zu mischen. Ebenso wie seine römischen Zuhörer können wir das leider nicht überprüfen.

Die Bilder hier sind von Gilbert StuartJoshua Reynolds, ➱Joseph Wright of Derby und Benjamin West. Der ➱edle Wilde, ob aus Amerika oder Polynesien, hat in Europa Konjunktur. Das hatte sich scheinbar noch nicht bis Rom herumgesprochen. Ich zitiere mal eben etwas, was schon in dem Post ➱Philip Freneau steht: Freneau macht in seinem bekannten Gedicht The Indian Burying Ground noch etwas anderes: er verknüpft den edlen Wilden mit einem zweiten Komplex, der in der Lyrik jetzt schwer gefragt ist. Und das ist die englische graveyard poetry.

Also diese Gedichte, wo englische Landpfarrer bei Anbruch der Nacht auf einem Grabstein sitzen und schwermütig über Leben und Tod nachdenken, wie in ➱Thomas Grays Elegy Written in a Country Churchyard. Ist jetzt genau so Mode wie der edle Wilde. Und unser Absolvent der Universität, die eines Tages Princeton heißen wird, vermischt jetzt in einem Geniestreich beide Komplexe miteinander. Tote Indianer sind noch edler als edle Wilde. In der Literatur kommt jetzt auch schnell das Motiv des letzten Indianers, in Coopers The Last of the Mohicans zum Beispiel. In der Literatur siechen sie schon dahin, während sie in der Wirklichkeit noch quicklebendig sind. Und noch kein amerikanischer General The only good Indian is a dead Indian gesagt hat.

Benjamin West hat seinen Teil zum Bild des Indianers im 18. Jahrhundert beigetragen. Das ➱Gemälde vom Tod des General Wolfe war eine Sensation für die ➱Historienmalerei, denn zeitgenössische Kleidung hatte man auf solchen Bildern noch nie gesehen. Römer in weißen Bettlaken waren O.K., englische Offiziere in roten Röcken nicht. Und dann noch ein halbnackter Indianer!

Für den Reverend Robert Anthony Bromley gehörte der aber 1793 ins Bild, er schien ihm: so natural that no one would hardly expect them to be otherwise than they appear; and they come so near to the truth of the history, that they are almost true, and yet not one of them is true in fact. Nein, nicht alles ist wahr. Der General Sir William Johnson in grüner Uniform war gar nicht in Quebec. Und wahrscheinlich war auch gar kein Indianer beim Tod des Generals dabei. Es hat vielleicht eher so ausgesehen, wie hier auf dem Bild von James Barry. Kein Indianer zu sehen.

Viele Kritiker haben die Übereinstimmung der Pose des Indianers bei Benjamin West mit klassischen Statuen betont. Edler Wilder und Begeisterung für Griechen und Römer gehen jetzt zeitlich Hand in Hand. Aber wenn der Dresdner Bildhauer Ferdinand Pettrich das Jahrzehnte später noch wiederholt, rümpfen die Kritiker doch die Nase (lesen Sie ➱hier mehr zu der Ausstellung in Dresden), weil das Ganze inzwischen zu abgegriffen erscheint.

Pettrichs sterbender ➱Keokuk ist nicht die letzte Statue eines Indianers. In Amerika wird der Indianer eine völlig neue Funktion bekommen. Man schnitzt ihn lebensgroß aus ➱Holz und stellt ihn vor einen Tabakwarenladen. Als die Cigar Store Indians (die übrigens aus Europa, wo es sie schon im 17. Jahrhundert gab, nach Amerika gelangten) Konjunktur haben, da sind die Indianer schon beinahe ausgerottet. Benjamin West wird immer einmal wieder zu dem Thema der Indianer zurückkehren, so zum Beispiel in dem Bild William Penn’s Treaty with the Indians, zu dem Sie ➱hier mehr lesen können.

Nicht immer sind die Indianer bei West edel. Dieser Mohawk Krieger kann gerade noch von dem englischen General Johnson davon abgehalten werden, den Baron Dieskau umzubringen (lesen Sie mehr in dem Post ➱Montcalm). Der sächsische General steht in französischen Diensten, er sollte den Vormarsch der Engländer auf Kanada aufhalten. Der French and Indian War ist aber mit der Schlacht von Lake George noch lange nicht zuende. Zwei Jahre später wird hier wieder gekämpft, was jeder Leser von Coopers The Last of the Mohicans weiß.

Hier sehen wir noch einmal Sir William Johnson (oder vielleicht ist es auch sein Neffe Guy Johnson, man weiß das nicht so genau). Der englische Commisioner for Indian Affairs steht zwischen zwei Kulturen, Benjamin West verdeutlicht das durch die Kleidung. Eine englische Uniform mit vielen indianischen Accessoires und einer Mohawk Kappe. Der Indianer neben ihm, der Karonghyontye heißt, hält eine Friedenspfeife in der Hand. Im Hintergrund haben wir friedliche Indianer vor einem englischen Armeezelt, und dahinter plätschern die etwas klein geratenen ➱Niagarafälle. Der Indianer bleibt im Dunklen. Im Hintergrund. Da bleiben die rätselhaften Indianer immer.

Wir haben keine Bilder von Sir William Johnson, die ihn mit Molly Brant zeigen. Die Indianerin, die auch Koñwatsiãtsiaiéñni (Der eine Blume geliehen wurde) heißt, ist die Schwester von dem Mohawk Häuptling Joseph Brant (im Bild ganz oben von Gilbert Stuart gemalt). Sie wird mit dem englischen General acht Kinder haben. Die Geschichte von Pocahontas und Captain Smith hat kein happy ending, die Beziehung von William Johnson und Mary Brant scheint glücklich gewesen zu sein.

Ein Gedicht über Indianer zu finden, ist nicht so schwer. Johann Gottfried Seumes ➱Gedicht Der Wilde war früher in allen Lesebüchern. Im Gegensatz zu ➱Schiller und Goethe (den seine Freunde in Frankfurt den Huronen nannten), die auch über Indianer dichten, war ➱Seume (in hessische Dienste gepresst und nach Amerika gebracht) ja wirklich einmal da, wo Indianer leben. Ich hätte gerne das ➱Gedicht The Indian Student: or, Force of Nature genommen, aber das ist leider zu lang. Es ist ein Gedicht über einen Indianer, der in Harvard studiert. Und zum Studienabbrecher wird. Weil er nicht will, dass er zu einer Karikatur des weißen Mannes wird, wie auf dem Bild Savage and Tragically Civil von ➱George Catlin:

“And why,” he cried, “did I forsake

My native wood for gloomy walls;

The silver stream, the limpid lake

For musty books, and college halls.

Statt The Indian Student stelle ich lieber Freneaus kleineres Gedicht The Indian Graveyard hier ein:

In spite of all the learn’d have said;

I still my old opinion keep,

The posture, that we give the dead,

Points out the soul’s eternal sleep.


Not so the ancients of these lands —

The Indian, when from life releas’d

Again is seated with his friends,

And shares gain the joyous feast.


His imag’d birds, and painted bowl,

And ven’son, for a journey dress’d,

Bespeak the nature of the soul,

Activity, that knows no rest.


His bow, for action ready bent,

And arrows, with a head of stone,

Can only mean that life is spent,

And not the finer essence gone.


Thou, stranger, that shalt come this way.

No fraud upon the dead commit —

Observe the swelling turf, and say

They do not lie, but here they sit.


Here still lofty rock remains,

On which the curious eye may trace,

(Now wasted, half, by wearing rains)

The fancies of a older race.


Here still an aged elm aspires,

Beneath whose far — projecting shade

(And which the shepherd still admires

The children of the forest play’d!


There oft a restless Indian queen

(Pale Shebah, with her braided hair)

And many a barbarous form is seen

To chide the man that lingers there.


By midnight moons, o’er moistening dews,

In habit for the chase array’d,

The hunter still the deer pursues,

The hunter and the deer, a shade!


And long shall timorous fancy see

The painted chief, and pointed spear,

And reason’s self shall bow the knee

To shadows and delusions here.

Jahrzehnte nach der Begegnung mit Kardinal Albani hält niemand mehr Benjamin West für einen Indianer. Der Freund des Königs ➱George ist heute vor 195 Jahren gestorben. Ein Jahr vor Wests Tod hat Archibald Archer diese Bild gemalt. Da sitzt West, jetzt der Präsident der Royal Academy, vorne links in einem Raum des British Museum, in dem man vorläufig erst einmal die Elgin Marbles (lesen Sie ➱hier mehr dazu) untergebracht hat. Keine edlen Wilden weit und breit, aber der edle Marmor ist immer noch da.

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Griechen

 

In der Folge Greeks Bearing Gifts der wunderbaren ➱Inspector Morse Serie findet sich eine Unterhaltung, in der Morse zu einem griechischen Unternehmer sagt: The last time l was at the Acropolis, a guide said to our party, in a very loud voice “Greece has two enemies – the Turks and Lord Elgin.“ l said, “Good God, that was nearly 200 years ago.“ Yes, and they’re still in the British Museum. Die Antwort des Griechen ist: Believe me, Chief lnspector, attitudes haven’t changed. Die Folge Greeks Bearing Gifts wurde 1991 gedreht, das Problem ist immer noch da.

Chief Inspector Morse hat in Oxford studiert, er weiß natürlich, das Vergil dem Laookon dieses schöne Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes in den Mund legt. Und was hat Laookon davon, dass er die Hinterlist der Griechen durchschaut? Richtig, er wird mit seinen Söhnen von einer Riesenschlange erdrosselt. Und das alles nur, damit Gotthold Ephraim Lessing Laokoon. Oder: Über die Grenzen der Malerei und Poesie schreiben kann. Damit man auch noch in Eckermanns Geburtsstadt Referate darüber halten kann. Lessings Laokoon gibt es hier im ➱Volltext. Ich habe eine schöne Ausgabe aus dem 18. Jahrhundert, die ich aber nie benutze. Ich nehme immer das von Kurt Wölfel herausgegebene Insel Taschenbuch. Wir werden diese klassische Bildung nie los.

British Museum offers to lend Elgin Marbles back to Greece, war letztens die Schlagzeile des Independent. Warum leihen? Warum nicht retournieren? Es gibt doch heute hervorragende Reproduktionen, die man kaum vom Original unterscheiden kann. Da hat sich seit den Tagen von Domenico Brucciani, der im 19. Jahrhundert ganz England mit Abgüssen versorgte (die manchmal auch profanen Zwecken als Lampenhalter dienten) und eine eigene Galerie besaß, einiges getan. Seine Firma wurde nach seinem Tode von dem Board of Education übernommen und vom ➱Victoria & Albert Museum weitergeführt, bis man das 1951 aufgab, weil es sich finanziell nicht mehr lohnte.

Dieser Herr packt schon einmal Kunstschätze ein. Das ist natürlich George Clooney in dem Film Monuments Men. Während der Reklametour für den Film hat er gefordert, dass die Engländer den Griechen den Marmor zurückgeben sollen. Er musste das sagen, da seine frisch angetraute Gattin Amal Alamuddin Clooney die griechische Regierung juristisch in dieser Frage berät. Wir warten darauf, dass Frau Merkel etwas zu dem Ganzen sagt, die spricht zwar kein Griechisch, aber immer für ganz Europa.

Wir sollten vorsichtig sein. Denn – wenn man etwas genauer hinschaut – dann sind da auch noch Teile des Parthenon Frieses in Würzburg. Und in München. Redet mal jemand da drüber? Oder über Broomhall House, den Louvre, die Sammlungen des Vatikans, das Kopenhagener Nationalmseum oder das Kunsthistorische Museum in Wien. Es wäre jetzt etwas gehässig zu fragen, was von dem Parthenon Fries überhaupt noch übrig wäre, wenn Lord Elgin den nicht abgeschleppt hätte? Wahrscheinlich hätten die Türken ihn vergammeln lassen.

Oder die Touristen hätten ihn zerstört: Every traveler coming added to the general defacement of the statuary in his reach: there are now in London pieces broken off within our day. And the Turks have been continually defacing the heads… It was upon these suggestions and with these feelings, that I proceeded to remove as much of the sculpture as I conveniently could; it was no part of my original plan to bring away anything but my models, sagt der Earl of Elgin. Für den Anfang des 19. Jahrhunderts ist das sicherlich richtig, Jahrzehnte später, nach der griechischen Revolution und der Anerkennung Griechenlands als selbständiger Staat, sieht die Sache etwas anders aus. Truth is the daughter of time.

Lord Elgin hat in Griechenland einen Agenten namens Giovanni Battista Lusieri, einen neapolitianischen Landschaftsmaler (dies Bild der Akropolis ist von ihm). Dem schreibt er 1801: The plans for my house in Scotland should be known to you … The Hall is intended to be adorned with columns…. If each column were different … I should think that the effect would be admirable, but perhaps better if there were two of each kind. In either case I should wish to collect as much marble as possible. I have other places in my house which need it… You do not need any prompting from me to know the value that is attached to a sculptured marble or historic piece.

Das klingt noch nicht nach planmäßigem Marmorraub. Der ➱Brief an Lusieri im Jahre 1802 ist da schon deutlicher: The least thing from Athens is invaluable… The first on the list are the metops, the bas-reliefs, and the remains of the statues that can still be found. In particular the figures on the pediment of the Parthenon – at least the figure of the man – as many metops as you can obtain…. I beg you therefore to put some on board ship. To sum up, the slightest object from the Acropolis is a jewel. Auf dem Bild hier wird die Akropolis nicht etwa wieder aufgebaut, hier ist Luisieri bei der Demontage.

Elgin und Luisieri sind nicht die einzigen, die ein Auge auf die Akropolis geworfen haben, da ist noch Louis-François-Sébastien Fauvel, Maler wie Luisieri, der den Comte de Choiseul-Gouffier nach Griechenland begleitet hatte. Und der den Gedanken ganz charmant findet, die Akropolis nach Paris zu bringen. Wir sehen Fauvel hier auf einem Bild seines Kollegen Louis Dupré. Nicht im Malerkittel, sondern ganz elegant in der damals modischen ➱Werthertracht vor dem Berg sitzen, der jetzt so viele interessiert. Der Vorgänger von Lord Elgin als englischer Botschafter, hatte sich schon über das Vandalentum der Franzosen beklagt. Er selbst wird nur eine Vase nach England mitnehmen.

Aber dann sind da noch die Touristen. Die Mauerspechte und Kilroy was here Touristen der damaligen Zeit zerkloppten doch schon jeden antiken Stein. Selbst Lord Byron, der den Earl of Elgin eines Tages böse attackieren wird (aber friedlich mit ihm und dem Fries auf der Hydra nach England segelt) war nicht frei von solchem Frevel. Er hat 1810 seinen Namen in eine Säule des Poseidontempels in Souinion gehämmert. Tausende haben ihm das nachgemacht. Doch wenn Elgin seinen Namen in eine Säule des Parthenons ritzen lässt, dann ist das natürlich böse, und Byron schreibt das in sein Gedicht The Curse of Minerva.

Wo sich auch die ➱Fußnote findet: His lordship’s name, and that of one who no longer bears it, are carved conspicuously on the Parthenon; above, in a part not far distant, are the torn remnants of the basso-relievos, destroyed in a vain attempt to remove them. [On the Erechtheum there was deeply cut in a plaster wall the words—“Quod non fecerunt Goti, Hoc fecerunt Scoti.“]. Byron (für den die Elgin Marbles nur misshapen monuments sind) lässt keine Gelegenheit aus, die schottische Herkunft des Lords zu betonen. Engländer würden so etwas natürlich nie machen. Das mit den misshapen monuments ist auch die Meinung von Richard Payne Knight und der Society of the Dilettanti. Die ja schon viel, viel früher alles abgeschleppt haben, was sie in ➱Italien finden konnten. Regt sich jemand darüber auf?

Es ist nicht allein ein hehres Interesse an der Rettung der Kunst gewesen, das Thomas Bruce, den siebten Earl of Elgin (und elften Earl von Kincardine) bewegte, das antike Gestein aus dem Lande zu schaffen. Es geht wieder einmal um den schnöden Mammon. Vieles kommt gar nicht erst nach England, weil die Schiffe untergehen. Elgins erstes ➱Schiff, die Mentor, sank ja schon vor Kythera, und die kostbare Fracht wurde durch griechische Fischer gerettet. Die der Lord aus seiner Tasche bezahlen musste. Nach Ansicht Elgins und seiner Bewunderer war alles, was er tat, völlig korrekt. Der Gesandte beim Sultan des Osmanischen Reiches hatte sein Gesuch, Statuen nach England mitzunehmen, bürokratisch korrekt eingereicht. Zu einem glücklichen Zeitpunkt. Nelson hatte gerade bei Abukir gesiegt, jetzt beherrschen die Engländer das Mittelmeer.

Da kann ein türkischer Sultan schlecht nein sagen. Und so bekommt Elgin vom Sultan jenes ➱Dokument, in dem steht: e quando volessero portar via qualche pezzi di pietra con vechie inscrizioni, e figure, non sia fatta lor‘ oposizione. Dieses italienische qualche heißt ja im Englischen eigentlich some, aber der Reverend Philip Hunt macht in seiner englischen Übersetzung, die dem Parlament vorliegen wird, daraus any pieces of stone. Das wäre eine carte blanche, um ganz Griechenland abzuschleppen.

Vieles landet in Elgins Privatsammlung. Wahrscheinlich ist ihm der Parthenon Fries zu groß für das eigene Anwesen gewesen, er bietet ihn dem British Museum an. Die zögern ein wenig, lassen sich aber von dem berühmten Antonio Canova beraten. Der dem Museum auch empfiehlt, die Statuen so zu lassen, wie sie sind – der Louvre wird bei seinen Statuen allerdings fehlende Körperteile ergänzen. Bei fehlenden Körperteilen müssen wir noch erwähnen, dass Lord Elgin bei seinem griechischen Abenteuer einen Teil seiner Nase verlieren wird. Nicht durch Schönheitsoperationen wie Michael Jackson, wahrscheinlich war es die Syphilis, wie Byron vermutet. Oder das Quecksilber, das ihm seine Ärzte gegen das Asthma verabreichten.

Elgin erhält für seine Statuen 35.000 Pfund Sterling. Das ist eine schöne Summe (wenn wir sie mit hundert multiplizieren, kommen wir ungefähr auf den heutigen Wert), allein die Sache hat einen kleinen Haken. Die ganze Unternehmung hat den Lord mindestens 70.000 Pfund gekostet, da haben viele türkische und griechische Offizielle die Hand aufgehalten. Einen Earl of Elgin gibt es heute übrigens immer noch, er ist inzwischen einundneunzig. Er trägt hier nicht den Mantel des Hosenbandordens, für einen Schotten kommt nur der Order of the Thistle in Frage.

Seine Lordschaft hat im Gegensatz zu seinem Vorfahren keine Geldsorgen, er setzt auf die Landwirtschaft. Er humpelt ein wenig, seit er als junger Leutnant mit den Scots Guards am D-Day in Frankreich landete: I suppose the most terrifying thing for me was a British Royal Navy beach master with his beard and dog, hat er in einem Interview gesagt. Den beach master Colin Maud kennen wir aus dem Film The Longest Day, da wird er von Kenneth More (der im Krieg selbst Marineoffizier war) gespielt. Sie können die Szene, in der auch ➱Sean Connery vorkommt, ➱hier sehen.

Seine ➱Lordschaft hat übrigens in ➱Broomhall House noch einiges an Antike herumstehen. Nämlich all das, was das British Museum damals nicht haben wollte. In einer Sendung der BBC sagte das Oberhaupt des Clans Bruce vor Jahren, dass alle Anschuldigungen gegen seinen Vorfahren Totally unfair and completely untrue seien. Jeder Engländer should be proud of what was done.

Um die englische Begeisterung für den Parthenon Fries zu verstehen, muss ich mit Benjamin Haydon anfangen. Ein furchtbar schlechter Maler, über den Charles Dickens sagen wird: All his life he had utterly mistaken his vocation. No amount of sympathy with him and sorrow for him in his manly pursuit of a wrong idea for so many years — until, by dint of his perseverance and courage it almost began to seem a right one — ought to prevent one from saying that he most unquestionably was a very bad painter, and that his pictures could not be expected to sell or to succeed. Benjamin Haydon ist gerade dabei, dieses scheußliche Bild von dem Römer Siccius Dentatus für Lord Mulgrave zu malen, als der Maler ➱David Wilkie vorbeikommt. Der sagt ihm nicht etwa, dass dies auf dem Bild in Wirklichkeit Benjamin Haydon ist, wie er gegen seine Feinde in der Royal Academy kämpft, nein, er nimmt ihn mit in das Britische Museum.

Das hier sind nicht Haydon und Wilkie, das ist Alma-Tademas Bild Phidias Showing the Frieze of the Parthenon to his Friends, sozusagen eine antike Vernissage. Hat sich Haydon ähnlich gefühlt wie die Freunde von Phidias? Der Ausflug mit Wilkie wird das Erlebnis seines Lebens: Wilkie proposed that we should go and see the Elgin Marbles… I agreed, dressed, and away we went to Park Lane. I had no more notion of what I was to see than of anything I had never heard of, and walked in with the utmost nonchalance. Viele Künstler werden nach ihm über ein Erlebnis von edler Einfalt und stiller Größe angesichts der Elgin Marbles reden, aber er, Benjamin Haydon, ist der erste:

I shall never forget the horses’ heads—the feet in the metopes! I felt as if a divine truth had blazed inwardly upon my mind and I knew that they would at last rouse the art of Europe from its slumber in the darkness. The first thing I fixed my eyes on was the wrist of a figure in one of the female groups, in which were visible, though in a feminine form, the radius and ulna. I was astonished, for I had never seen them hinted at in any female wrist in the antique. I darted my eye to the elbow, and saw the outer condyle visibly affecting the shape as in nature. I saw that the arm was in repose and the soft parts in relaxation. That combination of nature and idea which I had felt was so much wanting for high art was here displayed to mid-day conviction. My heart beat! If I had seen nothing else I had beheld sufficient to keep me to nature for the rest of my life. (Sie können den ganzen Text ➱hier lesen).

Haydon wird es von nun an als seine Lebensaufgabe sehen, dass ganz England ein Erlebnis wie er hat. Das erste Opfer seiner Proselytenmacherei ist John Keats, den er zu den Elgin Marbles schleppt. Der Rest ist Literaturgeschichte. Keats schreibt On Seeing the Elgin Marbles. Die Freundschaft zwischen Haydon und Keats ist eine problematische Sache. Keats, arm wie eine Kirchenmaus, leiht Haydon Geld. Er wird es nie zurückbekommen. Haydon wird nach dem Tod von Keats alles tun, um ihn zu verleumden. Hören wir einmal ➱Matthew Arnold zu: There is Haydon’s story of him, how ‘he once covered his tongue and throat as far as he could reach with Cayenne pepper, in order to appreciate the delicious coldness of claret in all its glory—his own expression.’ One is not much surprised when Haydon further tells us, of the hero of such a story, that once for six weeks together he was hardly ever sober. ‘He had no decision of character,’ Haydon adds, ‘no object upon which to direct his great powers.’

Haydon hat auch Heinrich Füssli, der jetzt ➱Henry Fuseli ist, zu den Statuen gebracht. Der das Kunsterlebnis ebenso emotional verarbeitete wie Haydon, der darüber schreibt: At last we came to Park Lane. Never shall I forget his uncompromising enthusiasm. He strode about saying, „De Greeks were godes! de Greeks were godes!“ Das emphatische Gedicht On Seeing the Elgin Marbles, das Keats in einer Nacht geschrieben hat, kommt im Doppelpack daher. Nämlich mit einem anderen Gedicht, das To Haydon with a Sonnet Written on Seeing the Elgin Marbles heißt:

Haydon! forgive me that I cannot speak

Definitively of these mighty things;

Forgive me, that I have not eagle’s wings,

That what I want I know not where to seek,

And think that I would not be over-meek,

In rolling out upfollowed thunderings,

Even to the steep of Heliconian springs,

Were I of ample strength for such a freak.

Think, too, that all these numbers should be thine;

Whose else? In this who touch thy vesture’s hem?

For, when men stared at what was most divine

With brainless idiotism and o’erwise phlegm,

Thou hadst beheld the full Hesperian shine

Of their star in the east, and gone to worship them!

Dies Sonett ist lange nicht so berühmt geworden wie jenes, das Written on Seeing the Elgin Marbles heißt (➱hier im Volltext). Mit dem Gedicht tritt Keats in England jetzt etwas los. Also zum Beispiel so etwas wie:

‚O Greece ! thou sapient nurse of finer arts, 

Which to bright Science blooming Fancy bore, 

Be this thy praise, that thou, and thou alone, 

In these hast led the way, in these excell’d, 

Crown’d with the laurel of assenting Time. 

OH ! who hath trod thy consecrated clime, 

Fair land of Phidias ! theme of lofty strains ! 

And traced each scene that, midst the wrecks of time, 

The print of Glory’s parting step retains ; 

Nor for awhile, in high-wrought dreams, forgot, 

Musing on years gone by in brightness there, 

The hopes, the fears, the sorrows of his lot, 

The hues his fate hath worn, or yet may wear ; 

As when, from mountain-heights, his ardent eye 

Of sea and heaven hath track’d the blue infinity

Das geht jetzt noch stundenlang so weiter. Wenn Sie Felicia Hemans New Greece lesen wollen, klicken Sie ➱hier. Mit Keats und Haydon hat eine Krankheit namens Philhellenismus begonnen, die ganz Europa erfassen wird. Erst Frau Dr Eliza Marian Butler wird ein Gegenmittel finden, wenn sie 1935 ihr Buch The Tyranny of Greece over Germany: A Study of the Influence Exercised by Greek Art and Poetry over the Great German Writers of the Eighteenth, Nineteenth, and Twentieth Centuries schreibt. Dies Bild von Archibald Archer aus dem Jahre 1819 zeigt den vorläufigen Elgin Room, ganz links ist übrigens Benjamin Haydon zu sehen.

Und was sagt Englands führender Dichter und größter Verehrer der Griechen zu John Keats? Er schreibt an seinen Freund und Verleger John Murray im Sommer 1820: Here are Johnny Keats’s piss a-bed poetry […] There is such trash of Keats and the like upon my tables, that I am ashamed to look at them […] No more Keats, I entreat: flay him alive; if some of you don’t I must skin him myself: there is no bearing the driveling idiotism of the Mankin…. The Edinburgh praises Jack Keats or Ketch, or whatever his names are […] why, his is the Onanism of Poetry — something like the pleasure an Italian fiddler extracted out of being suspended daily by a Street Walker in Drury Lane. This went on for some weeks: at last the Girl went to get a pint of Gin — met another, chatted too long, and Cornelli was hanged outright before she returned. Such like is the trash they praise, and such will be the end of the outstretched poesy of this miserable Self-polluter of the human mind…. Mr Keats, whose poetry you enquire after, appears to me what I have already said: such writing is a sort of mental masturbation — he is always frigging his Imagination. I don’t mean he is indecent, but viciously soliciting his ideas into a state, which is neither poetry nor anything else but a Bedlam vision produced by raw pork and opium.

Ich bin niemals von dem Philhellenismus angesteckt worden, ich hatte glücklicherweise kein Altgriechisch an der Schule. My spirit is too weak—mortality Weighs heavily on me like unwilling sleep. Aber die Schülerweisheit Ho mē dareis anthrōpos ou paideuetai (Der Mensch, der nicht geschunden wird, der wird auch nicht erzogen), die kann ich jederzeit zitieren. Doch grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Thesen von Eliza Marian Butler viel zu wenig diskutiert worden sind. Die Nazis haben das Buch bei seinem Erscheinen gleich verboten.

Glauben Sie bitte nicht, dass dies die Disneyland Version von griechischer Klassik ist. Selbst wenn es für die Verehrer der weißen Marmorstatuen in edler Einfalt und stiller Größe wie ein Schock kommt: die Statuen waren bunt. Der Archäologe Vinzenz Brinkmann hat mit seiner ➱Ausstellung vor Jahren viele verschreckt.

Vielleicht sollten die Engländer die Elgin Marbles erst einmal bunt anmalen und dann den Griechen offerieren.

Für Goethe zeigte der Mannheimer Antikensaal die herrlichsten Statuen des Altertums nicht allein an den Wänden gereiht, sondern auch innerhalb der ganzen Fläche durch einander aufgestellt; ein Wald von Statuen, durch den man sich durchwinden, eine grosse ideale Volksgesellschaft, zwischen der man sich durchdrängen musste. Schiller schrieb nach dem ➱BesuchHeute endlich, habe ich eine unaussprechlich angenehme Überraschung gehabt. Mein ganzes Herz ist davon erweitert. Ich fühle mich edler und besserIch komme aus dem Saal der Antiken zu Mannheim.

Wenn mir nach Klassik ist, dann gehe ich in die Antikensammlung der Kunsthalle, die der Professor Peter Wilhelm Forchhammer im 19. Jahrhundert mit Gipsabdrücken der Elgin Marbles begründete. Der Eintritt ist übrigens frei, aber am Eingang steht ein Glaskasten, in den man Geld einwerfen kann. Ich habe beim letzten Besuch eine Handvoll englischer Münzen, die ich noch zu Hause in einer Schachtel hatte, hineingeworfen. Ich fühlte mich edler und besser.

Ich gebe einmal Herman Melville das letzte Wort, der dies kleine Epigramm verfasste:

Not magnitude, not lavishness,

But Form—the Site;

Not innovating wilfulness,

But reverence for the Archetype.

Lesen Sie auch: ➱Wilhelm Müller, ➱Griechen-Müller, ➱Bertel Thorvaldsen

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Vanessa Bell

 

Es ist nicht unbedingt schmeichelhaft, dieses Selbstportrait, das die englische Malerin Vanessa Bell vor hundert Jahren von sich gemalt hat. Vanessa Bell (die in dem Post ➱Grand Hotel erwähnt wird) ist heute vor vierundfünfzig Jahren gestorben. Sie war die ältere Schwester von Virginia Woolf. Die ist ein seltener Gast in diesem Blog, aber sie kommt in den Posts ➱Bunga Bunga und ➱Alfred Wallis (und mehreren anderen) vor. Beide Schwestern gehören zu der Gruppe von Künstlern, die heute das Etikett Bloomsbury bekommen haben.

Wenn Sie ganz viele Bilder von Vanessa Bell sehen wollen, dann klicken Sie diese ➱Seite der BBC an. Vanessa Bells Sohn Julian (hier zusammen mit seinem jüngeren Bruder Quentin und seiner Mutter) wollte auch Maler werden. Und Dichter. Am besten alles. Die ganze Verwandtschaft besteht ja aus nichts als Malern und Dichtern. Wird man in einem solchen Umfeld je glücklich? Quentin Bell scheint das trotz der etwas chaotischen Familienverhältnisse gewesen zu sein. Er war zwar auch einmal als Künstler tätig, ist dann aber Professor für Kunstgeschichte an mehreren englischen Universitäten geworden. Er hat eine zweibändige Biographie seiner Tante Virginia Woolf geschrieben, die zahlreiche Preise erhielt; und er hat nach dem Tod seines Bruders dessen Essays, Poems and Letters herausgegeben.

Er hat auch ein Buch über die Mode geschrieben: On Human Finery, das in England ein Klassiker ist, hierzulande aber kaum bekannt ist. Es ist leider out of print, aber es ist nicht unmöglich, antiquarisch noch ein Exemplar zu finden. Es gibt auf dieser ➱Seite einen sehr guten (illustrierten) Überblick über das Werk. Quentin Bell hatte es bei Kriegsende geschrieben, aber es dauerte bis 1947, bis die Hogarth Press das Buch veröffentlichte. 1976 brachten Allison & Busby es in wesentlich überarbeiteter Form als Paperback heraus.

Diese Ausgabe von  On Human Finery hier kann man bei Amazon.com zu Preisen zwischen $ 0.01 und $ 999.11 bekommen. Ich würde an Ihrer Stelle, das Exemplar für einen Cent bestellen. Es ist ein im höchsten Maße originelles und gleichzeitig witziges Buch. Viele Rezensenten lobten den trockenen Humor des Verfassers. Ich gebe mal eben eine kleine Stilprobe: Our clothes are too much a part of ourselves for us ever to be entirely indifferent to their condition; the feeling of being perfectly dressed imparts a buoyant confidence to the wearer, and it impresses the beholder as though the fabric were indeed a natural extension of the man. … 

So strong is the impulse of sartorial morality that it is difficult in praising clothes not to use such adjectives as “right,” “good,” “correct,” “unimpeachable,” or “faultless,” which belong properly to the discussion of conduct, while in discussing moral shortcomings we tend very naturally to fall into the language of dress and speak of a person’s behavior as being shabby, shoddy, threadbare, down at heel, botched, or slipshod. Auf diesem Bild seiner Mutter, das wahrscheinlich im Jahr 1938 gemalt wurde, ist er als junger Mann zu sehen. Sein Bruder Julian, den die Mutter dreißig Jahre zuvor als kleinen Blondschopf gemalt hatte (im Absatz oben), ist da gerade im Spanischen Bürgerkrieg gestorben.

Ich habe zu Julian Bell in dem Blog ➱The Last Train to Arcardy ein Gedicht gefunden, das von einem Autor namens Steeve Burgess stammt, den es offenbar nur im Internet gibt. Das ➱Gedicht heißt ganz simpel Julian Bell und ersetzt eine lange Biographie:

Shining bright

But kept in the dark

By Burgess, Philby, Blunt and MacLean,

At Trinity Cambridge he cast his spell

The Bloomsbury boy

Julian Bell.


When others warned

Of gathering clouds

He shouted “can’t you see the rain”

And soon it poured down from the sky

On Guernica

From a German plane.


Apostles joined

The Soviets

With covert operations and

Young Julian

To Spain he went,

His cause – Spanish Republican.


His family

Fretting for their son

Said “why not join the ambulance corps”?

A safer course of action then,

Than hand to hand

In Civil war.


And wearing the socks

of Virginia Wolf

He drove across the sad terrain

Where Franco’s boot boys

marched along to “Long live death”

Their mad refrain.


In Civil wars

there are no laws

And no brotherly decency

And soon the tragic news it came

On valve set

short wave frequency.


The last post of Julian Bell

His ambulance bombed

By Spanish shell

On foreign soil

There spread a stain

Across Europe and then, the World


Blunt loved him physically, they say,

And Burgess secretly,

He swayed,

With Whisky bottle

In his coat

He wept silently in the rain.


Philby galvanised his soul

And bit his lip

As did MacLean

And ten years after World War Two

Brit’s holidayed

in Franco’s Spain.


In a deserted village church

Foresaken by true Christian souls

Neath stormy skies

A lonely bell

Rings poor Julian’s

Final toll.

Das Gedicht enthält für das Wort Apostles eine Fußnote: The Apostles were an elite club, taken over by the left wing intelligensia of Cambridge university in the 1930’s. Das Gedicht findet sich auch in der International Times, einem Untergrundmagazin, das seit einigen Jahren Online ist. Dies Bild zeigt Julian Bell beim Lesen. Gemalt von Duncan Grant, mit dem Vanessa Bell seit Beginn des Ersten Weltkriegs zusammenlebt, sie werden mit Angelica Garnett eine gemeinsame Tochter haben. Von ihrem Ehemann, dem Kunstkritiker Clive Bell, hat sie sich aber nie scheiden lassen, sie wird lebenslang zu ihm ein gutes Verhältnis haben.

Ihrer Schwester Virginia hat sie nie verziehen, dass die kurz nach ihrer Heirat etwas mit Clive Bell anfangen wollte. Die Bohème findet in England neue Lebensformen. So exzentrisch wie die Malerin Dora Carrington (die wir aus dem gleichnamigen Film kennen, wo sie von Emma Thompson gespielt wurde) wollen die Bells und Grants doch nicht sein. Niemand von ihnen wird wie Dora Carrington Selbstmord begehen. Vanessa Bell (hier ein Selbstportrait aus dem Jahre 1958) wird bis zu ihrem Tod malen und ausstellen.

Die englische Kunsthistorikerin Frances Spalding, eine Spezialistin für die englische Malerei des 20. Jahrhunderts, die auch den Band British Art since 1900 in der Kunstreihe des Thames & Hudson Verlags geschrieben hat, hat 1983 eine Biographie von Vanessa Bell geschrieben. Es war das erste Buch über die Frau, die den Friday Club gründete und im Zentrum von Bloomsbury stand. Das Charleston Farmhouse, in dem sie mit Duncan Grant lebte, ist heute ein ➱Museum. Es ist neben dem Familiensitz der Familie Gage, die die greengage ➱Pflaume nach England brachten (lesen Sie doch den Post ➱Einquartierung über General Gage), heute das Touristenziel von Firle in Sussex.

Dieses Selbstportrait hat auch ein Julian Bell gemalt, wir können daraus schließen, dass der auch malt und schreibt. Der Computer verrät uns aber, dass dies ein anderer Julian Bell als der Sohn von Vanessa sein muss. Dies ist der Sohn von Quentin Bell, er ist – wie könnte es in der Familie anders sein –  Maler, Dichter und Kunstschriftsteller. Sein Buch Mirror of the World: A New History of Art hat bei den Kritikern für einige Aufregung gesorgt. Nicht alle Leser mochten das Buch, der Vergleich von chinesischen Bronzestatuen mit Harley Davidson Motorrädern mag ja ganz nett sein, aber keine Abbildungen zu ➱Gainsborough, das tat vielen Lesern weh. Bei mir gibt es immer Bilder zu Gainsborough.

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Mondnacht

Ich hatte da noch das Bild Mondnacht im Kieler Hafen von Julius Fürst gespeichert. Hatte ich wiedergefunden, als ich über ➱Lilli Martius recherchierte, die hat nämlich über dieses Bild etwas geschrieben. Sie hat ja beinahe über jeden Schleswig-Holsteinischen Maler geschrieben, nur ➱Richard von Hagn hat sie nicht so recht interessiert. Julius Fürst ist in diesem Blog schon einmal in dem Post ➱Provisorische Regierung erwähnt worden.

Da habe ich auch schon auf auf das schöne Bild Mondnacht im Kieler Hafen hingewiesen. Es gibt von Julius Fürst ganz scheußliche Bilder, aber es gibt auch solche Bilder wie die Mondnacht oder dies vom grünen Bootshaus des Ersten Kieler Ruder-Clubs von 1862, in dem man den Einfluss der französischen plein air Malerei sehr schön sehen kann. Ich weiß nun nicht, ob das da oben im grauwolkigen Himmel die Sonne oder der Mond sein soll. Es könnte natürlich sein, dass unsere Ruderer erst im Mondlicht zurückkehren. Für Freunde dieses Sports und Leser von Three Men in a Boat habe ich in diesem Blog auch etwas, nämlich den Post ➱Ruderverein.

Wenn ich ein Gedicht für das Bild Mondnacht im Kieler Hafen (oder für Georg Burmesters untergehenden Mond über der Kieler Förde) suchen sollte, dann fällt mir natürlich als erstes ➱Eichendorffs Mondnacht ein. Die gab es aber hier schon in dem Post ➱Vollmond. In dem auch die wunderbare kleine Anekdote über den ➱Cricket Schiedsrichter Dickie Bird steht. Und im Post ➱Ludwig Pfau kommt die Mondnacht auch schon vor.

Nein, es musste etwas Neues her. Wenn ich nur wüsste, wie das Gedicht hieß, bei dem der Mond im Mast eines Schiffes zu hängen scheint. Das erforderte einiges Suchen. Was das Gedächtnis nicht kann, das kann das Internet. Ich fand den Text relativ schnell, es ist Thomas Ernest Hulmes Gedicht Above the Dock:

Above the quiet dock in midnight,

Tangled in the tall mast’s corded height,

Hangs the moon. What seemed so far away

Is but a child’s balloon, forgotten after play

Diese ➱Abbildung habe ich auf einer Seite des Duos ➱The Wraiths gefunden, die wirklich hübsch gemacht ist. The Wraiths sind eine interessante ➱Band aus Bristol, die Gedichte mit akustischer Musik serviert. Der englische Dichter ➱Hulmes steht am Anfang einer Bewegung, die man Imagimus nennt. Die Imagisten haben zwar den Mond nicht erfunden (wie F.S. Flint sagte: we have never claimed to have invented the moon. We do not pretend that our ideas are original), aber sie haben ihn häufig verwendet. So auch die berühmte Hilda Doolittle, die ihre Gedichte mit H.D. signierte, in ihrem Gedicht The moon in your hands:

If you take the moon in your hands

and turn it round (heavy, slightly tarnished platter),

you’re there;


if you pull dry seaweed from the sand

and turn it round

and wonder at the underside’s bright amber,

your eyes


look out as they did here

(you don’t remember)

when my soul turned round,

perceiving the other side of everything,

mullein leaf, dogwood leaf, moth wing

and dandelion seed under the ground.

Sie können natürlich auch noch den Post ➱Luna de miel lesen. Lohnt eigentlich nur wegen des Songs von ➱Zahara. Muss ich noch sagen, dass heute Vollmond ist?

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Lilli Martius

 

Es gibt kaum ein Photo von Elisabeth (Lilli) Martius im Internet. Die unbedeutendsten Leute müllen das Netz mit ihrem Konterfei zu, aber keine Bilder von Lilli Martius. Dabei ist sie, so vornehm und zurückhaltend sie war, eigentlich eine Berühmtheit gewesen. Ich zähle mal eben einige der Ehrungen auf, die sie erfahren hat: Ehrenbürgerin von Kiel, Kulturpreis der Stadt Kiel, Honorarprofessorin der Universität und der Dannebrogorden von Königin Margarethe. Der Museumsdirektor Ernst Schlee hat sie einen bis ins hohe Alter beweglichen, aufnahmebereiten und dem Neuen aufgeschlossenen Menschen von seltenen Gaben und großer Weite des Denkens, dazu von erstaunlicher Tatkraft und wahrer Güte genannt. Eigentlich wollte ich die Kunsthistorikerin noch in den Post mit dem schönen Titel ➱måneskinnsmaler hineingeschrieben haben, warf es aber wieder hinaus. Es wurde zu lang. Es wird immer zu lang.

Irgendwie war das schade, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es war Sonnabendnachmittag, und ich ging erst einmal zu Eschenburg. Mache ich meistens am Sonnabendnachmittag. Fand auch gleich, was ich suchte, nämlich den Band 47 der Zeitschrift Nordelbingen. Darin ist nämlich der Aufsatz Das Gemälde „Einfahrt ins Nærødal“ von dem norwegischen Maler Knud Andreassen Baade von Jens Christian Jensen. Ich besitze alle möglichen Nummern von Nordelbingen (es gibt die Kulturzeitschrift seit 1923), aber Band 47 hatte ich nicht. Das Wort Nordelbingen fasziniert mich immer wieder, ist irgendwie eine Variation von Nordalbingien und Nordelbien. Klingt auf jeden Fall eindrucksvoller als Schleswig-Hostein Der echte Norden, ein Spruch, für den die Regierung von Herrn Albig viel Geld bezahlt hat.

Band 47 hat mich bei Eschi fünf Euro gekostet. Was ich nicht wusste: das war gleichzeitig eine Festschrift für Wolfgang J. Müller zum 65. Geburtstag gewesen. Bei mir im Regal steht nur Kunstsplitter: Beiträge zur nordeuropäischen Kunstgeschichte. Festschrift für Wolfgang J. Müller zum 70. Geburtstag überreicht von Kollegen und Schülern. Jetzt habe ich beide Festschriften. ➱Jens Christian Jensen hat zu dem Bild von Baade nicht sehr viel zu sagen. Es ist sehr sympathisch, dass er gesteht, dass er sehr wenig über Baade wusste und mit dem Bild Einfahrt ins Naerøtal nicht so viel anfangen konnte. Aber bei ihm kann man auch lesen, dass Caspar David Friedrichs ➱Zeichnung von Baade an der Staffelei auch das Bild Einfahrt ins Naerøtal zeigt.

Lilli Martius ist auf verschlungenen Pfaden zur Kunstgeschichte gekommen. Als sie 1929 mit einer Dissertation über die Die Franziskuslegende in der Oberkirche von San Francesco promoviert wurde, war sie schon vierundvierzig Jahre alt. Sie war in einem großbürgerlichen und vermögenden Elternhaus aufgewachsen. Ihre Mutter kam aus der Industriellenfamilie Borsig, über Stracks Borsig Villa in Moabit wird Lilli Martius eines Tages einen Aufsatz schreiben. Ihr Vater ist ab 1898 Professor für Philosophie und Psychologie in Kiel, er wird auch einmal der Rektor der Universität werden.

Die Familie Martius bewohnte eine repräsentative Villa in der Hohenbergstraße (Martius wohnte zuvor in Bonn in einer Villa, die zwischen dem Palais Schaumburg und der Villa Hammerschmidt lag). Der Garten ist kein Garten, es ist ein Park. Heißt heute noch Martiuspark. Ist umkämpftes Bauland. Schon heute denkt niemand mehr an Lilli Martius, wenn der Name Martius fällt. Der bedeutet heute das Bauprojekt ➱Martius Terrassen. Es ist widerlich. Unter der Adresse Hohenbergstraße 4 ist beim Amtsgericht eine gewisse Friederike K. de Jong-von Knebel eingetragen, die ein Objektmanagement und unter dem Namen Koko von Knebel eine Lifestyle Agentur für Vierbeiner betreibt. Sic transit gloria mundi.

Lilli Martius hat in Bonn eine Privatschule besucht, später die Höhere Töchterschule in Kiel. Vor einem Studium fürchtet sie sich ein wenig: vor der Universität hatte ich soviel Respekt, daß ich auf das Hören von Vorlesungen, was bei Kunstgeschichte damals sehr üblich war, von vornherein verzichtete, zumal der Papa solchen Halbheiten sehr wenig zugetan war. Dass eine Tochter aus großbürgerlichem Haus (Der Haushalt ist ‘hochkultiviert’ mit Hausmusik, Kunst und Kultur, Gesellschaften und – ebenfalls noch dem gehobenen Bürgertum vorbehalten – Reisen) studiert, war vor dem Ersten Weltkrieg nicht die Regel.

Es war also bei mir und einem erheblichen Teil meiner Mitschüler die typische Lebensform der höheren Tochter, denn der Anspruch einer Berufsausbildung begann sich erst leise anzuzeigen, schreibt sie 1970 in ihren Erinnerungen Erlebtes: Verwandten und Freunden erzählt. Lilli Martius hatte für sich beschlossen, Malerin zu werden und nahm Zeichenunterricht an der Privatakademie für Malerei der Kieler Maler Georg Burmester (im oberen Absatz) und Fritz Stoltenberg (den ➱Peder Severin Krøyer einmal ➱gemalt hat). Das Bild Stoltenbergs zeigt die Kieler Howaldtswerke im Jahre 1907. Lilli Martius nimmt auch an einem Einführungskurs in die Lithographie bei dem Hamburger Maler ➱Ernst Eitner (den man einmal den Monet des Nordens nannte) teil, geht dann aber 1907 nach Berlin, obgleich die Eltern Bedenken gegen diesen gefahrvoller Ort der Sittlichkeit hatten.

Im Ersten Weltkrieg leistet Lilli Martius freiwilligen Dienst als OP Schwester beim Deutschen Roten Kreuz, zwei ihrer drei Brüder werden im Krieg fallen. Professor Martius lässt für seine Söhne auf dem Eichhof Friedhof von keinem Geringeren als Adolf von Hildebrandt ein repräsentatives Mausoleum errichten. Ein Prunkbau des untergehenden Großbürgertums. Die ganze Familie Martius wird hier eines Tages liegen. In der Hauptstadt Berlin hat Lilli Martius ein neues politisches Bewusstsein gefunden, sie trat für das Wahlrecht der Frauen ein, das 1918 eingeführt worden war: Es war mir eine wichtige Sache, daß die Frauen nun wahlberechtigt wurden. Ich kam trotz einiger Zweifel an der Zweckmäßigkeit dieser Einrichtung doch zu dem Entschluß, daß es richtig sei, als Frau zu wählen.

Brigitte Schubert-Riese hat in Lotte Hegewisch, Lilli Martius, Gertrud Völker: Drei Frauenbilder aus der Kieler Stadtgeschichte versucht, Lilli Martius zu einer Vorkämpferin der Emanzipation zu stilisieren. Dem stehen aber Sätze wie Wie dem auch sei: die Probleme der Frauenfrage kamen für mich bei der festen Bindung an das Haus gar nicht in Frage entgegen, und man wird aus ihrer Autobiographie nichts anderes herauslesen können. Das Bild, das zum Cover des Katalogs Gute Gesellschaft wurde, habe ich übrigens schon in dem Post ➱ythlaf gezeigt.

Ohne Lotte Hegewisch, Professorentochter wie Lilli Martius, gäbe es die Kunsthalle nicht an dem Ort, an dem sie seit 1909 steht. Der Professor Peter Wilhelm Forchhammer, der schon 1842 im Kieler Schloss eine Sammlung von Gipsabrücken der Elgin Marbles ausgestellt hatte (der Keim der späteren Antikensammlung), wollte im Kieler Schlossgarten eine Kunsthalle bauen. Lotte Hegewisch hörte schon die Axthiebe und sah den schönen Schlossgarten gefährdet. Nach längerem Nachdenken schrieb sie ihre Villa mitsamt dem sechstausend Quadratmeter großen Grundstück Klein Elmelo in ihr Testament. Das bleibt nicht unbeobachtet, sodass sie in ihre Erinnerungen früherer Stunden für Letzte Stunden schreiben kann: Im Dezember bekam ich, gesandt durch die ‚Kaiserliche Schatulle‘, eine Brosche vom Kaiser: Sein Namenszug in Brillanten, als Anerkennung für mein Vermächtnis. Zum Thema der Griechen und der ➱Elgin Marbles wird es hier in den nächsten Tagen einen Post geben.

Arthur Haseloff (hier unter dem Portal von S. Maria Nuova in Melfi photographiert) wurde 1920 als Nachfolger von Georg Graf Vitzthum ➱Ordinarius für Kunstgeschichte in Kiel und wurde gleichzeitig Direktor der Kunsthalle und Vorsitzender des Kunstvereins. Er war ein Mann mit weitreichenden internationalen Verbindungen, der 1932 auch eine Professur in New York wahrnahm. Nicht viele deutsche Kunsthistoriker waren vor 1933 in Amerika. Nach 1933 waren es mehr, aber das hat einen anderen Grund. Als es Mitte der zwanziger Jahre eine neu geschaffene Zulassung zum Studium ohne Zeugnis der Reife gibt, ermutigt Haseloff Lilli Martius zu einem Studium der Kunstgeschichte. Ihr Vater, der 1927 stirbt, wird es nicht mehr erleben, dass seine Tochter einen Doktortitel trägt.

Damals war ➱Lilli Martius schon Angestellte des Kunstvereins, sie hatte erkannt, daß Personen wie ich nicht mehr von Kapital und Zinsen leben konnten. Seit 1923 verwaltete sie das Kupferstichkabinett. Diese Stelle hatte sie wahrscheinlich durch die Protektion ihres Vaters bekommen. Eine Existenz als Malerin hatte sie doch nicht gewagt, sie fürchtete sich davor, zum Dasein einer kleinen Malerin auf dem Dorf verurteilt zu sein. Zu ihren Aufgaben gehörte wahrscheinlich etwas mehr als die Ordnung und Verwaltung der graphischen Sammlung, da Professor Haseloff lieber in Italien als in dem Institut in Kiel weilte. Wir sehen ihn hier mit seinem Photoapparat auf der Mauerkrone des palatiums von Friedrich Barbarossa in Lucera.

Harald Eschenburg, Sohn eines Admirals, Mitbegründer der FDP in Schleswig-Holstein, Buchhändler und im Alter Romanautor, hat Haseloff als Professor Fuchslauf in seine Romane hineingeschrieben. Die für Kiel so etwas sind, was die Buddenbrooks für Lübeck waren. Haseloff sieht bei seinem ersten Auftritt in Schlagseite: Roman aus der Weimarer Republik nicht sehr gut aus. Er hat gerade einen von einem Bilderfälscher gefälschten Corot für echt erklärt. So etwas passiert Direktoren einer Kunsthalle schon mal. Keiner der Rembrandts von Günther Busch in Bremen war echt (lesen Sie ➱hier mehr), und Sedlmair sah bei der Geschichte um die ➱Malskat Fälschungen auch nicht gut aus. Harald Eschenburg versichert uns natürlich, dass die handelnden Personen des Romans frei erfunden seien, allein die Leser in Kiel und Umgebung hatten jahrelang nichts anderes zu tun, als die wirklichen Namen der Romanfiguren zu entschlüsseln.

Lilli Martius hat sich in dem kleinen Institut sehr wohl gefühlt: ich habe es immer als glücklich empfunden in einem kleinen Museum und nicht als winziges Glied in einem Riesenbetrieb zu sein. Ab dem Wintersemester 1932/33 hält sie Übungen über die Techniken der Künste ab, und 1939 erhält sie eine Festanstellung als Assistentin. Hatte ihre Dissertation noch das italienische Trecento zum Thema (das Thema hatte ihr sicherlich Haseloff gegeben), so wird sie sich in Zukunft mehr für die Kunst im Lande interessieren.

Sie spricht in ihren Erinnerungen davon, dass ihre Forschungen von nun an die intensivere Beschäftigung mit den Schleswig-Holsteinischen Künstlern zum Ziel hat, da [sie] die Nutzung der dänischen Nachbarschaft für leichter durchführbar hält. Über diesen Maler (➱Hans Peter Feddersen) wird sie auch schreiben, und über viele andere aus dem Land. Kaum eine Region Deutschlands wird eine solche Aufarbeitung seiner Kunst erfahren. Ihre eigentlichen wissenschaftlichen Arbeiten werden erst in den fünfziger Jahren erscheinen. 1965 kommt ihr Hauptwerk Die schleswig-holsteinische Malerei im 19. Jahrhundert auf den Markt.

Den politischen Entwicklungen der dreißiger Jahre stand sie eher naiv gegenüber (... so sind mir maßgebende Geschehnisse mehr als gut gewesen wäre, entgangen). Ihre Devise war von Anfang an höchste Zurückhaltung und Handeln in der Stille. Über ihre Kollegin Aenne Liebreich, die aus der gleichen sozialen Schicht kommt wie sie, weiß sie in ihrer Autobiographie nur wenig zu sagen: Ich erhielt, wie gesagt, in der gleichen Zeit [Jahreswende 1932/32] die Berechtigung, Kurse über Technik der Künste im Kunsthistorischen Institut zu halten. Meine Freude wurde aber zunächst dadurch beeinträchtigt, daß die von meiner Kollegin Dr. Änne Liebreich erwartete Genehmigung zur Habilitation sich nicht nur immer weiter verzögerte, sondern als unrealisierbar angesehen wurde. Aenne Liebreich emigriert nach Frankreich, bekommt eine Stelle als Assistentin bei dem berühmten Henri Focillon und übersetzt ihre Habilitation ins Französische. Als ihre Verträge und Stipendien am Institut d‘art et d‘archéologie auslaufen, nimmt sie sich im Sommer 1939 das Leben. Seit März 2015 gibt es vor dem Haus Niemannsweg 133 einen Stolperstein.

Erstaunlicherweise waren viele von den Hochschullehrern, die einst die Nazis vergötterten, in den sechziger Jahren noch in Amt und Würden an der ➱Universität. Und wunderten sich 1968, dass sie von den Studenten attackiert wurden. Den Professor Ferdinand Weinhandl und den blütenreinen Nazi Schmidt (alias Paul Carrell) habe ich schon in dem Post ➱Feuer erwähnt. Das Buch Wissenschaft an der Grenze: Die Universität Kiel im Nationalsozialismus von Christoph Cornelißen und Carsten Mish sollte an dieser Stelle unbedingt genannt werden. Glücklicherweise sind unter den Kieler Kunsthistorikern keine überzeugten Nazis gewesen, Haseloff und Lilli Martius waren nie in der Partei.

Man kann es nirgendwo nachlesen, aber es ist mir mehrfach erzählt worden, dass Lilli Martius in den Jahren, als die Nazis an die Ausradierung der sogenannten entarteten Kunst gingen, still und heimlich Werke beiseite geschafft hat. Erst ins Magazin, wo sie niemand sieht, danach weit weg. Bilder bekamen andere Zuweisungen, waren dann nicht mehr auf den Listen. Auf einer Seite der Stadt Kiel wird es angedeutet: Lilli Martius hat sich als erster Kustos der Kieler Kunsthalle und als Retterin bedeutender Kunstwerke vor der Zerstörungswut der Nationalsozialisten einen Namen in der Kieler Stadtgeschichte gemacht.

Arthur Haseloff (der 1935 verhindert hatte, dass eine Adolf Hitler Büste in der Universität aufgestellt wurde) entwickelte in den Verhandlungen mit ➱Adolf Ziegler, dem Lieblingsmaler Hitlers (der man auch Reichsschamhaarmaler nannte), ein gewisses Geschick. Aber unter dem Strich verlor die Kunsthalle 156 (oder zweihundert, die Zahlen gehen da auseinander) Kunstwerke. Es ist nicht ohne Pikanterie, dass man für die weggenommenen Exponate Leihscheine nach München schickte. Damit betonte man juristisch, dass man die Werke lediglich als für die Ausstellung Entartete Kunst entliehene Bilder betrachtete. Dieses Bild hier ist natürlich keine entartete Kunst, das ist ein echter Ziegler.

Ab 1941 hatte man begonnen, den Bestand der Kunsthalle auszulagern (dies Bild von Hans Rickers findet sich schon in dem lesenswerten Post ➱Franco Costa). Die kunsthistorische Bibliothek wanderte nach Altenkrempe, wo sie im Seitenschiff der Kirche aufgestellt wurde (und von den Dorfbewohnern gerne benutzt wurde). Im Untergeschoss der zu großen Teilen zerstörten Kunsthalle blieb ein Raum von der Zerstörung verschont, in dem das Kunsthistorische Institut auf sechzehn Quadratmetern untergebracht war. Nach 1944, während der immer heftiger werdenden Bombenangriffe auf den Marinehafen Kiel (hier werden immer noch jeden Monat Bomben gefunden), hat Lilli Martius zusammen mit der Sekretärin der Kunsthalle Friedel Stender die restlichen Sammlungen des Kunstvereins evakuiert. Eigentlich hätte Friedel Stender, die auch eine Bibliographie der Schriften von Lilli Martius vorgelegt hat, die Universitätsmedaille bekommen müssen, hat sie aber nicht. An so etwas denkt man damals nicht. Ich empfand es immer als Sensation, dass unser verdienter Hausmeister Kurt Fröse die Medaille eines Tages bekommen wird.

Die Gehilfen, die Sir Kenneth Clark bei der Evakuierung der National Gallery hatte, hat sie nicht zur Verfügung. Und ➱Klavierkonzerte gibt es in der Kunsthalle natürlich auch nicht. Aber Engländer gibt es jetzt genügend in der Stadt. Hier zeigt der englische Admiral H T Baillie-Grohman (den man im Krieg ebenso wie den ➱General Carton de Wiart aus dem Ruhestand zurückgeholt hatte) dem Kommandeur des 8th Army Corps Generalleutnant E H Barker den Kieler Hafen.

Was man hier im Vordergrund vor der Kunsthalle sieht, ist die Universität Kiel im Jahre 1945. Der Lehrbetrieb der Universität beginnt auf einem Passagierschiff, das zuletzt als Truppentransporter gedient hat. Genau genommen sind es vier Schiffe, BarbaraSofiaOrla und Hamburg, die hunderte von Studenten beherbergen. Die Messen in den Bäuchen der Schiffe wurden notdürftig zu Hörsaalen umgebaut.

Die Kunsthistoriker beginnen in ihrem kleinen Raum in der zerstörten Kunsthalle, Vorlesungen (für die selbst Haseloff aus dem Ruhestand zurückkehrt) finden in der Zoologie oder der Medizin statt. Die einzige Mensa, die es weit und breit für die Studenten gibt, ist die Seeburg. Die einst im Jahre 1910 der Rektor der Kieler Universität Goetz Martius in Anwesenheit von Prinz Waldemar von Preußen feierlich eingeweiht hat. Viele Jahre später hat mein Freund Georg hier seine Examensparty gefeiert, würde ich gerne drüber schreiben, aber das wird wieder zu lang.

1945 übernahm Lilli Martius vertretungsweise die kunsthistorische Professur, der Ordinarius Richard Sedlmaier hielt sich zu einem längeren Kuraufenthalt in München auf. Auch so etwas gibt es im Krieg. Martius kündigte ein Seminar mit dem Titel Klassizismus und Romantik an, das aber wegen Raummangels nicht abgehalten werden konnte. Sie hätte dazu auch wohl keine Zeit gehabt, da man sie mit der Rückführung der ausgelagerten Institutsbestände betraut hatte. Klingt gut, war aber in der Praxis schwierig.

Die Universitätsverwaltung reagierte auf Lilli Martius‘ Frage nach Transportmitteln mit: Was wollen Sie, Bücher Bilder? Kartoffeln sind wichtiger. Gehen Sie zum Engländer. Die Engländer herrschen jetzt in der Stadt, die sie zu achtzig Prozent zerstört haben. Sogar einen British Kiel Yacht Club gibt es jetzt, das war vorher der Kieler Yacht Club. Die Engländer können der reizenden älteren Lady mit den vornehmen Manieren keinen Wunsch abschlagen, sie bekommt einen Lastwagen für den Rücktransport der Kunstwerke und der Bibliothek.

Sie fand bei ihren Aktionen einen tatkräftigen Gehilfen in Wolfgang J. Müller, dem Assistenten Sedlmairs, der nach Kriegsdienst und Gefangenschaft gerade nach Kiel gekommen war. Er hat mir einmal von der damaligen Lage erzählt. Es war etwas dramatischer als aus den verhältnismäßig dürren Worten von Frank Büttner in der Geschichte des Instituts hervorgeht: Er kam in einer Situation, von deren Schwierigkeiten wir uns heute kaum noch eine rechte Vorstellung machen können. Mit einer Energie, die offensichtlich gar nicht zu bändigen war, wirkte er zusammen mit Lilli Martius, der Kustodin der Kunsthalle, für den Wiederaufbau des Kunsthistorischen Institutes.

1947 wurde Lilli Martius zur Kustodin der Kunsthalle ernannt, was sie etwas ironisch mit der Bemerkung quittierte, das sei für sie ein wichtiger Schritt auf dem Wege, zu einer Altersversorgung zu kommen. Die ersten Ausstellungen nach dem Kriege waren Emil Nolde und Ernst Barlach (beide 1947), ➱Edvard Munch (1948) und ➱Christian Rohlfs (1949) gewidmet. 1951 ging sie in den Ruhestand, der eher ein Unruhezustand war, denn jetzt begann sie zu schreiben.

Unter anderem über Bilder wie dieses von Erik Pauelsen, das sich in Skandinavische Landschaftsbilder: Deutsche Künstlerreisen von 1780 bis 1864 findet. In der Kunsthalle war sie immer zu sehen. 1958 hatte sie den ersten Katalog nach dem Kriege fertig. 1973 erschien Johann Schlicks Katalog der Gemälde, der natürlich das Werk von Lilli Martius würdigt. Der neueste Katalog hat für Lilli Martius einen halben Satz übrig. Der Katalog trägt den Namen eines Mannes, der als Kunsthallendirektor das Museum als Spielwiese für ‚Neues Ausstellen‘ missbrauchte. Kiel verdankt ihm epochale Ausstellungen wie Heavy MetalBallermannAccessoiremaximalismus oder Malerei ohne Malerei.

1963 erschien zu ihrem achtzigsten Geburtstag als Band 34 von Nordelbingen eine Festschrift, die durch Subskription finanziert worden war. In der tabula gratulatoria fand ich auch den Namen der ➱Baronin von Stoltzenberg, allerdings etwas falsch geschrieben. Solche Druckfehler findet man in den Bänden von Nordelbingen immer wieder. In manchen Schriften glücklicherweise nicht. ➱Joachim Kruse hat mir einmal erzählt, welche Arbeit er (damals gerade promoviert) mit dem Korrekturlesen des Katalogs von Lilli Martius gehabt hat. Sie hat ihm natürlich dafür gedankt. Steht so im Katalog. Und über Friedrich Nerly, den Maler dieses Bildes, hat sie auch geschrieben.

Es ist April, und Sie wissen schon, was jetzt kommt: ein Monat lang Gedichte. Ich suchte ein Gedicht, das mit einer Kunsthalle zu tun hat, das erste, das mir einfiel, war Audens Musée des Beaux Arts. Das habe ich zwar schon einmal in dem Post William Carlos Williams gebracht, aber das macht nichts. Einen Brueghel besitzt Kiel natürlich nicht, aber dieses Bild muss natürlich hier abgebildet werden, ohne das Bild geht das Gedicht nicht:

About suffering they were never wrong,
The Old Masters; how well, they understood
Its human position; how it takes place
While someone else is eating or opening a window or just walking dully along;
How, when the aged are reverently, passionately waiting
For the miraculous birth, there always must be
Children who did not specially want it to happen, skating
On a pond at the edge of the wood:
They never forgot
That even the dreadful martyrdom must run its course
Anyhow in a corner, some untidy spot
Where the dogs go on with their doggy life and the torturer’s horse
Scratches its innocent behind on a tree.
In Breughel’s Icarus, for instance: how everything turns away
Quite leisurely from the disaster; the ploughman may
Have heard the splash, the forsaken cry,
But for him it was not an important failure; the sun shone
As it had to on the white legs disappearing into the green
Water; and the expensive delicate ship that must have seen
Something amazing, a boy falling out of the sky,
had somewhere to get to and sailed calmly on.

 
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måneskinnsmaler

 

Baade, Knut, ein zu München lebender Landschaftsmaler aus Bergen in Norwegen, ursprünglich ein Schüler Dahl’s, zeichnet sich in seinen Bildern aus der rauhen Natur seines Vaterlandes, in unwirtlichen Meeresküsten, in vom Mondschein beleuchteten Fjords u.s.w. durch die poetische Auffassung, durch Gewissenhaftigkeit und liebevolle Behandlung aus, heißt es 1857 in dem Künstlerlexikon der Herren Friedrich Müller, Karl Klunzinger und Adolf Friedrich Seubert, das den schönen Titel Die Künstler aller Zeiten und Völker trägt. So berühmt ist der Maler im Jahre 1857 schon, dass man ihn in dem Werk aufnimmt. Heute ist er beinahe vergessen. Der deutsche Wikipedia Artikel ist sehr, sehr dürftig.

Dies Bild von Knud Baade, das Einfahrt ins Naerøtal heißt, kenne ich gut. Einen kleinen Teil der Wolke da oben rechts habe ich bezahlt. Ich habe das schon in dem Nachruf auf den Kunsthallendirektor ➱Jens Christian Jensen gesagt, aber ich wieder wiederhole das gerne. Das Bild war damals ein Geschenk der Mitglieder des Schleswig-Holsteinischen Kunstverein an die verdiente Honorarprofessorin Lilli Martius. Die es aber nicht mit nach Hause nahm, sondern der Kunsthalle schenkte. Im Kunstverein bin ich seit über vierzig Jahren, man kommt immer umsonst in die Kunsthalle. Davor kam ich auch umsonst in die Kunsthalle, weil die Studenten der Kunstgeschichte freien Eintritt hatten. Lilli Martius hat einmal gesagt: je älter ich geworden bin, je mehr habe ich mich überzeugt, wie notwendig es ist, sich einen weiten Blick zu erhalten und weder im Spezialistentum noch im alten Wissensbesitz fest zu sitzen. Das sollten wir uns mal alle mal merken.

Knud Andreassen Baade wurde am 28. März 1808 in Skjold in der Provinz Rogaland geboren, wird aber nicht in Norwegen bleiben. Nach erstem Zeichenunterricht bei Carl Peter Lehmann und einem ersten Studium in Bergen geht er zu Christoffer Eckersberg an die Kopenhagener Akademie. An Eckersberg kommt man in dieser Zeit nicht vorbei. Er taucht hier schon in den Posts ➱Dänische Kunst und ➱Vilhelm Marstrand auf; und in dem Post ➱Bertel Thorvaldsen habe ich erzählt, dass ich ein Bild von einem Schüler Eckersbergs besitze. Ungefähr so wie auf diesem frühen Bild von Knud Baade müssen wir uns den Unterricht an der Kopenhagener Akademie vorstellen. Von Rousseaus revenons à la nature ist hier nichts zu spüren, hier ist marmorkalte Klassik angesagt.

Aber wenn man in der Berglandschaft von Norwegen aufgewachsen ist, dann malt man eher Bilder wie die Einfahrt ins Naerøtal. Oder Strandbilder mit Schiffbruch. Bilder dieses Typs malt Baade eine Zeitlang gerne. Der Kunstschriftsteller Hyacinth Holland spricht in seinem Artikel in der Allgemeinen Deutschen Biographie von fast ausschließlich nur Mondnächte, meist mit stürmischer See, die sich an nackten Felsen bricht und Schiffe mit Wuth hin- und herschleudert, ziemlich eintönig in Dahl’s trüber Farbe gemalt.

Das mit den Schiffen und den nackten Felsen, das stimmt schon, aber dass Johann Christian Clausen Dahl in trüben Farben gemalt hat, das würde ich bezweifeln. Den Maler mag ich sehr, immer wenn ich in der Kieler Kunsthalle bin, schaue ich mir als erstes sein ➱Bild vom Kopenhagener Hafen im Mondschein an. Dahl hat ➱hier natürlich schon einen Post. Baade hat Dahl 1834 kennengelernt und ist dann seinem Landsmann nach Dresden gefolgt, da wird er ein Teil der Dresdner Malerszene. Und malt das Bild Dresden im Mondschein, das ein klein wenig nach einer Kopie von Dahls Kopenhagen Bild aussieht.

Christian Clausen Dahl hat noch einen anderen norwegischen Schüler, der Thomas Fearnley heißt. Von dem hat die Kieler Kunsthalle seit einiger Zeit auch ein Bild. Es heißt Schloß Vadstena am Vättern See. Ich habe schon Stunden vor diesem Bild von verbracht. Die Sätze auf der Seite des Museums helfen mir nicht weiter: Das Bild zeigt wuchtige Statuarik und vehemente Bewegungsmotive, thematisiert menschliche Haltungen gegenüber Natur und Kultur, ist historisches Dokument, Aktualisierung und metaphorische Übertragung in Überzeitliches gleichermaßen. 

Es sind Sätze wie diese, weshalb ich manche Kunsthistoriker hasse. Sagen sie etwas über das Geheimnisvolle des Bildes, das es wie einen Vorläufer von ➱Carel Willink oder ➱Franz Radziwill aussehen lässt? Das Bild von dem schwedischen Schloss ist nicht typisch für die gefälligen Landschaftsbilder von Fearnley, die eher eine Biedermeier Version der Romantik sind. Thomas Fearnley ist trotz des englischen Namens (sein Großvater stammte aus Yorkshire) ein Norweger. Die Stationen seines Künstlerlebens sind ähnlich wie die von Baade: Norwegen, Dresden, München.

Fearnley taucht in meinem Bildergedächtnis noch an einer ganz anderen Stelle auf, denn er hat auch dieses Bild gemalt, das nun ganz und gar nichts Geheimnisvolles an sich hat. Es zeigt (sechs Jahre nach dem Schloß Vadstena am Vättern See gemalt) den englischen Maler William Turner am ➱Varnishing Day. Das ist der Tag, wenn die Maler in der Royal Academy eine Schicht Firnis über ihre Gemälde streichen und letzte Korrekturen anbringen.

Bis auf Turner. Der brachte manchmal eine weiße Leinwand und malte das Bild für die Ausstellung an Ort und Stelle. Das Bild von Fearnley aus dem Jahre 1837 ist viel lebendiger und origineller als das von ➱William Parrott, der die gleiche Szene auch gemalt hat. Thomas Fearnley ist im Alter von neunundreißig Jahren 1842 in München verstorben. Ich weiß nicht, was noch aus ihm hätte werden können. Mehr als Baade auf jeden Fall. Dieser Blick auf Dresden beim Sonnenuntergang zeigt, dass er von seinen Lehrern Christian Clausen Dahl und Caspar David Friedrich (die ja in demselben Haus wohnten) sehr viel gelernt hat.

Er wird sogar manchmal seinen Lehrer übertreffen. Zum Beispiel mit seinem Bild von der Slindebirke, das die norwegische Post 1972 auf eine Briefmarke druckte. ➱Dahl, den man heute den Vater der norwegischen Malerei nennt, hatte den Baum 1826 gemalt, und alle seine Schüler (bis auf Knud Baade) haben die stolzeste Birke des Sognefjords, die zu einem nationalen Symbol wurde, gemalt. Fearnleys Bild wird die berühmteste Darstellung der Birke werden.

Baade hat bei Christian Clausen Dahl auch etwas gelernt, er hat den Mondschein, den Dahl so schön malte, in seine Bilder übernommen. Er bleibt fordømt til måneskinnsmaler (zum Mondscheinmaler verdammt), wie er einmal sagen wird. Ein Maler des Mondlichts zu sein, ist ja nicht Böses. Die Holländer hatten das schon im 17. Jahrhundert gemalt, und ein Maler wie Aert van der Neer (der schon in den Posts ➱Himmel und ➱Kunsthalle erwähnt wird), hatte diesen Bildertyp perfektioniert. Jetzt holt die Romantik die Mondscheinbilder wieder aus den Schubladen. Und sicherlich fällt uns allen zuerst das ➱Bild Zwei Männer in Betrachtung des Mondes von Caspar David Friedrich ein.

Caspar David Friedrich (der ebenso wie Turner in diesem Blog kein Unbekannter ist) hat Knud Baade vor seiner Staffelei gezeichnet. Das Bild, das hier im Entstehen ist, sieht ein wenig nach der Einfahrt ins Naerøtal aus. Es ist ja auch in der gleichen Zeit wie diese Zeichnung von Friedrich entstanden. Wenn ich vor dem Schreiben dieses Posts in den Katalog der Neuerwerbungen 1975-1979 geguckt hätte, dann wüsste ich, dass die Kunsthalle Kiel das auch vermutet. Baade zieht sich in Dresden eine Infektion des Auges (ein bedenkliches Augenübel, wie Hyacinth Holland schreibt) zu und kehrt 1839 für ein Jahr nach Bergen zurück, wo sein Vater Andreas inzwischen Landrichter geworden war.

Ein Jahr später hat sich das Leiden ein wenig gebessert, und Baade ist wieder in Dresden. Er ist glücklicherweise in dieser Situation nicht auf die Einkünfte aus der Malerei angewiesen, da er ein Staatsstipendium bekommen hat. 1842 verlässt er Dresden, um nach München zu ziehen, Dahl hat ihm dazu geraten. In München wird er eines Tages auch Motive aus Bayern, Österreich und Tirol malen, allen Gegenden, in denen er gerne Urlaub macht. Aber das lassen wir mal beiseite. Ich zeige lieber noch eine Wolkenstudie, die ganz aufschlussreich ist. Wenn man sie mit den Wolken von ➱Cozens, ➱Girtin, ➱Constable oder ➱Blechen vergleicht, kann man sehen, dass diese Maler sehr viel besser sind als Baade.

Dieses Bild (Scene from the Era of Norwegian Sagas) aus dem Jahre 1850 ziert das Cover des ersten Bandes der dänischen Zeitschrift Romantik: Journal for the Study of Romanticisms (➱hier im Volltext). Es ist ein Bild, das typisch für eine weitere Phase des Werkes von Baade ist, der Hinwendung zu Mythen und Sagen. Hycinth Holland spricht auch von den Ossianischen Nebelbildern Baades. In der Welt Ossians geht die Sonne nie auf. Bei dem Thema war die Malerei schon einmal, als der Ossianismus in Europa ausgebrochen war. Und Nicolai Abildgaard (der ➱hier einen Post hat) die von James Macpherson erfundenen Helden auf die Leinwand bannte.

In der Zeitschrift Romantik findet sich bei dem Bild Scene from the Era of Norwegian Sagas die Anmerkung: In 1851, King Ludwig I purchased one of his works, Phantasibild aus der norwegischen Sagazeit, for the collection of the Neue Pinakothek. This is very likely identical with the painting illustrated on this cover. It was sold in 1918, and was rediscovered in the collection of Mr. Asbjørn Lunde of New York only a few years ago. The history of the painting may be said to reflect the reception history of Romantic ideals: thrown out at the beginning of Modernism, neglected during large parts of the 20th century, only to be appreciated again in our time – as in the periodical ‚Romantik‘.  

Dass seine Bilder etwas Geheimnisvolles und Poetisches enthalten sollten, das war ihm immer klar: Kort tror jeg, at hvis nogle af mine arbeider i tidernes løp vil holde sig i kampen om tilværelsen, saa er det hovedsagelig det mysteriøse og poetiske element som vil holde dem oppe. Sie haben natürlich auch etwas Inszeniertes, Theatralisches. Was in dieser Zeit offensichtlich gut beim Publikum ankommt. Irgendwie ist er der ➱Albert Bierstadt von Norwegen.

Poetisch angelegt fühlte er sich von der grandiosen Natur seines Vaterlandes mächtig angesprochen und gab sie in zahlreichen Bildern wieder, wobei er besondere Vorliebe für Mondscheinscenerien zeigte. Bald läßt er das Meer sich in berghohen Wogen erheben und mächtige Schiffe wie dürre Blätter hin und herschleudern, bald es brandend an die Klippen des Ufers schlagen. Phantastische Wolkengestalten jagen über den Himmel und das blasse Mondlicht zuckt unsicher auf den Wellen. Bald führt er den Beschauer auf die friedlich ruhende, vom vollen Lichte des Mondes weithin beleuchtete See, ausnahmsweise auch tief in die Fjorde hinein, daß wir uns der grünen Matten und der weißstämmigen Birken erfreuen. Immer ist es das Bedeutende, Einsame, Erhabene, durch das er uns anregt und in romantische Stimmung versetzt, ohne an das Sentimentale zu appelliren, schreibt die Augsburger Abendzeitung in ihrem Nachruf im November 1879. 

Und ähnlich urteilt Carl Albert Regnet 1871 in seinem Buch Münchener Künstlerbilder: ein Beitrag zur Geschichte der Münchener Kunstschule in Biographien und CharakteristikenMag uns aber Baade an die sturmbewegte oder an die ruhige See führen, mag sich der Himmel klar und hell darüber wölben oder mögen wilde Wolkengestalten uns schrecken, immer ist es das Bedeutende, Einsame, Erhabene, was uns in „romantische“ Stimmung versetzt, die frei ist von aller Sentimentalität wie von allem Gemachten, weil der Künstler in seiner Begeisterung für die echte und wahre Kunst es verschmäht mit den Mitteln der Übertreibung und der Unwahrheit zu wirken. Ich bin da, was die Übertreibung und die Unwahrheit betrifft, nicht so ganz sicher.

Knud Baade ist nicht der einzige norwegische Maler, der ein klein wenig zur Großartigkeit neigt. Wir haben da noch Dahls Schüler ➱Peder Balke (hier ein Bild von ihm), dem die Londoner National Gallery gerade eine Ausstellung gewidmet hatte. Und Hans Gude. Oder Hans Dahl, den Lieblingsmaler von Wilhelm II. Dass heute ➱Edvard Munch berühmter ist als Hans Gude, ist eine andere Geschichte. Norwegische Maler, die berühmt sind, gibt es heute immer noch. Ich zitiere einmal den bekanntesten mit dem Satz: Große Kunst steht still, und sie geht alle an. Hat der kitschmeister ➱Odd Nerdrum gesagt.

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Einquartierung

 

Das ist Margaret Kemble Gage, die Gattin des englischen Generals Thomas Gage, gemalt von ➱John Singleton Copley. Er hat auch ihren Ehemann gemalt. Der an dem Quartering Act Schuld ist, der heute vor 250 Jahren vom englischen Parlament beschlossen wurde. Das englische Parlament ist fleißig in jenen Tagen, zwei Tage zuvor hat man den Stamp Act beschlossen. Wenn man so will, ist das der Anfang vom Ende der englischen Herrschaft in Amerika. Der Quartering Act wird Folgen haben, bis zum heutigen Tag. Thomas Gage, der der Oberkommandierende der englischen Truppen in Amerika ist, wollte gerne erreichen, dass seine Truppen von den Amerikanern untergebracht und beköstigt werden. Das ist natürlich auch der Wunsch der Engländer. Warum sollen die Kolonien nicht dafür bezahlen, dass man sie beschützt?

Im French and Indian War – in dem ➱George Washington der Waffenbruder von Thomas Gage war – hat man das in den Kolonien ja noch eingesehen. Aber jetzt, wo Franzosen und Indianer besiegt sind, warum die Engländer durchfüttern? Thomas Gage ist eine tragische Figur. Er war auf einer berühmten Schule, er kann sich benehmen. Und er teilt nicht die Laster der englischen Offiziere, die da Trunk- und Spielsucht heißen. Da ist er ganz anders als der General ➱Charles Lee, der ihm einmal schrieb: I respected your understanding, lik’d your manners and perfectly ador’d the qualities of your heart. Mit einundzwanzig ist Gage Leutnant (war ich auch), und er ist mit der englischen Armee dort, wo man ihn braucht: in Flandern und in Culloden (zu der Schlacht gibt es ➱hier einen Post). Und ab 1755 für zwanzig Jahre in Amerika.

Wo er in dem völlig missglückten Feldzug des Generals Edward Braddock eben diesen jungen Mann aus Virginia kennenlernen wird. Nach dem Frieden von Paris 1763 möchte Gage nach England zurück, er sagt seinem Vorgesetzen Lord Amherst, er sei very much [tired] of this cursed Climate, and I must be bribed very high to stay here any longer. Wenig später, im Oktober 1763, wird er Amhersts Stellvertreter, als der nach England zurückgerufen wird. Lord Amherst wird nicht nach Amerika zurückkehren.

Als der Quartering Act verkündet wird, sieht Gage die politische Lage in den Kolonien ganz klar, vielleicht klarer als andere: It is to be feared in general, that the spirit of democracy is strong amongst them. The question is not of the inexpediency of the Stamp Act, or of the inability of the Colonys to pay the tax; but that it is unconstitutional and contrary to their rights Supporting the Independency of the province and not subject to the Legislative Power of Great Britain. Washington und Gage respektieren sich, es hätte eine Freundschaft daraus werden können. Aber wenn Gage zwanzig Jahre nach dem Quartering Act einen Brief an Washington mit I am, Sir, your most obedient humble servant beendet, dann meint er das nicht so. Da stehen sich die beiden als Feinde gegenüber, und Washington trägt nicht mehr die englische Uniform.

Thomas Gage mag die Amerikaner, schließlich hat er ja auch eine Frau aus den Kolonien geheiratet (hier ist Margaret Kemble auf einem Bild von David Martin aus dem Jahre 1775 zu sehen). Die kommt aus dem einflussreichen New Yorker Clan der Schuylers, ist aber auch mit den Van Cortlandts, Bayards, Van Rensselaers und deLanceys verwandt. Das ist sozusagen der amerikanische Uradel. Es heißt über sie: she was known as a belle in social circles throughout the middle colonies, die Offiziere des Generals werden sie the Duchess nennen. Thomas Gage kommt auch aus einer alten ➱Adelsfamilie, er selbst wird aber keinen Adelstitel tragen. Abgesehen davon, dass er natürlich The Honourable Thomas Gage ist, das steht dem Sohn eines Viscounts zu.

Gages Gattin hat große Sympathien für den Freiheitskampf, Gage verdächtigt sie, militärische Geheimnisse an die Revolutionäre zu verraten. Er schickt sie im Sommer 1775 nach England zurück. Sie segelt mit einem ➱Schiff, das Charming Nancy heißt und das voller Witwen und verwundeten englischen Soldaten ist. Ob sie wirklich daran Schuld ist, dass eines Tages ➱Paul Revere durch die Nacht reitet und The British are coming! ruft, das ist nie erwiesen worden. Die Historiker streiten immer noch darüber. Verschwörungstheorien sind immer eine schöne Sache. Einem Freund vertraute sie an: she hoped her husband would never be the instrument of sacrificing the lives of her countrymen. Und einer Freundin sagte sie, sie fühle sich wie Blanche in Shakespeares King John:

The sun’s o’ercast with blood: fair day, adieu!
Which is the side that I must go withal?
I am with both: each army hath a hand;
And in their rage, I having hold of both,
They swirl asunder and dismember me.
Husband, I cannot pray that thou mayst win;
Uncle, I needs must pray that thou mayst lose;
Father, I may not wish the fortune thine;
Grandam, I will not wish thy fortunes thrive:
Whoever wins, on that side shall I lose
Assured loss before the match be play’d.

Es ist eine ungewöhnliche ➱Pose, in der John Singleton Copley Margaret Kemble gemalt hat. Er hatte gerade sein Studio in New York bezogen, in einem Haus in Broadway, on the west side, in a house which was burned in the great conflagration on the night the British army entered the city as enemies. Er wusste, dass dieses Bild Furore machen könnte. Er wollte Margaret Kemble zuerst so malen, wie Sir Godfrey Kneller ➱Lady Montagu gemalt hatte, weil er von dem Bild einen Stich besaß, gab diesen Plan aber glücklicherweise auf. Copley wird seinem Stiefbruder ➱Henry Pelham schreiben, dass der Maler ➱Matthew Pratt über das Bild sagte: It will be flesh and Blood these 200 years to come, that every Part and line in it is Butifull, that I must get my ideas from Heaven, that he cannot paint it.

Nach der Schlacht von Bunker Hill (die ➱hier einen Post hat) ist Thomas Gage dann auch wieder zu Hause. Denn wenn ein Oberkommandierender der englischen Regierung vorschlägt, dass sie die Intolerable Acts zurücknehmen soll, dann hört man das in London nicht so gerne. His idea of suspending the Acts seems to me the most absurd that can be suggested, wird der König an Lord North schreiben. Alle diese Maßnahmen, die sich hauptsächlich gegen die Einwohner von Massachusetts richten (wo Gage auch noch Gouverneur ist), spülen allerdings kein Geld in Englands Kassen. Die Kolonien sind sehr erfinderisch darin, Englands Anordnungen nicht zu befolgen.

Gage war damals nicht die erste Wahl von Lord North, man hätte lieber Monckton (hier auf einem Bild von Benjamin West) genommen, aber der wollte nicht. London sucht schon seit längerem nach einem Nachfolger für Gage, der bei einem Urlaub in England (durch den er die Boston Tea Party verpasste) den König zu überreden versuchte, mehr Truppen zu schicken. Nach der Unterredung schreibt der König seinem Premier Lord North: … his language was very consonant to his Character of an honest determined Man; he says they will be Lyons, whilst we are Lambs but if we take the resolute part they will undoubtedly prove very meek. Schon vor seinem Aufenthalt in England hatte er der Regierung empfohlen:

If a determined resolution is taken to enforce at all events a due submission to that dependence on the parent state, to which all Colonies have been subjected, you can not act with too much vigor. Quash this spirit at a blow, without too much regard to the expense, and it will prove economy in the end. Doch den the spirit of democracy… amongst them kann man nicht unterdrückenEngland wartet zu lange, bis es Truppen nach Amerika schickt. Dann kommen gleich drei englische Generalmajore: William Howe, Gentleman Johnny Burgoyne und ➱Henry Clinton. ➱Burgoyne (hier von ➱Joshua Reynolds gemalt) findet dafür die großsprecherische Bezeichnung: triumvirate of reputation, aber die Londoner Presse verhöhnt die Herren in Rot:

Behold the Cerberus the Atlantic plough,
Her precious cargo, Burgoyne, Clinton, Howe.
Bow, wow, wow!

Burgoyne, mehr ein Mann der Feder (und des Champagners) als des Schwertes – er wird noch als Theaterautor berühmt – verfasst als erstes eine Proklamation: Whereas the infatuated multitudes, who have long suffered themselves to be conduced by certain well known Incendiaries and Traitors in a fatal progression of crimes against the constitutional authority of the state, have at length proceeded to avowed rebellion; and the good effects which were expected to arise from the patience and leniency of the King’s government, have been frustrated, and are now rendered hopeless, by the influence of evil counsels; it only remains for those who are entrusted with supreme rule, as well for the punishment of the guilty, as the protection of the well affected, to prove they do not bear the sword in vain. Wenn ➱Horace Walpole ihn als Pomposo und Hurlothrumbo bezeichnet, dann wissen wir nach dieser Stilprobe weshalb. Walpole hat ein wunderbares Schludermaul. Wenn er Burgoyne, über den er sagt but he was a vain, very ambitious man, with a half-understanding that was worse than none einen Namen wie Julius Caesar Burgonius oder General Swagger gibt, dann spricht sich das herum.

Die ➱Proklamation, über die man in Amerika (und in England!) lacht, endet mit: I avail myself of the last effort within the bounds of my duty, to spare the effusion [of blood]; to offer, and I do hereby in his Majesty’s name, offer and promise, his most gracious pardon to all persons who shall forthwith lay down their arms, and return to the duties of peaceable subjects, excepting only from the benefit of such pardon, Samuel Adams and John Hancock, whose offenses are of too flagitious a nature to admit of any other consideration than that of condign punishment. Jeder wusste, dass Burgoyne das geschrieben hatte, es war nur etwas blöd von Thomas Gage, seinen Namen darunter zu setzten. Denn als Gouverneur von Massachusetts kannte er die Charter of Massachusetts, auf die Samuel Adams auf Copleys Bild hinweist. Die Krone hat den Kolonien einmal Rechte zugestanden, die sie jetzt verletzt.

Die drei neuen Generäle können sich nicht ausstehen, von ihrer reputation wird wenig übrig bleiben. Der Ehrenmann Gage, der nach seinen eigenen Worten zu einer mere military cipher geworden ist, segelt nach Hause. Und lässt sich (wie seine Gattin) von David Martin malen. Die beiden Portraits täuschen eine Gemeinsamkeit vor, die nicht mehr vorhanden ist. Die Ehe ist jetzt zerrüttet. Ich glaube, sie lässt ihn nicht wieder ins Bett. Sie hat ihm elf Kinder geboren, der älteste Sohn wird den Titel eines Viscounts Gage tragen. Gage wird noch vom Generalleutnant zum General befördert werden, aber an keinem Feldzug mehr teilnehmen. Margaret Kemble Gage, die neunzig Jahre alt wird, wird ihren Ehemann um sechsunddreißig Jahre überleben.

Mit der amerikanischen Revolution ist der Quartering Act zur Makulatur geworden. Jefferson hatte ihn in der ➱Declaration of Independence in der Liste der Klagen gegen den König erwähnt: He has combined with people others to subject us to a jurisdiction foreign to our constitution, and unacknowledged by our laws; giving his Assent to their Acts of pretended Legislation: For quartering large bodies of armed troops among us). Damit man so etwas nie wieder hat, schreibt man ihn als drittes amendment in die Verfassung: No Soldier shall, in time of peace be quartered in any house, without the consent of the Owner, nor in time of war, but in a manner to be prescribed by law. Es ist der Zusatzartikel, der von all den zehn Artikeln, die am 21. September 1789 verabscheidet wurden, die wenigsten juristischen Probleme bereitet hat.

Ganz im Gegensatz zu dem vorangehenden Zusatzartikel. Der im ersten Entwurf so lautet: A well regulated militia, composed of the body of the people, being the best security of a free state, the right of the people to keep and bear arms shall not be infringed; but no one religiously scrupulous of bearing arms shall be compelled to render military service in person. Es geht also um die Rechte der Miliz, Amerika hat im Gegensatz zu England kein stehendes Heer. Sie könnten jetzt den Post ➱Schnellfeuergewehre lesen, da steht noch mehr zu diesem Zusatzartikel der Verfassung. Das neueste Buch zu unseren englischen Generälen in Amerika ist Andrew Jackson O’Shaughnessys The Men Who Lost America: British Leadership, the American Revolution, and the Fate of the Empire, sehr empfehlenswert. Was allerdings der Ausschnitt von Copleys The Defeat of the Floating Batteries at Gibraltar, September 1782 auf dem Buch soll, das weiß ich nicht. Wenn Sie alles über Copleys Bild wissen wollen, dann lesen Sie den Post ➱Hoya.

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Walter Crane

 

In der ITV Serie Lewis (die ➱hier natürlich einen Post hat) zitiert Sergeant Hathaway eine Zeile aus Tennysons Lady of ShalottOut flew the web and floated wide. James Hathaway hat in Cambridge studiert, er ist ein gebildeter Mann. Robbie Lewis kommt aus Newcastle, er war nie auf einer Universität. Als er noch der Sergeant von Chief Inspector Morse war, konnte er von dessen Bildung profitieren. In der Serie, die Morse heißt (die irgendwann auch mal hier einen Post bekommt), war Lewis viel lebendiger und witziger als in Lewis. Inspector Morse zitiert Tennyson auch einmal, wenn er seinem Chief Superintendent Strange die letzten Zeilen aus Ulysses vorträgt:

Tho‘ much is taken, much abides; and tho‘
We are not now that strength which in old days
Moved earth and heaven, that which we are, we are …

Tennysons Lady von Shalott, die die viktorianischen ➱Maler immer wieder gereizt hat, trieb in dem Post ➱bêtes noires schon einmal durch diesen Blog. Wenn Sie die Verse dazu haben wollen, bitte sehr:

And at the closing of the day
She loosed the chain, and down she lay;
The broad stream bore her far away,
The Lady of Shalott.

Lying, robed in snowy white
That loosely flew to left and right –
The leaves upon her falling light –
Thro‘ the noises of the night
She floated down to Camelot:
And as the boat-head wound along
The willowy hills and fields among,
They heard her singing her last song,
The Lady of Shalott.

Wenn Sie noch mehr über die nach Camelot treibende Dame (die der Karrierestart von Walter Crane war) in der populären Kultur wissen wollen, schauen Sie doch einmal in den interessanten ➱Artikel Floating down beyond Camelot: The lady of Shalott and the audio-visual imagination. Walter Crane starb heute vor hundert Jahren, er war ein Künstler des Arts and Crafts Movements, der von den Präraffaeliten beeinflusst war. Die Jay nun überhaupt nicht mag. Es war sicher nett von Professor ➱Wolfgang J. Müller gemeint, dass er mir als drittes Thema für das Rigorosum im Fach Kunstgeschichte die englischen Präraffaeliten offerierte. Ich konnte ihm in dem Augenblick schlecht sagen, dass ich die überhaupt nicht ausstehen konnte.

Ich habe meiner Abneigung gegen die Präraffaeliten schon in dem Post ➱Dante Gabriel Rossetti Ausdruck verliehen. Vor allem, wenn sie auch noch eine Art sozialistischer Philosophie entwickeln: We want a vernacular in art. No mere verbal or formal agreement, or dead level of uniformity but that comprehensive and harmonizing unity with individual variety which can be developed among people politically and socially free, hat er geschrieben. Das mit dem politically and socially free und der Stellung des Künstlers in der Gesellschaft ist ihm wichtig. Er bietet uns zwar keine wirkliche Philosophie wie sein Kollege William Morris (den er 1870 kennenlernt), aber er wird Mitglied der Social Democratic Federation und Fabian Society werden. Und wird eines Tages für die zum Tode verurteilten Chicagoer Anarchisten eintreten.

Aber der Mann, der gerne Samtjacken trägt (lesen Sie hier mehr über die Mode des ➱Aesthetic Movement) und grauenhaft kitschig Grimms Märchen illustriert (hier seine Abbildung zu Dornröschen), hat noch ein zweites Leben. Das nichts mit der Lage der arbeitenden Klasse in England und der amerikanischen Anarchisten gemein hat. Er ist gerne in Gesellschaft, sein Haus in der Holland Street in Kensington wird zu einem Treffpunkt von Künstlern und feiner Gesellschaft. Auch die englische Aristokratie mag den Mann, der nebenbei ein bisschen Sozialist ist.

Yea, on the strand they stood, the Sirens three — 

No More, and golden Now, and dark To Be, 

Whose vocal harps are love, and hope, and grief; 

To these they sang, and waved their hands to me. 

Who thence, unto the shore, escaping, clung. 

As from the dread insatiate ocean’s tongue 

That lapped the barren sand, and evermore. 

Above its vain recoil, the Sisters sung. 

Prone on that unknown land, outcast, forlorn. 

My soul lay ; watching for the eyes of morn ; 

As from a dying universe adrift, 

A naked life — to what dim world new born ?

Das ist auch Walter Crane, er dichtet auch ein bisschen, wie zum Beispiel The Sirens Three, einem Werk (hier im Volltext), das er auch selbst illustriert hat. Wenn Sie noch mehr Sirenen und Nymphen haben wollen, lesen Sie dich den Post ➱Meerjungfrauen und Waldnixen. Der Kunsthistoriker Otto Grautoff fand 1901 in seinem Buch Die Entwicklung der modernen Buchkunst in Deutschland (hier im Volltext) die Buchillustrationen des Mannes, dessen künstlerischer Anfang im Holzschnitt (den er bei William James Linton erlernt) liegt, ganz großartig:

Wie in einem reichen Garten nach einem warmen Nachtregen unter den Sonnenstrahlen des aufgehenden Morgens plötzlich alle duftenden Blumen sich entfalten, also bewährte sich unter den flammenden Reden John Ruskins die Blüh-Willigkeit der englischen Kunst und trieb eine wundersame Blüte in dem Dreigestirn des Edward Burne-Jones, William Morris und Walter Crane. Die Präraphaeliten betrieben die Kunst wie einen heiligen Gottesdienst und trachteten danach, alles mit Schönheit zu beleben; ihnen und ihrem grossen Agitator Ruskin, der mit sittlichem Ernst und ungeheuerem Eifer seine social-politischen Ideale zu verwirklichen trachtete, haben wir es zu danken, dass der erlösende Frühlingssturm über alle Fährten der Kunst strich; denn sie waren die Ersten, die sich nicht mehr zu vornehm dünkten, ihre Schaffenskraft in den Dienst des Kunstgewerbes zu stellen; sie predigten ,,die Kunst für das Volk und durch das Volk“. Mit einer Wünschelrute scheinen sie Alle Zeit ihres Lebens gearbeitet zu haben.

Die Engländer nennen so etwas purple passages, das würde heute niemand mehr schreiben. Ich glaube, die etwas verfremdende Illustration zu The Beauty and the Beast war an dieser Stelle angebracht. Das hier ist auch aus der Illustration des Märchens The Beauty and the Beast. Wenn sie genau hinschauen, können Sie auf dem Fächer der Schönen die schaumgeborene Venus von Botticelli erkennen. Ich weiß nicht, ob man das jetzt mit sophisticated oder corny bezeichnet. Durch die Vielzahl seiner Illustrationen für Märchen- und Kinderbücher hatte Walter Crane mittlerweile den Titel the artist of the nursery bekommen.

Weshalb weiß ich nicht. Denn Illustratoren von ➱Kinderbüchern gibt es in England genug, John Tenniel zum Beispiel, der Lewis Carrolls Alice in Wonderland illustrierte. Oder Arthur Rackham (der mit seinen letzten Ilustrationen für The Wind in the Willows in dem Post ➱Hosenumschlag zu sehen war). Und dann wollen wir die unvergleichliche Beatrix Potter natürlich nicht vergessen. Die meisten Illustrationen anderer Zeichner sind viel fröhlicher und kindgerechter als die Arts and Crafts Tristesse von Crane. So viel Fröhlichkeit wie hier auf George Henry Thompsons The Animals Jump the Stream strahlen seine Illustrationen nie aus.

Aber eine Venus wie Botticelli wollte Crane doch auch einmal malen (wahrscheinlich hatte er dessen Bild 1871 auf seiner Hochzeitsreise in Italien gesehen), ich bilde sie gerne einmal ab. Glücklicherweise findet sich auf der Seite der Tate Gallery der Zusatz not on display, das heißt, dass diese viktorianische Scheußlichkeit im Keller verschwunden ist. Wenn sie noch mehr Bilder von der schaumgeborenen Venus sehen wollen, dann klicken Sie ➱George Spencer Watson an.

Walter Crane war mit Sir Edward Burne-Jones befreundet (der der Onkel von ➱Rudyard Kipling war), er erscheint in seinen ➱Bildern wie ein schlechter Imitator von Burne-Jones. Aber er hat sich hauptsächlich als Maler gesehen. Wenn er im Rückblick auf sein Leben sagt: I exhibited chiefly in the First Water-Color Dudley Gallery from 1866 onwards, my work meeting ready acceptance by the juries, dann ist das nicht die ganze Wahrheit. Die Royal Academy lehnt die Ausstellung seiner Bilder konsequent ab. Diesen Kitsch, der Love’s Altar heißt, hat er gar nicht bei der Akademie einzureichen versucht, es wurde 1870 in der Old Bond Street Gallery gezeigt.

Es blieb ihm gar nichts anderes übrig als die Old Bond Street Gallery oder die Dudley Gallery. Und ein loser Zusammenschluss mit Künstlern, die alle Edward Burne-Jones bewunderten. Und die die Kritiker etwas gehässig als die poetry-without-grammar-school bezeichneten. Das poetry bezieht sich darauf, dass die Themen aller Bilder aus der Literatur kommen, das without grammar meint die Zurückweisung akademischer Konventionen. Und dann kommt so etwas dabei heraus. Auf den Gedanken, Walter Crane hauptsächlich als Maler zu sehen, würde heute niemand mehr kommen. Wenn man bedenkt, dass es längst die Schule von Barbizon, die Maler in ➱Skagen und ➱Edouard Manet gibt, ist diese Belle Dame sans Merci malerisch doch ein Rückschritt. Aber das Mittelalter ist es ja, zu dem die englische Kunst des viktorianischen Zeitalters strebt. Ich möchte an dieser Stelle die Lektüre der Posts ➱Ritter, ➱Shakespeare oder ➱Mark Girouard empfehlen.

Nein, ein Maler ist Walter Crane wirklich nicht, er ist gut in manchen seiner Illustrationen. Von denen viele auch vom Japonismus beeinflusst sind; es ist eine Kunst der Linie, die ihn auszeichnet. Maler müssen mehr können als die Linie. Er ist sicher auch ein Vorläufer dessen, was man Art Nouveau oder Jugendstil nennen wird. Im Mittelalter hätte er sicher einen guten Mönch abgegeben, der Bücher mit seinem filigranen Blattwerk illuminiert. Heinrich Vogeler (der ➱hier einen Post hat) wirkt manchmal wie ein Imitator von Crane. Wenn wir nett sind, könnten wir sagen, dass die beiden Geistesverwandte sind. Ich mag aber diese Schwäne, die hatte ich mal auf einem englischen Tablett, weiß nicht, wo das geblieben ist.

Man kann sie aber immer noch auf Teebechern bekommen, ebenso wie sein Gemälde Neptun’s Horses. Den Becher könnte man auch als Zahnputzbecher nehmen. Wenn Sie den Post ➱Abstraktion gelesen haben, wissen Sie, weshalb ich auf diesen Gedanken komme. Zum Ende des Jahrhunderts kommt die große Zeit von Walter Crane. Er bekommt 1891 eine Ausstellung des Gesamtwerks, die auch nach Amerika und Europa wandert. Und die belgische Künstlergruppe Les XX wird ihn 1891 einladen, er ist neben Ford Madox Ford der einzige Engländer, der eine Einladung nach Belgien bekommt.

Der Maler Sir William Rothenstein sagte 1931 über Crane: He was illustrator, painter, designer, craftsman, and sculptor by turn; he poured out designs for books, tapestries, stained glass, wall-papers, damask, and cotton fabrics . . . he could do anything he wanted, or anyone else wanted. Ist das wirklich ein Lob? In Deutschland war man von ihm begeistert, wie das Zitat weiter oben von Otto Grautoff zeigen kann. Justus Brinckmann, Direktor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, kaufte schon früh von  Crane illustrierte Bücher für das MuseumAlfred Lichtwark erwähnt das in einem Aufsatz.

Ich bin nicht der einzige, der Walter Crane nicht so großartig findet. John Fleming und Hugh Honour tun das in ihrem hervorragenden Penguin Dictionary of Decorative Arts auch, wenn sie schreiben: He was at best as a designer of textiles and wallpapers, especially those intended for nurseries, in a pale-coloured rather wispy version of the Morris style, tinged with enough Art Nouveau influence to win him European renown. Tapeten fürs Kinderzimmer, das ist von dem Ruhm des Sozialisten und Salonlöwen geblieben. Sein Ruhm schläft wie sein Dornröschen. Küssen wir es nicht wach.

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Chloris eram, quae Florae vocor

 

Er macht dicke Backen der luftige Herr rechts im Bild. Er hat offensichtlich nichts anderes zu tun, als kaum bekleidete Mädchen zu jagen und sie zu verwandeln. Männer wollen Frauen immer verwandeln, sie können sie nicht lassen, wie sie sind. Wir sind in der griechischen ➱Mythologie, dieser Welt von Mord und Totschlag, Vergewaltigung und Verwandlung. Es war Frühling, ich irrte umher: Zephirus erblickte mich, ich ging weg. Er folgte, ich fliehe, jener war stärker. Drei Sätze, eine Geschichte. Und wenn Chloris, die jetzt eine Göttin ist und Flora heißt, diese Geschichte erzählt, haucht sie Rosen aus ihrem Mund: So antwortete die Göttin auf meine Bitten – während sie sprach, haucht sie Frühlingsrosen aus ihrem Munde.

Das Bild mit Zephyr und Chloris ist nur ein Ausschnitt aus einem größeren Bild von Sandro Botticelli, das den Namen Primavera hat. Der Hamburger Kunsthistoriker Aby Warburg (der ➱hier einen Post hat) hat in seiner Straßburger Dissertation Sandro Botticellis „Geburt der Venus“ und „Frühling“: Eine Untersuchung über die Vorstellungen von der Antike in der italienischen Frührenaissance (➱hier im Volltext) 1893 auf die Zitate aus der Literatur in diesem Bild hingewiesen. Wie zum Beispiel auf Ovid:

Sic ego, sic nostris respondit diva rogatis

dum loquitur, vernas efflat ab ore rosas.

Chloris eram, quae Flora vocor: corrupta Latino

nominis est nostri littera Graeca sono.

Chloris eram, nymphe campi felicis, ubi audis

rem fortunatis ante fuisse viris.

quae fuerit mihi forma, grave est narrare modestae

sed generum matri repperit illa deum.

ver erat, errabam: Zephirus conspexit, abibam.

Insequitur, fugio: fortior ille fuit,

[…]

vim tamen emendat dando mihi nomina nuptae,

inque meo non est ulla querella toro.

vere fruor semper: semper nitidissimus annus,

arbor habet frondes, pabula semper humus.

est mihi fecundus dotalibus hortus in agris:

aura fovet, liquidae fonte rigatur aquae.

hunc meus implevit generoso flore maritus

atque ait: `arbitrium tu, dea, floris habe.‘

saepe ego digestos volui numerare colores

nec potui: numero copia maior erat.

Das musste mal eben sein. Denn von Zeit zu Zeit überkommt es diesen Blogger, einen ➱Satz wie Es liegt mir daran, gleich in den ersten Zeilen dieser Niederschrift zu beweisen oder darzutun, daß ich noch zu den Gebildeten mich zählen darf hinzuschreiben. Für diejenigen, die kein Großes Latinum oder nur ein Kleines Küchenlatein Latinum besitzen, habe ich den Text auch auf deutsch:

So antwortete die Göttin auf meine Bitten –

während sie sprach, haucht sie Frühlingsrosen aus ihrem Munde -:

Chloris war ich, die ich [jetzt] Flora genannt werde.

Verderbt ist durch die lateinische Aussprache der griechische Buchstabe meines Namens.

Chloris war ich, eine Nymphe der glücklichen Feldflur, wo, wie du hörst, die beglückten Menschen früher ihren Besitz gehabt haben.

Welche Schönheit ich gehabt habe, [das] zu erzählen ist für mich bei meiner Bescheidenheit schwer;

Indessen fand sie für Mutter einen Gott als Eidam.

Es war Frühling, ich irrte umher: Zephirus erblickte mich, ich ging weg. Er folgte, ich fliehe, jener war stärker. […]

Die Gewalttat dennoch machte er wieder gut dadurch, daß er mir den Namen der Verheirateten [Gattin] gab, und in meiner Ehe gibt es [für mich] keinen Grund zur Klage.

Stets genieße ich den Frühling, stets ist üppig blühend die Jahres[zeit], die Bäume haben Laub und Nahrung stets der Erdboden.

Auf meinen zur Mitgift gehörigen Äckern [Landgut] habe ich einen fruchtbaren Garten:

die Luft wärmt [ihn], von einer Quelle hellen Wassers wird er benetzt.

Ihn füllte mein Gatte mit edlen Blumen an und sagte: `Habe du, o Göttin, die Entscheidung über die Blumen.‘

Oft wollte ich die Farben ordnen und zählen, aber ich konnte [es] nicht: die Menge war größer als die Zahl.

Es gibt zu Botticellis Bild vom Frühling noch viel mehr ➱Interpretationen als die von Warburg, das lassen wir jetzt mal weg. Wir lassen auch die Geburt der Venus weg, die Warburg zusammen mit diesem Bild behandelte. Wenn Sie das Bild sehen wollen, klicken Sie doch auf den Post ➱George Spencer Watson. Wir freuen uns heute einfach, dass endlich der meteorologische Frühling beginnt. Das passt es natürlich wunderbar, dass der Maler Sandro Botticelli heute vor 570 Jahren geboren wurde.

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